Recht und Demokratie gegen egoistische Arbeit

Quelle: GA 340, S. 041-044, 5. Ausgabe 1979, 26.07.1922, Dornach

Das volkswirtschaftliche Leben hat sich, sagen wir zum Beispiel im alten Orient, zum größten Teil instinktiv abgespielt, so abgespielt, daß gewisse soziale Verhältnisse unter den Menschen waren, die kastenbildend, klassenbildend waren und sich unter dem Einfluß desjenigen, was sich aus diesen Verhältnissen heraus an Beziehungen ergeben hat zwischen Mensch und Mensch, auch, ich möchte sagen, instinktbildend erwiesen haben für die Art und Weise, wie der einzelne Mensch in das volkswirtschaftliche Leben einzugreifen hat. Da lagen ja zum großen Teil die Impulse des religiösen Lebens zugrunde, die in älteren Zeiten durchaus auch noch so waren, daß sie zu gleicher Zeit auf die Regelung, auf die Ordnung der Ökonomie abzielten. Wenn Sie im orientalischen Leben geschichtlich nachprüfen, so werden Sie sehen, daß eigentlich nirgends eine strenge Grenze ist zwischen demjenigen, was religiös geboten wird, und demjenigen, was dann volkswirtschaftlich ausgeführt werden soll. Die religiösen Gebote erstrecken sich vielfach hinein in das wirtschaftliche Leben, so daß auch für diese älteren Zeiten die Arbeitsfrage, die Frage des sozialen Zirkulierens der Arbeitswerte, gar nicht in Betracht kam. Die Arbeit wurde in gewissem Sinne instinktiv verrichtet; und ob der eine mehr oder weniger tat, das bildete eigentlich in der Zeit, die dem römischen Leben voranging, keine erhebliche Frage, wenigstens keine erhebliche öffentliche Frage. Die Ausnahmen, die dabei vorhanden sind, kommen gegenüber dem allgemeinen Gang der Menschheitsentwickelung gar nicht in Betracht. Wir finden noch bei Plato durchaus eine solche soziale Ansicht, daß im Grunde genommen die Arbeit als etwas Selbstverständliches hingenommen wird und eigentlich nur über das Soziale nachgesonnen wird, was außerhalb der Arbeit an ethischen, weisheitsvollen Impulsen von Plato erschaut wurde.

Das wurde immer mehr und mehr anders, je weniger die unmittelbar religiösen und ethischen Impulse auch volkswirtschaftliche Instinkte züchteten, je mehr gewissermaßen die religiösen und ethischen Impulse bloß sich auf das moralische Leben beschränkten, bloße Vorschriften wurden für die Art und Weise, wie die Menschen füreinander fühlen sollen, wie sie sich zu außermenschlichen Mächten verhalten sollen und so weiter. Immer mehr und mehr entstand die Anschauung, die Empfindung unter den Menschen, daß - wenn ich mich bildlich ausdrücken darf - von der Kanzel herab nichts zu sagen ist über die Art und Weise, wie man arbeiten soll. Und damit wurde die Arbeit, die Eingliederung der Arbeit in das soziale Leben eigentlich erst eine Frage.

Nun ist diese Eingliederung der Arbeit in das soziale Leben historisch nicht möglich ohne das Heraufkommen desjenigen, was das Recht ist. So daß wir historisch gleichzeitig entstehen sehen die Bewertung der Arbeit für den einzelnen Menschen und das Recht. Für sehr alte Zeiten der Menschheit können Sie eigentlich gar nicht in dem Sinn, wie wir heute das Recht auffassen, vom Recht sprechen, sondern Sie können erst dann vom Recht sprechen, wenn sich das Recht sondert von dem Gebot. In ältesten Zeiten ist das Gebot ein einheitliches. Es enthält zu gleicher Zeit alles das, was rechtens ist. Dann wird das Gebot immer mehr und mehr zurückgezogen auf das bloß seelische Leben, und das Recht macht sich geltend mit Bezug auf das äußere Leben. Das verläuft wiederum innerhalb eines gewissen geschichtlichen Zeitraums. Innerhalb dieses geschichtlichen Zeitraums haben sich ganz bestimmte soziale Verhältnisse herausgebildet. Es würde hier zu weit führen, das genauer zu beschreiben; aber es ist ein interessantes Studium, gerade für die ersten Jahrhunderte des Mittelalters zu studieren, wie sich auf der einen Seite die Rechtsverhältnisse, auf der anderen Seite die Arbeitsverhältnisse heraussondern aus den religiösen Organisationen, in denen sie früher mehr oder weniger durchaus drinnen waren - religiöse Organisationen natürlich im weiteren Sinne.

