Rechts- als Menschheitsboden

Quelle: GA 329, S. 209-211, 1. Ausgabe 1985, 14.10.1919, Bern

Aber im selbständigen Rechtsleben kann Rechtsschöpfung nur aus dem selbständigen Rechtsbewußtsein entstehen. Das heißt, es muß sich entwickeln neben dem Wirtschaftsleben ein selbständiges Staats- oder Rechtsglied des sozialen Organismus. Es wird gerade dieses Glied alles dasjenige umfassen, worinnen alle mündig gewordenen Menschen urteilsfähig geworden sind.

Das Geistesleben wird man niemals demokratisch verwalten können; das Geistesleben muß man verwalten aus Sach- und Fachkenntnis des Einzelnen, Maßgebenden. Dasjenige aber, was Wirtschaftsleben als solches ist, das kann auch nicht demokratisch verwaltet werden. Das muß so verwaltet werden, daß wiederum das dem wirtschaftlichen Gebiete Entsprechende das Zugrundeliegende ist. Dieses Wirtschaftsleben muß so verwaltet werden, daß derjenige, der auf einem Gebiete wirtschaftet, in diesem Wirtschaftsgebiete drinnen geistig mündig ist, fest begründet ist. Dieses Drinnenstehen, Begründetsein, stark Begründetsein, dieses Heraus-handeln-Können aus einem Wirtschaftsgebiet, das wird untergraben, wenn in demokratischer Weise entschieden werden soll, wie in den einzelnen Betrieben gearbeitet werden soll, oder was in den einzelnen Betrieben gearbeitet werden soll und so weiter.

Wenn für das soziale Gemeinwesen wirklich die Kräfte, die da sind, fruchtbar gemacht werden sollen, so geschieht das nur dadurch, daß der einzelne Vertreter aus Sachkenntnis, aus Fachtüchtigkeit auf seinem rechten Posten steht und für die Gemeinschaft dasjenige produziert, was er nach seinen Fähigkeiten produzieren kann. Dabei bleibt aber noch immer dasjenige, worüber nicht er ausschlaggebend ist allein, sondern worüber urteilsfähig ist jeder mündig gewordene Mensch, der das demokratische Element vertritt, wobei jeder Mensch gleich ist, gleich darinnen steht, auch worinnen jeder ein Verhältnis entwickeln soll von Mensch zu Mensch.

Immerfort wird auf sozialistischem Boden heute betont: Der Arbeiter ist getrennt von seinem Arbeitsprodukt, er erarbeitet das Produkt, das er kaum kennenlernt, oder von dem er nur einen Teil kennenlernt. - Das ist gewiß alles wahr. Das Produkt geht auf den Markt über, er ist von ihm getrennt, er ist von seinem Arbeitsgebiet getrennt, er leistet seine Arbeit, seine Menschenarbeit einfach ab an etwas, das er gar nicht kennt. Aber nur solange ist das der Fall, als wir neben dem Wirtschaftsleben, in das der einzelne eingespannt ist, nicht ein selbständiges Glied haben, nicht ein selbständiges Leben haben, wo man sich von Mensch zu Mensch ausbildet, weil man als Mensch neben dem Menschen ein gleicher ist. Dieses selbständige Leben, auf dem nur entschieden wird, was rechtens ist, dieses eigentliche politische Leben, das ist der Inhalt des Staatslebens. Das ist dasjenige, worinnen Demokratisches wahrhaftig sich entwickeln kann. Das muß aber im Konkreten gepflegt werden. Man kann nicht sagen: diejenigen, die auf einem bestimmten Gebiete des wirtschaftlichen Lebens Ausgezeichnetes geleistet haben, die werden auch auf dem Rechtsgebiet Ausgezeichnetes leisten, so daß dieses Reichsgebiet am besten von ihnen gepflegt werden kann. Nein, das ist nicht der Fall, weil der Mensch nur dasjenige pflegen kann, nur in dem urteilsfähig werden kann, was sich im Leben konkret wirklich entwickelt. Es darf nicht verbunden sein chaotisch das Rechtsleben mit dem Wirtschaftsleben, sondern es muß das Rechtsleben neben dem Wirtschaftsleben dastehen. Und es muß sich der Mensch in ein Verhältnis setzen, in ein konkretes Verhältnis auf dem Rechtsboden zu dem anderen Menschen. Es müssen sich in ihm Interessen entwickeln für die anderen Menschen, mit denen er zusammenlebt im Wirtschaftsleben, wenn das Wirtschaftsleben Bedürfnisse entwickelt, die zu befriedigen sind. Auf dem Boden des Rechts, da wird jeder Mensch wissen: du bist ein Glied in der übrigen Menschheit, du nimmst teil an etwas, was dein Verhältnis und kein anderes, was dein Verhältnis unter den anderen bestimmt. Du stehst in der ganzen Menschheit, du lernst dich nun erkennen als das Glied des auf Gleichheit der Menschen, auf Demokratie gebauten Staates. Dieser Staat wird für dich eine Realität. Denn er wird eine Realität, indem er vor allen Dingen dein Arbeitsrecht behandelt. Das Arbeitsrecht wird nicht mehr im Wirtschaftsleben eingerichtet, nicht mehr wird der Arbeiter abhängig sein von der wirtschaftlichen Macht desjenigen, mit dem er zusammen die Arbeit leisten und die Arbeit unternehmen kann, sondern dasjenige gilt, worinnen jeder Mensch gleich ist. Auf dem abgesonderten Rechtsboden wird das zu entscheiden sein, worin jeder Mensch gleich ist.