Freie Schulen nur ohne staatliche Finanzierung möglich

Quelle: GA 303, S. 328-329, 4. Ausgabe 1987, 03.01.1922, Dornach

X: Das holländische Gesetz läßt die Möglichkeit zu, bei einem ernsten Versuch, eine freie Schule zu gründen. Würde es, wenn wir in Holland auf andere Weise kein Geld bekommen könnten, möglich sein, mit Subsidien des Staates eine freie Schule zu errichten, unter Voraussetzung, daß wir den Unterricht ganz frei in eigener Hand halten können?

Dr. Steiner: Nun, an dieser Frage ist mir eines nicht ganz verständlich, ein anderes ist mir zweifelhaft. Nicht ganz verständlich ist mir dieses, daß man in Holland für eine wirklich freie Schule kein Geld bekommen sollte! Verzeihen Sie, wenn das vielleicht eine Naivität ist, aber es ist mir nicht verständlich. Denn ich meine allerdings, daß, wenn der Enthusiasmus groß genug ist, dann ist es möglich, wenigstens zunächst anzufangen. Es gehört ja gar nicht so viel Geld dazu, um anzufangen.

Das andere, was mir zweifelhaft ist, das ist, daß es gelingen wird, das mit Subsidien des Staates zu machen. Denn, daß es der Staat sich nicht nehmen lassen wird, eine Schulaufsicht zu üben, wenn er Subsidien gibt, das scheint mir nun eben zweifelhaft. Also ich glaube nicht, daß mit Subsidien, das heißt unter der Aufsicht des Staates, eine wirklich freie Schule gegründet werden könnte.

Es ist ja in Stuttgart auch das, möchte ich sagen, ein Glücksfall gewesen, daß die Waldorfschule gerade noch begründet wurde, bevor die republikanische Nationalversammlung ein Schulgesetz beschlossen hat, unter dessen Agide eine solche Schule nicht begründet werden kann; denn, nicht wahr, wir verlieren ja immer mehr und mehr Freiheit, je mehr sich der Liberalismus ausbreitet. Und wahrscheinlich würde eben heute, wo der Fortschritt herrscht in Deutschland, die Waldorfschule in Stuttgart nicht mehr zu begründen möglich sein. Aber sie ist vorher gegründet worden. Und nun - heute sieht einmal die Welt auf die Waldorfschule, und man wird sie bestehen lassen, bis eben die Bewegung, welche die sogenannte Grundschule geschaffen hat, so mächtig ist, daß man aus irgendeinem Fanatismus heraus ihr ihre vier ersten Klassen wegnehmen wird. Ich hoffe, daß das zu verhindern sein wird, aber wir gehen ja auch in dieser Beziehung ganz furchtbaren Zeiten entgegen. Und das ist es ja, warum von mir so häufig betont wird, daß es notwendig ist, dasjenige, was geschehen soll, bald zu tun; denn es breitet sich über die Welt eine Welle aus, die durchaus nach dem Zwangsstaate hingeht. Und es ist tatsächlich so, daß die abendländische Zivilisation sich der Gefahr aussetzt, einmal, von einer in irgendwie gearteter Weise asiatischen Kultur, die dann etwas Spirituelles hat, einfach überflutet zu werden. Das wollen die Menschen nicht sehen, aber dazu wird es kommen.

Nicht wahr, es ist eigentlich mehr oder weniger nur, glaube ich, eine Art Verzögerung der Sache, wenn man glaubt, erst auf Subsidien des Staates Anspruch machen zu sollen. Ich würde mir davon kaum etwas versprechen können. Aber vielleicht ist jemand anderer Meinung. Ich bitte heute nur alle Meinungen sehr frei zu äußern.