Soziales Hauptgesetz und Rechtsleben

Quelle: GA 305, S. 235-237, 3. Ausgabe 1991, 29.08.1922, Oxford

Und so wird man sehen, wenn das juristisch-staatliche Leben in der richtigen Weise sich auswirken kann, daß dieses juristisch-staatliche Leben vor allen Dingen dann die Arbeit des Menschen einbezieht. Die Arbeit des Menschen steckt ja heute ganz im wirtschaftlichen Leben drinnen. Sie wird nicht behandelt als etwas, was von Mensch zu Mensch bestimmt wird. Ich habe etwa 1905 einen Aufsatz geschrieben über die soziale Frage, und habe da klarmachen wollen, daß unter unserer heutigen Arbeitsteilung Arbeit nur eine Ware wird, indem sie hineinfließt in den ganzen übrigen Organismus. Für uns selber hat in Wirklichkeit unsere Arbeit nur einen Scheinwert. Nur was die anderen für uns tun, hat einen Wert; während das, was wir tun, für die anderen einen Wert haben soll. Das ist etwas, was die Technik schon erreicht hat. Nur sind wir mit unserer Moral noch nicht nachgekommen. Technisch, innerhalb der heutigen sozialen Ordnung, kann man nichts für sich machen, nicht einmal einen Rock. Sogar wenn man sich den Rock selber macht, so hat er einen solchen Preis, wie er ihn haben würde, wenn er innerhalb der ganzen sozialen Ordnung von einem anderen gemacht wird. Das heißt, was den Rock ins Ökonomische hineinstellt, das ist universell, ist aus der Gemeinschaft heraus bestimmt. Es ist nur ein Scheingebilde, wenn man meint, der vom Schneider für sich selbst hergestellte Rock sei billiger. Man kann das ausrechnen mit Zahlen, da erscheint es billiger. Würde man es aber hineinstellen in eine Gesamtbilanz, so würde man sehen: Ebensowenig wie man aus seiner eigenen Haut herausfahren kann, ebensowenig kann man, indem man sich selber ein Kleidungsstück macht, das Ökonomische ändern oder ausschalten. Auch das Kleidungsstück, das man für sich selbst gemacht hat, muß insgesamt bezahlt werden. Die Arbeit ist dasjenige, was der Mensch für den Menschen macht, die nicht darnach geordnet werden kann, wieviel Arbeitszeit man in der Fabrik braucht. Die Bewertung der Arbeit führt im eminentesten Sinne hinein in das Gebiet des Rechts, der staatlich-juristischen Ordnung.

Daß das nicht unzeitgemäß, sondern zeitgemäß ist, das können Sie daraus entnehmen, daß die Arbeit überall geschützt wird, gesichert wird und so weiter. Aber das sind alles nicht halbe, das sind Viertelsmaßregeln, die nur dann voll zur Geltung kommen können, wenn eine richtige Dreigliederung des sozialen Organismus da ist. Denn dann wird erst der Mensch dem Menschen gegenüberstehen und wird erst die Arbeit eine richtige Regelung finden, wenn Menschenwürde gegen Menschenwürde sprechen wird, aus dem heraus, für das alle Menschen kompetent sind.

Dann werden Sie sagen: Ja, da kann einmal nicht genügend Arbeit da sein, wenn auf diese Weise im demokratischen Staat dann die Arbeit bestimmt wird. Ja, da ist einer der Punkte, wo das Soziale hineinführt in das Allgemein-Historische, in die allgemeine Menschheitsentwickelung. Das wirtschaftliche Leben darf nicht die Arbeit bestimmen. Es muß eingeschlossen sein auf der einen Seite zwischen der Natur, auf der anderen Seite zwischen der staatlich festgesetzten Arbeit. Geradesowenig wie ein Komitee jetzt bestimmen kann, wie viele Regentage im Jahre 1923 da sein sollen, damit man richtig wirtschaften kann im Jahre 1923, wie man das hinnehmen und damit rechnen muß als einem Gegebenen, mit demjenigen, was die Natur gibt, so wird man auch im selbständigen wirtschaftlichen Organismus rechnen müssen mit dem Gegebenen als mit einer Arbeitsmenge, die innerhalb des staatlich-juristischen Organismus sich ergibt. Das kann ich nur im allgemeinen erwähnen als eine Charakteristik.