Gleichheit vor der Steuer

Quelle: GA 331, S. 077-080, 1. Ausgabe 1989, 22.05.1919, Stuttgart

Nun, spezielle Fragen sind ja gerade bei den praktischen Menschen nicht immer so ganz leicht zu beantworten. Ich will Ihnen sagen, aus welchem Grunde. Die speziellen Fragen sind nämlich je nach den Verhältnissen mal so und mal so zu beantworten. Die Dinge können ganz verschieden gehandhabt werden, und es ist nicht immer notwendig, daß sie immer auf dieselbe Art gemacht werden. Der Programm-Mensch, der Theoretiker, der ist gewöhnlich so gescheit, daß er bis aufs I-Tüpfelchen hin ein sozialistisches Programm ausdenkt. Solche Leute hat es immer gegeben. Aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf, daß man zeigt, wie der Boden gestaltet sein muß, damit die Menschen selber sozialisieren können, damit sie sich zusammenfinden im Sozialisieren.

Ich muß immer wieder betonen: Ich fühle mich nicht gescheiter als andere mit Bezug auf die Einzelheiten, aber ich versuche, Anregungen zu geben, wie aus jedem Menschen das herauskommen kann, was zur Sozialisierung beitragen kann. Deshalb möchte ich, daß sich die Menschen auf drei Böden stellen. Die Menschen werden ja nicht in Stände gegliedert, sondern sie alle werden in jedem Gebiete drinnenstehen. Und die Menschen sind es, die die Einheit bilden werden. Deshalb möchte ich so in die Ideengemeinschaft der Kräfte hineinkommen, daß die Sozialisierung durch die Menschen wirklich bewirkt werden kann. Dann werden wir unter den neuen Verhältnissen auch ein gerechtes System der Besteuerung herausfinden. Wir dürfen nicht vergessen: Wir können nicht aus der heutigen Vermögensstatistik ein gerechtes Prinzip für die Besteuerung herausfinden, da wir doch daran arbeiten, sie auf einen ganz anderen Boden zu stellen. Nicht wahr, alle diese Dinge wie Einkommenssteuer, Verbrauchssteuer und so weiter, die werden ja auf einen ganz anderen Boden in der Zukunft gestellt. Lesen Sie in meiner Schrift über die soziale Frage nach. Da werden Sie sehen, daß ja in der Zukunft manches ganz anders sein wird. So zum Beispiel steht der Familienvater in ganz anderer Art im sozialen Organismus als der Ledige, und zwar deshalb, weil, wenn der Rechtsstaat sich wirklich so ausbildet, wie ich es annehme, dann jedes Kind das Recht auf Erziehung besitzt. Dann ist die Situation nicht die, daß der Familienvater seinen kärglichen Lohn auf eine große Familie verteilen muß, während der Ledige alles für sich verbrauchen kann. Die Verhältnisse werden ganz andere. [Zwischenruf: Und die anderen Bedarfsartikel?] Das Recht auf Bedarfsartikel ist ja ein selbstverständliches. Das ist ja dadurch, daß der Wirtschaftsprozeß ein realer ist, gesichert. Jeder, der etwas produziert, wird einfach durch den Wirtschaftsprozeß die Möglichkeit haben, die viel sicherer ist als ein abstraktes Recht, die Bedarfsartikel zu beschaffen. Das, was durch die Emanzipierung des Wirtschaftslebens hervorgerufen werden soll, ist, daß man so viel hat, daß es reicht. Der Bedarf wird besser befriedigt dadurch, daß man ein Recht auf Bedarfsartikel und damit genug im Portemonnaie hat.

