Sokrates - Todesstrafe nicht durch Priester, sondern Nicht-Eingeweihten

Quelle: GA 092, S. 104-105, 1. Ausgabe 1999, 28.10.1904, Berlin

Der Trojanische Krieg, der ja tatsächlich stattgefunden hat, wurde in den Mysterien schon dargestellt, bevor er stattgefunden hat. Für denjenigen, der nicht bewandert ist in der Theosophie, ist das ja phantastisch. Es ist aber Mysterienprinzip, neben der Vergangenheit auch Vorgänge der Zukunft darzustellen. Und weil sie Vorgänge der Zukunft vorausnehmen, deshalb mußten sie auch geheimgehalten werden. Nicht um die Neugier der Menschen zu befriedigen, waren die Mysterien da, sondern diejenigen Menschen sollten daran teilnehmen, die berufen waren, mitumgestaltend an der Zukunft zu wirken. Sie sollten sich dort die Impulse für ihre Aufgabe holen. Das ist der Sinn der Mysterien.

Wenn daher jemand ein Mysterium verraten würde, so würde das bedeuten, daß er dasjenige, was in der Zukunft geschehen soll, den Leuten öffentlich sagen würde. Dadurch müßte er unbedingt bei seinen Mitmenschen Verwirrung anrichten. Nur einzelne Vorgeschrittene bekommen dazu die Impulse. Sie haben die Aufgabe, die Menschen langsam dahin zu bringen, wohin sie einst kommen sollen. Nur die wenigen reifen Menschen, die ihren Mitmenschen vielleicht fünfhundert Jahre voraus sind, sind in der Lage, diese Geheimnisse zu ertragen und im Sinne der Mysterien zu wirken. Nehmen Sie einmal an, andere würden davon hören, dann würden sie das gleich herbeiführen wollen, wofür die Menschen noch nicht reif sind. Jedes Mysterium wird unter wesentlich veränderten Verhältnissen einmal öffentliches Gemeingut. Alles wird zu einer bestimmten Zeit offenbar werden. Der Geheimnischarakter liegt nur darin, daß zunächst wenige Einzelne die Zukunft vorzubereiten haben; sie müssen die Lenker werden, um die anderen Menschen zu führen.

Es gibt heute noch Geheimnisse, die erst in der sechsten Wurzelrasse enthüllt werden können, wenn ganz andere Verhältnisse der Brüderlichkeit herrschen werden, die jetzt noch nicht realisiert sind. Diejenigen, die etwas von diesen Tatsachen wußten, hatten natürlich eine furchtbare Angst, daß durch Unvorsichtigkeit etwas von den Mysterien verraten werden könnte. Es war früher so, daß auf Verrat der Mysterien die höchsten Strafen standen; in alten Zeiten war es die Todesstrafe. Nicht die eingeweihten Priester haben die Todesstrafe verhängt, sondern diejenigen, welche von außen her etwas wußten und nicht eingeweiht waren. Die Furcht vor dem Verrat der Mysterien führte das tragische Ende so mancher Großen herbei. Einem solchen Urteile fiel auch Sokrates zum Opfer, obgleich mit Unrecht.