Direkte und indirekte Demokratie beschränken

Quelle: GA 329, S. 221-222, 1. Ausgabe 1985, 14.10.1919, Bern

Da ist nicht hingestellt ein fertiges Programm, sondern da wird davon ausgegangen, daß der soziale Organismus selber, also das menschliche Gesellschaftsleben in einer gewissen Weise gegliedert werden soll, so gegliedert werden soll, daß gesonderte Verwaltungen dastehen für das Wirtschaftsleben, für das demokratische, politische oder Rechtsleben und eine selbständige Verwaltung für das Geistesleben.

Nun kann man natürlich leicht sagen: Da trennst du ja eigentlich, was eine Einheit sein muß, die ganze menschliche Gesellschaft, die menschliche Gesellschaftsorganisation in drei Gebiete. Aber gerade durch die selbständige Verwaltung der drei Gebiete wird es möglich, die richtige Einheit dieser Gebiete zu bewirken. Es handelt sich ja nicht darum, daß etwa erneuert werde, wie manche geglaubt haben, dasjenige, was in der vorchristlichen, in der platonischen Weltanschauung gefordert wurde als Lehrstand, Wehrstand, Nährstand. Nein, damals hat man die Menschheit als solche gegliedert in drei Stände; so daß der eine zu dem einen, der andere zum zweiten, der dritte zum dritten Stande gehört hat. Gerade das soll vermieden werden, daß die Menschen nicht Menschen sein können im Ganzen, sondern in Stände zerfallen. Es wird nicht die Menschheit als solche gegliedert, sondern es wird das menschliche Leben gegliedert. Und derjenige, der im Leben drinnensteht, er steht in einer gewissen Weise auf allen drei Böden: In dem Geistesleben insofern er einen lebendigen Anteil hat an dem Geistesleben in der einen oder anderen Weise; er steht darinnen in dem Rechtsleben, in den gesamten Rechtsfragen, weil er ein mündig gewordener Mensch ist in diesem Teil, entweder direkt durch irgendein Referendum oder indirekt durch Vertretung und dergleichen, und er steht in dem, worinnen er durch seine Person Kredit hat, oder Sach- und Fachkenntnis hat, in einem bestimmten Wirtschaftsgebiete, in welchem er eingegliedert ist durch eine Assoziation; das ganze Wirtschaftsleben ist in sich gegliedert.

Und nun zeigt sich gerade an den verschiedenen Einwürfen, die gemacht worden sind, wie wenig man den Grundgedanken heute noch verstanden hat. So zum Beispiel erschien in einer Zeitschrift eine lange Besprechung dieser Dreigliederung des sozialen Organismus, und es wurde gesagt: Ja, der will drei Parlamente an die Stelle des einen Parlamentes setzen - ein geistiges Parlament, ein Rechtsparlament und ein Wirtschaftsparlament. Worauf es ankommt, ist aber dieses, daß in einem demokratischen Parlament nur entschieden werden kann dasjenige, wozu urteilsfähig geworden ist jeder Mensch, wozu keine Sach- und Fachkenntnis gehört, und daß gerade ausgeschieden werden soll dasjenige, wozu Sach- und Fachkenntnis gehört. Also, wenn auf dem Gebiete des geistigen Lebens und auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens kein Parlament dasein darf, so [deshalb, weil dort] die Sache eben umgekehrt ist. Es handelt sich also darum, ehrlich den Parlamentarismus zu verwenden, indem man ihn auf dasjenige Gebiet beschränkt, auf dem er sich wirklich sachgemäß ausleben kann.