Monarchie nur durch Historismus zu rechtfertigen

Quelle: GA 031, S. 335-337, 2. Ausgabe 1966, 18.03.1899

Vor kurzem ist der zweite Band Treitschkes «Politik» erschienen. Ein ehrlicher Bekenner des Monarchismus spricht sich über die Staatsformen aus. Drei mögliche Staatsbildungen unterscheidet er: die Theokratie, die Monarchie, die Republik. In der Theokratie fußt die oberste Staatsgewalt auf dem Glauben, daß sie von den göttlichen Mächten eingesetzt ist und in ihrem Namen regiert. Ein Auflehnen wider sie ist zugleich eine Versündigung gegen die göttliche Weltordnung. Diese bei morgenländischen Völkern vorkommende Staatsform hat in den Weltanschauungen der abendländischen Völker keinen Boden. Die Republik baut sich auf der Volksmacht auf. Sei sie eine Aristokratie, sei sie eine Demokratie: die höchste Gewalt ist in Volkshänden.

Die regierenden Mächte haben diese Gewalten nur vom Volke übertragen. Sie kann ihnen daher auch jederzeit wieder genommen werden. In der Monarchie hat die Familie des Regenten die Gewalt nicht durch übertragung aus dem Volke. Woher hat sie sie also? Treitschke beantwortet diese Frage damit, daß er sagt: sie hat sie durch die historische Entwicklung erhalten. Sie ist in ihren Besitz gelangt, und aus dieser Tatsache hat sich im Volke allmählich das Gefühl entwickelt, daß die Macht eben bei dieser Familie sein müsse. Das Volk hat sich von Generation zu Generation daran gewöhnt, dieser Familie das Recht zu regieren zuzugestehen. Dieses Bekenntnis aus dem Kopfe eines Anhängers und begeisterten Verteidigers der Monarchie ist wichtig. Treitschke ist aus der Zeit herausgewachsen, in welcher die historische Entwicklung als eine Art göttliches Wesen verehrt worden ist. Diese Zeit sagte: was im Laufe der Geschichte sich entwickelt hat, das hat ein Recht auf Bestand; und der einzelne vermag nichts gegen diese Entwicklung. Auf das Zeitalter der Aufklärung, welches nur das als berechtigt anerkannte, was vor der Vernunft des einzelnen bestehen kann, folgte in unserem Jahrhundert diese historische Denkweise. Man sah in dem, was sich im Laufe der Zeiten von selbst gemacht hat, etwas Höheres, als was der einzelne von sich aus als das Richtige anerkennen kann. Klar und deutlich zeigt aber gerade Treitschkes Ausführung, daß monarchisch gesinnt nur derjenige moderne Mensch sein kann, der die Macht der geschichtlichen Entwicklung anerkennt. Wäre Treitschke nicht Bekenner der historischen Weltanschauung, so könnte er auch nicht Monarchist sein.

Man kann sich eine Vorstellung davon machen, wie Treitschke über jemanden gelächelt haben möchte, der ihm den obigen Satz entgegengehalten hätte. Denn Treitschke war Fanatiker des Historismus und konnte den, der es nicht ist, nur für einen bornierten Kopf ansehen. Für die Wissenschaft der Politik ist es aber wichtig, daß Treitschke mit der ganzen Schärfe, die ihm eigen war, gezeigt hat: im Abendlande ist die historische Denkweise Voraussetzung für eine wissenschaftliche Begründung des monarchischen Prinzipes. Der notwendige Schluß, der sich aus seiner Anschauung ergibt, wäre der, daß nicht historisch Denkende im Abendlande auch nicht Bekenner des Monarchismus sein können.