Unstaatliches Geistesleben anarchistisch

Quelle: GA 338, S. 179-181, 4. Ausgabe 1986, 17.02.1921, Stuttgart

Und für Sie wird das ein wichtiger pädagogisch-didaktischer Gesichtspunkt sein, daß Sie gerade zeigen, wie überall die Grundlagen dafür da sind, die, in der richtigen Weise benützt, zu Folgerungen führen in bezug auf die Dreigliederung des sozialen Organismus. Man kann geradezu sagen: Die Volkswirtschaftler können, wenn sie wirklich wirtschaftlich denken, nicht anders denken, als gedacht werden muß im assoziativen Glied des sozialen Organismus.

Nur bleiben die Dinge, die so gedacht werden, dann nicht in den Büchern, sondern es bestehen Instanzen, die das auch reinlich in die Wirklichkeit überführen.

Ich erwähne dieses heute, wo ich mehr auf methodische Dinge hinweisen will, eben vorzugsweise in methodischer Beziehung, um Sie darauf aufmerksam zu machen, daß man überall, wo von der Dreigliederung die Rede ist, ausgehen kann von Dingen, die die Leute schon irgendwie gedacht haben. Nur hat keiner heute den Mut, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Das Wesentliche besteht bei uns darin, daß die notwendigen Konsequenzen für das soziale Leben gezogen werden.

Ebenso werden Sie andere Fragen zu behandeln haben, wenn Sie gerade auf das Soziale abzielen wollen. Sie werden, wenn Sie sich bekannt machen mit der Entwickelung des volkswirtschaftlichen Denkens, finden, daß in der neueren Zeit eine ganze Reihe von utopistischen Ideen aufgetreten sind. Wir brauchen mit solchen utopistischen Ideen vielleicht, weil die älteren weniger bedeutsam sind für die Gegenwart, nur zurückzugehen bis zum 18. Jahrhundert; aber seit dem 18. Jahrhundert wurde ja eine ganz stattliche Reihe von sozialen Utopien ausgedacht. Warum sind solche Utopien entstanden ? Das ist wichtig für Sie zu wissen, damit Sie es einfließen lassen können in die ganze Haltung Ihrer Vorträge.

Sehen Sie, für das geistige Leben liegt folgendes vor. Es führt im Grunde genommen überall zurück auf alte Urweisheit und die damit verbundenen Gebräuche. Nehmen Sie selbst dasjenige, was wir heute in Europa als ein ganz dekadentes Geistesleben haben: den Katholizismus auf der einen Seite und auf der anderen Seite das sehr filtrierte moderne Bildungsleben, das aber auch noch gespeist wird von den alten religiösen Vorstellungen; sie sind überall drinnen. Bis in die materialistischen Partien der Medizin hinein können Sie sie verfolgen; und in der Philologie sind sie drinnen, diese Ausläufer des theokratischen oder theologischen Denkens.

Wenn Sie also sich vorhalten, wie das ganze moderne Denken durchaus imprägniert ist von diesem Element, das zurückführt auf alte Urweisheit, so werden Sie begreifen, daß in der ganzen Art, wie das Geistesleben, ich müßte jetzt sagen, sich selbst verwaltet - denn es ist ja schon anarchisch geworden, insofern es nicht in die strammen Fesseln des Staatslebens eingezogen ist -, so werden Sie bemerken, daß da auch in den Verwaltungen die Fäden zu sehen sind, die in der Konstitution der Territorien waren, in denen alte Urweisheit geherrscht hat. In der Kirche sehen Sie es in dem Aufbau der Hierarchien. Dieser führt auf die Anschauungen der alten Urweisheit zurück. In der Jurisprudenz sehen Sie es vielleicht nur noch in dem Kampfe, der in dem äußeren Leben der Kampf des Materialismus gegen den Spiritualismus ist, in dem Kampf, der geführt wird von Rechtsanwälten und Richtern gegen das Tragen des Talars in den gerichtlichen Verhandlungen. Im Anhänger des Talars haben Sie die Reste des alten Denkens, im Kampf gegen den Talar haben Sie die moderne materialistische Denkweise. Und das hat eine viel größere Bedeutung, als man eigentlich denkt. Und wenn Sie all den Kram ins Auge fassen, der sich rein formal anknüpft bei einigen unserer Hochschulen an die Doktorpromotion, so werden Sie sehr leicht die Fäden zurückverfolgen können zu dem alten theokratischen Element. Da haben wir überall darinnen etwas, was zwar den Leuten abhanden gekommen ist, was aber auf Altes zurückweist, zurückweist darauf, daß man einmal gewußt hat, wie das Geistesleben zu verwalten ist. Wenn wir auch dieses Geistesleben nicht mehr lebendig haben in unserer heutigen Zeit, die Formen haben wir drinnenstecken; und sogar die abgelegten Kleider, möchte ich sagen, haben wir noch drinnenstecken. Wir brauchen eben überall neue Formen. Die werden sich im freien Geistesleben finden.