Durch freies Geistesleben erscheint ein „Waldorfschulgeist“

Quelle: GA 339, S. 042-043, 3. Ausgabe 1984, 12.10.1921, Dornach

Sehen Sie, für freies Geistesleben, das heißt Geistesleben, das aus seinen eigenen Gesetzen heraus da ist, es ist noch nicht sehr viel Verständnis in der gegenwärtigen Menschheit dafür vorhanden. Denn meistens versteht man unter freiem Geistesleben ein Gebilde, in dem Menschen leben, von denen jeder nach seinem eigenen Kikeriki kräht, wo jeder Hahn - verzeihen Sie das etwas merkwürdige Bild - auf seinem eigenen Misthaufen kräht, und wo dann die unglaublichsten Zusammenklänge aus diesem Krähen zustandekommen. In Wirklichkeit kommt beim freien Geistesleben nämlich durchaus Harmonie zustande, weil der Geist lebt, nicht die einzelnen Egoisten, weil der Geist wirklich über die einzelnen Egoisten hinüber ein eigenes Leben führen kann. Es ist zum Beispiel - man muß diese Dinge schon heute sagen - für unsere Waldorfschule in Stuttgart durchaus ein Waldorfschulgeist da, der unabhängig ist von der Lehrerschaft, in den die Lehrerschaft sich hineinlebt, und in dem es immer mehr und mehr klar wird, daß unter Umständen der eine fähiger oder unfähiger sein kann - der Geist aber hat ein eigenes Leben. Es ist eineAbstraktion, von der sich heute noch die Menschen eine Vorstellung machen, wenn sie von «freiem Geist» sprechen. Das ist ja gar keine Wirklichkeit. Der freie Geist ist etwas, was wirklich lebt unter den Menschen, man muß ihn nur zum Dasein kommen lassen, und was wirkt unter den Menschen, man muß ihn nur zum Dasein kommen lassen.