Besondere Verhältnisse in der Schweiz

Quelle: GA 260, S. 165-166, 5. Ausgabe 1994, 28.12.1923, Dornach

Ich habe zu dem, was ich mir erlaubte im Anschlusse an den letzten Kursus zu sagen, den ich vor Schweizer Lehrern halten durfte, vielleicht nur noch einiges über die Schwierigkeiten der schweizerischen Schulbewegung hinzuzufügen. Mir scheint, daß doch etwas davon abhängt, wie eben die pädagogische Bewegung, die mit der Anthroposophie zusammenhängt, hier in der Schweiz getrieben wird.

Die Waldorfschule ist ja innerhalb Deutschlands im wesentlichen doch isoliert geblieben. Gewiß, es bestehen einzelne andere Schulgründungen, in Hamburg, Köln und so weiter, aber die Waldorfschule ist innerhalb Deutschlands, also innerhalb eines ziemlich großen Gebietes, zunächst als eine Schule doch vereinzelt geblieben. Es wird sich darum handeln, zu sehen, ob auch dasjenige, was als eine Art Waldorfschule in England errichtet werden soll, was in Holland schon mit drei Klassen eröffnet ist, auch als Vereinzeltes zunächst stehen bleibt.

Nun wirklich, ganz abgesehen von allem übrigen, muß man sagen: An der Sachlage, daß diese Schulen entweder schon gezeigt haben, daß sie vereinzelt dastehen bleiben, oder aber, daß man nach den gegebenen Tatsachen vermuten muß, es werde noch lange so sein, an alledem trägt ja hauptsächlich die Schuld, daß es einfach aus den gegenwärtigen sozialen Verhältnissen heraus wirklich unmöglich ist, jene Anschauung zu gewinnen, die eine große Anzahl von solchen Schulen finanzieren würde. Es haben das die Erfahrungen der Jahre doch ganz deutlich gezeigt. Und das fordert uns wenigstens auf, über den ganzen Kurs, der mit unserer pädagogischen Bewegung einzuhalten ist, nachzudenken.

Das ist ja insbesondere für die Schweiz notwendig. Denn in der Schweiz herrscht wirklich am stärksten dasjenige, was man nennen kann: Staatsbewußtsein. Und ich glaube doch, daß sich, seit nun der schweizerische Schulverein für freies Erziehungs- und Unterrichtswesen besteht, die hauptsächlichsten Schwierigkeiten doch ergeben werden aus dem schweizerischen Staatsbewußtsein heraus. Am wenigsten scheint es mir hier in der Schweiz möglich zu sein, dem Glauben Eingang zu verschaffen, daß eine wirklich freie Schule einmal eine Art von Musterpädagogik hinstellen kann, oder daß gar in einem größeren Maßstabe solche Schulen gegründet werden. Man darf sich in solchen Dingen keinen Illusionen hingeben. Die Aversion gegen ein freies Schulwesen ist hier eine sehr große. Aber dabei bleibt natürlich das richtig, was Herr Gnädinger eben gesagt hat: daß man hinschauen wird, wie es an einer Musterschule geht.

Sie können am wenigsten hier in der Schweiz verlangen, daß der Präsident des schweizerischen Schulvereins, von dem Sie ja gesprochen haben, nicht wahr, in einem anderen Sinne denn als Musterschule ein Interesse dafür hat. Er hat dann doch das Interesse dahingehend, die schweizerische Staatsschule vielleicht in methodischer Beziehung durch dasjenige, was an einer solchen Musterschule gewonnen werden kann, zu beinflusssen. Das scheint mir aber auch das einzige zu sein, worauf man als auf ein Interesse hier in der Schweiz rechnen kann. Und deshalb scheint es mir wichtig, daß man in einer ganz deutlichen Weise diese zwei Dinge da aufnimmt, wo man solche Vereinigungen gründet, wie Sie sie erwähnt haben; und die viel gegründet werden sollten, immer mehr und mehr!

Eine zweite Bedingung ist, daß die anthroposophische Pädagogik hinausgelaufen ist auf die Methodisierung des Unterrichtes. Es handelt sich um eine Methoden-Schule, es handelt sich nicht um irgendeine politische Richtung, sondern um eine rein sachliche Methoden-Schule. Es handelt sich auch nicht um ein religiöses Bekenntnis, nicht um Anthroposophie etwa als Rellgionsbekenntnis, sondern es handelt sich um eine Methoden-Schule. Ich habe ja schon damals, als die Diskussion angeknüpft wurde an meinen Vortragszyklus, die Fragen, die aufgeworfen wurden nach dieser Richtung, dahingehend beantwortet, daß ich sagte: Die pädagogische Methodik, die hier vertreten wird, kann eigentlich überall, wo man den guten Willen dazu hat, eingeführt werden. Wenn man auf der einen Seite das tut und auf der anderen Seite wiederum scharf betont, daß, um in weiteren Kreisen die Einsicht zu verschaffen, dies die richtige Methode und eine Musterschule ist, wenn man diese zwei Programmpunkte in den Vordergrund stellt, also Betonung, daß jede Schule die Methodik haben kann, daß man aber an einer Musterschule sehen soll die Fruchtbarkeit der Methodik und dann wirklich die Dinge reinlich herausarbeitet, dann glaube ich, könnte man in der Schweiz doch auch etwas erreichen. Und dann müßten auf Grundlage dieser zwei Gesichtspunkte überall pädagogische Vereinigungen gegründet werden können. Aber jeder müßte wissen, daß da nicht die Absicht besteht - was man hier in der Schweiz als eine Schrulle ansehen würde -, möglichst viele Privatschulen zu gründen, um den Staatsschulen Konkurrenz zu machen; das würde man nie in der Schweiz verstehen. Dagegen wird man verstehen das Hinstellen einer Musterschule, die für jede Schule sozusagen den Quellpunkt abgeben kann für eine methodische Schule. Auf andere Weise kommt man nicht vorwärts. Und es ist wichtig, daß man eine solche prinzipielle Sache immer wiederum vor die Menschen hinstellt, und überall, wo man Gelegenheit hat, sie hinstellt.

Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie diese zwei Gesichtspunkte immer in den Vordergrund stellen. Sie entsprechen ja durchaus der Wahrheit, und es hat uns viel geschadet, daß immer wieder und wieder betont wurde: Waldorfschulpädagogik kann nur in abgesonderten Schulen erreicht werden -, während ich immer wieder gesagt habe, das Methodische kann in jede Schule hineingebracht werden.

Das ist dasjenige, was ich zu sagen habe, denn es ist damit alles übrige in Verknüpfung. Ich glaube, daß man auch eine finanzielle Grundlage erst dann gewinnen wird, wenn eben ein Verständnis für diese Dinge vorhanden sein kann. Für freie Schulen wird in der Schweiz nicht sehr viel Verständnis sein, wenn man sie nicht in Verbindung mit dem vertritt, was ich gesagt habe. Dann glaube ich aber auch, daß wirklich die Bemühungen einen größeren Erfolg haben könnten als jetzt. Bis jetzt ist ja auf Grundlage der Finanzsituation, die da vorliegt, die Möglichkeit, eine Schule in Basel zu schaffen, nicht vorhanden.