Wie verwaltet sich eine Schule selbst?

Quelle: GA 334, S. 161-164, 1. Ausgabe 1983, 19.03.1920, Zürich

Ich sehe gerade das Wesentliche dieser Dreigliederung nicht darin, daß man etwa heute das Einheitsparlament in drei Parlamente teile, sondern daß man ein Parlament im heutigen Sinn nur hat für dasjenige, was demokratisch verwaltet respektive orientiert werden kann, daß aber die beiden anderen Gebiete eben nicht parlamentarisch verwaltet werden, sondern verwaltet werden aus dem, was sich aus ihnen selbst heraus ergibt. Es ist mir sehr schwer, in abstrakten Begriffen diese konkreten Dinge zu besprechen. Ich möchte daher die Antwort gewissermaßen aufbauen.

Ich habe gerade bei dem Einrichten der Waldorfschule mich wiederum eingehend befassen müssen mit all dem, was sich, ich möchte sagen, einem wie ein Querschnitt ergibt: das Ergebnis staatlicher Verwaltung für das Schulwesen. Nicht wahr, ich hatte von zwei Seiten her die Waldorfschule zu konstituieren. Das eine war, dasjenige zugrunde zu legen, was ich glaubte, aus den bloßen Anforderungen des geistigen Lebens selbst als Impuls der Waldorfschule zu geben. Auf der anderen Seite durfte ich selbstverständlich nicht in die Luft bauen. Das heißt, ich mußte eine Schule schaffen, bei der es möglich ist, daß die Schüler, die abgehen, zum Beispiel mit dem vierzehnten Jahr oder auch meinetwillen dazwischen abgehen, sich wiederum anschließen können an das andere Schulleben. Da mußteich selbstverständlich mich mit den Lehrplänen auseinandersetzen.

Nun, nicht wahr, da stieß ich zunächst - ich bitte, zu verzeihen, daß ich auf ganz Konkretes eingehen muß, aber ich glaube mich so am besten zu verständigen -, da stieß ich auf die Lehrpläne. Die Lehrpläne sind staatlich festgesetzte Umschreibungen des Lehrstoffes, des Lehrzieles und so weiter. Etwas anderes ist es, wenn man als pädagogischer und didaktischer Künstler rein aus der Wesenheit des Menschen studieren kann, wie vom siebenten zum vierzehnten Jahre das abläuft, was an den Menschen da herangebracht werden soll. Ich stehe auf dem Standpunkt der Überzeugung, daß durchaus von dem sich entwickelnden Menschen für jedes Jahr die Lehrziele abgelesen werden können.

Nun möchte ich, daß derjenige die Lehrziele festsetzt, der im lebendigen Unterricht drinnensteht, und nicht derjenige, der herausgerissen wird und Staatsbeamter wird, der also übergeht von dem lebendigen Lehren zur Demokratie. Ich möchte also, daß das, was das geistige Leben umfaßt, von denen verwaltet wird, die noch drinnenstehen, die dieses geistige Leben aufbauen. Also es kommt darauf an, daß die ganze Struktur der Verwaltung aufgebaut ist auf dem Gefüge eines Geisteslebens selbst. Nicht wahr, ich mußte zum Beispiel heute noch die Einteilung treffen, daß die Kinder, wenn sie drei Klassen absolviert haben, sich wiederum anschließen können - um dazwischen Freiheit zu haben -, nach weiteren drei Jahren, mit dem zwölften Jahre, wiederum sich anschließen können. Also ich mußte einem Äußeren gerecht werden.

Das ist das Wesen der Dreigliederung. Sie steht überall auf einem realen Boden, muß auch aus einem realen Boden heraus arbeiten. Aber wenn man einen realen Boden hat, hat man nicht irgend etwas Unbestimmtes. Das Geistesleben ist doch da, es hat doch eine Verwaltung, einfach dadurch, daß der eine in der Position, der andere in einer anderen Position steht. Ich möchte nun in dieser Loslösung des Geisteskörpers vom Staatskörper einfach, daß die Verwaltung sich hierarchisch gestalte, und ich glaube - selbstverständlich ist das natürlich etwas, was jetzt nicht so schnell ausgeführt werden kann -, daß die hierarchische Verwaltung alle Unvollkommenheiten haben wird. Ich weiß, was ganz besonders von Dozenten eingewendet wird, aber vielleicht sind sogar zu solchen Übergängen manchmal größere Unvollkommenheiten notwendig, damit man auf etwas Vollkommenes kommt, aber worum es sich handelt, das ist, daß sich nach und nach nur aus den rein pädagogischen und didaktischen Bedingungen und weiteren Bedingungen des Geisteslebens eine rein didaktische Körperschaft des Geisteslebens bildet, die so verwaltet, wie es im Sachlichen begründet ist, nur etwas abstrakt anklingend an die Klopstocksche «Gelehrtenrepublik», und daß so etwas auf dem Gebiet des Geisteslebens tatsächlich möglich ist, wenn man nur den guten Willen hat, es zu begründen...

In einer solchen Gelehrtenrepublik kann derjenige, der sich tüchtig erweist, drei Jahre abgerufen werden, kann Pädagogik lehren, dann wiederum zurückkehren in das Lehrfach. Was aber die äußere Konstitution betrifft, muß ich sagen, es ging im kleinen bis jetzt vorzüglich bei unserer Lehrerschaft der Waldorfschule in Stuttgart. Da ist gleich eingangs die Frage aufgetaucht: Wer wird der Direktor sein? - Selbstverständlich niemand; wir haben einfach gleichberechtigte Lehrer durch alle Klassen, und einer aus dieser Lehrerschaft, der etwas weniger Stunden hat als die anderen, der besorgt die Verwaltungsdinge. Dabei sieht man schon jetzt, daß die tüchtigen Lehrer auch eine gewisse Autorität über die anderen haben, eine naturgemäße Autorität, und ein gewisses hierarchisches System bildet sich heraus. Das braucht aber gar keine Beantwortung der Fragezu sein, wie der Herr Oberrichter L. gemeint hat: Wer befiehlt? - sondern das macht sich von selber. Ich werde mich natürlich hüten, Namen zu nennen; aber es bildet sich dies heraus. Also auf dem Gebiet des Geisteslebens ...

Zwischenruf: Wie fragen Sie die Eltern über den Lehrstand? Das ist doch Diktatur!

Fachlich-sachlich! Gewiß, nennen Sie es meinetwillen Diktatur, auf den Namen kommt es mir da nicht an. Insofern ist es eine Diktatur, als nicht der einzelne entscheidet. Da Sie Wissenschafter sind, werden Sie es leicht verstehen, wenn ich sage: über die Richtigkeit des pythagoräischen Lehrsatzes schadet es nicht, wenn eine «Diktatur» entscheidet, weil eine gewisse Notwendigkeit in der Sache liegt.