Nun hat das eine ganz bestimmte Folge. Solange die religiösen Impulse für das gesamte soziale Leben der Menschheit maßgebend sind, solange schadet der Egoismus nichts. Das ist eine außerordentlich wichtige Sache für das Verständnis auch der sozialen, volkswirtschaftlichen Prozesse. Der Mensch mag noch so egoistisch sein: wenn die religiöse Organisation, wie sie zum Beispiel in bestimmten Gebieten des alten Orients ganz strenge war, wenn die religiöse Organisation so ist, daß der Mensch trotz seines Egoismus sich eben in fruchtbarer Weise hineingliedert in das soziale Leben, dann schadet der Egoismus nichts; aber er fängt an, im Völkerleben eine Rolle zu spielen in dem Augenblick, wo das Recht und die Arbeit sich heraussondern aus den anderen sozialen Impulsen, sozialen Strömungen. Daher strebt, ich möchte sagen, unbewußt der Menschheitsgeist in der Zeit - während Arbeit und Recht sich eben emanzipieren - danach, fertigzuwerden mit dem menschlichen Egoismus, der sich nun regt und der in einer gewissen Weise hineingegliedert werden muß in das soziale Leben. Dieses Streben gipfelt dann einfach in der modernen Demokratie, in dem Sinn für Gleichheit der Menschen, dafür, daß jeder seinen Einfluß hat darauf, das Recht festzustellen und auch seine Arbeit festzustellen.

Aber gleichzeitig mit diesem Gipfeln des emanzipierten Rechtes und der emanzipierten Arbeit kommt noch etwas anderes herauf, was zwar früher während der älteren Perioden der Menschheitsentwickelung auch vorhanden war, was aber wegen der religiös-sozialen Impulse eine ganz andere Bedeutung hatte, was gerade für unsere europäische Zivilisation während des Mittelalters nur in eingeschränktem Maße vorhanden war, was sich zur höchsten Kulmination entwickelte von der Zeit an, in der eben Recht und Arbeit am meisten emanzipiert waren - und das ist die Arbeitsteilung.

In den älteren Zeiten der Menschheitsentwickelung hatte die Arbeitsteilung deshalb keine besondere Bedeutung, weil ja eben auch sie in die religiösen Impulse hineingestellt war und gewissermaßen jeder an seinen Platz gestellt wurde, so daß sie also keine solche Bedeutung hatte. Da aber, wo sich der Hang nach Demokratie verband mit dem Streben nach Arbeitsteilung, da fing an - das ist erst heraufgekommen in den letzten Jahrhunderten und aufs höchste gestiegen im 19. Jahrhundert -, da fing an die Arbeitsteilung eine ganz besondere Bedeutung zu gewinnen; denn die Arbeitsteilung hat eine volkswirtschaftliche Konsequenz.

Diese Arbeitsteilung, deren Ursachen und Gang wir ja noch kennenlernen werden, führt zuletzt dazu, wenn wir sie zunächst einfach abstrakt zu Ende denken, so müssen wir sagen, sie führt zuletzt dazu, daß niemand dasjenige, was er erzeugt, für sich selbst verwendet. Volkswirtschaftlich gesprochen aber! Also, daß niemand dasjenige, was er erzeugt - volkswirtschaftlich gesprochen -, für sich selbst verwendet!