Das ist dasjenige, was das Recht auf Bedarfsartikel betrifft. Es ist das eigentlich kein brauchbarer Ausdruck, weil es in der Realität nicht von Bedeutung ist, wenn man wirklich an eine Realisierung des dreigliedrigen sozialen Organismus denkt. Dann nämlich wird ja hergestellt das, was den Menschen von einem gewissen Lebensalter an auch wirklich gleichstellt mit einem anderen Menschen.Nicht wahr, das Einkommen als solches, das braucht unter Umständen gerade in einem wirklich sozialisierten Gemeinwesen gar nicht maßgebend zu sein für dasjenige, was man verbrauchen kann. Denn es ist durchaus möglich, daß der Mensch dadurch, daß er irgendwie eine, nun, nennen wir es Qualitätsarbeit, zu leisten hat, daß er scheinbar gerade im sozialistischen Gemeinwesen mehr einnimmt als ein anderer; er hat deshalb nicht mehr für seinen Verbrauch als ein anderer, er muß es wiederum ausgeben in der entsprechenden Weise. Darauf kommt es nicht an, diesen Begriff von Einnahmen und Verbrauch in der Zukunft besonders ins Auge zu fassen, sondern es kommt darauf an, daß - weil ein Mensch wirtschaftlich gerecht in bezug auf den anderen Menschen gestellt sein wird -, daß es in der Zukunft möglich sein wird, überhaupt den Staat auch als Steuereinnehmer aus dem Wirtschaftsprozeß auszuschalten.

Sehen Sie, ein Begriff wird in der Zukunft ganz verschwinden müssen, der Begriff der juristischen Persönlichkeit, auch der wirtschaftlich-juristischen Persönlichkeit. Es wird tatsächlich das, was an Steuern zu bezahlen ist, von einzelnen Menschen zu zahlen sein, weil im Staate, im demokratischen Staate, auf dem Boden, auf dem das Recht leben soll, der einzelne Mensch dem einzelnen Menschen gegenübersteht. Die Menschen können nur dann gleich sein, wenn ein Mensch dem anderen als Einzelner gegenübersteht. Auf dem Boden des Wirtschaftslebens und auf dem Boden des Geisteslebens muß es Korporationen geben. Auf dem Boden des Staates kann es nur Recht geben, das ist für alle Menschen dasselbe, das kann auch jeder erwachsene Mensch durchschauen. Davon ist aber das Äquivalent, daß jede Privatperson, daß jeder einzelne nur der Steuerträger ist. Das kann proportional so eingerichtet werden, daß nie Ungerechtigkeit vorkommt, aber diese Proportionalität wird nicht notwendig sein, wenn wirklich ein Ausgleich unter den Menschen da ist. Die Steuerfrage wird dann etwas ganz anderes sein. Deshalb gelten die Dinge, um die es sich handelt und die heute gefragt werden können, mehr für das Übergangsstadium. Da muß man oftmals ja Dinge machen, die nicht bleiben. Da handelt es sich natürlich darum, daß man allmählich die Wege schafft zu der Besteuerung des einzelnen Menschen, nicht zur Besteuerung von Komplexen [...] Natürlich muß auch eine Verbrauchssteuer geschaffen werden, womit ich nicht die indirekten Steuern meine, die ungerecht sind. Also, eine Verbrauchssteuer muß geschaffen werden, das heißt, daß derjenige, der viel Geld verbraucht, natürlich mehr herangezogen werden muß als derjenige, der nicht viel verbraucht, denn wenn sich einer das Geld in den Strohsack legt, so hat das für das soziale Leben keine Bedeutung. Bedeutung erlangt es erst dann, wenn es ausgegeben wird.

Das sind natürlich so spezielle Fragen, die heute, weil sie ganz einzelne praktische Fragen sind, im Grunde genommen immer nur mangelhaft beantwortet werden können, weil auch die Einrichtungen im Übergangsstadium noch nicht gut sein können. Wenn wir eine Denkweise finden, die es ermöglicht, das gerecht zu verteilen, was dem Staate zukommt, so werden wir auch einen Weg finden, daß wir den, der heute noch ein großes Einkommen hat, mehr besteuern als den, der weniger hat. Und das, was Herr Mittwich in bezug auf die Zukunft gesagt hat, das kann nur verwirklicht werden, wenn alles das da sein wird, was durch die Dreigliederung geschaffen werden kann.