Okkulte Logen als Parallelströmung zur Demokratie

Quelle: GA 174, S. 089-091, 1. Ausgabe 1966, 08.01.1917, Dornach

Fassen wir einmal, zusammen mit den Gesichtspunkten, die ich Ihnen entwickelt habe, ins Auge, daß sich die moderne Freimaurerei in England, selbstverständlich auf Früherem aufbauend, im Beginne des 18. Jahrhunderts konsolidiert. Im Inneren des Britischen Reiches, nicht des Imperiums, aber des Vereinigten Königreichs, bleibt die Freimaurerei im wesentlichen - ich möchte, um mich genau auszudrücken, sagen - so, daß schon sehr respektable Interessen verfolgt werden. Aber überall anders, an vielen Orten außerhalb des eigentlichen Britischen Reiches, werden von der Freimaurerei ausschließlich oder hauptsächlich politische Interessen verfolgt. Solche politischen Interessen im allerausgesprochensten Sinne werden ja verfolgt von dem «Grand-Orient de France», aber auch von andern «Grand-Orients». Nun könnte man sagen: Was geht denn das die Engländer an, wenn in andern Ländern politische Tendenzen verfolgt werden von gewissen Freimaurerorden, die okkulten Hintergrund haben? Aber halten Sie damit die Tatsache zusammen, daß die erste Hochgradloge in Paris von England aus begründet worden ist, nicht von Frankreich aus! Nicht Franzosen, sondern Briten haben sie begründet; sie haben die Franzosen in ihre Loge nur eingefädelt. Halten Sie auch den Umstand damit zusammen, daß, sich anschließend an diese Hochgradloge, die 1725 von England aus in Paris begründet wurde, dann 1729 eine der erstbegründeten entsprechende Loge in Paris selbst vom Grand-Orient sanktioniert wurde. Dann erfolgten, wiederum von England aus, Gründungen in Gibraltar 1729, Madrid 1728, Lissabon 1736, Florenz 1735, Moskau 1731, Stockholm 1726, Genf 1735, Lausanne 1739, Hamburg 1737. Ich könnte das Verzeichnis lange fortsetzen; ich könnte Ihnen zeigen, wie mit einem Netz, zwar andern Charakters als im Britischen Reich selber, diese Logen gegründet worden sind als die äußeren Instrumente für gewisse okkultistisch-politische Impulse.

Neben den sich überschlagenden Wandlungen, wie sie sich historisch zeigen etwa in dem Furor der Jakobiner, dem politischen Wirken der Carbonarl, der Cortes in Spanien und anderen ähnlichen Zusammenhängen, spielen sie auch stark hinein in die kulturgeschichtliche Entwickelung und treiben Ranken, die man verfolgen kann bis in die Werke der größten Geister jener Zeit. Man denke an die von Rousseau ausgehende Naturphilosophie, an die immer zynischer werdende, jedoch zuerst aufklärerisch wirkende kritische Philosophie eines Voltaire, an die den damaligen Zynismus überwinden wollenden Bemühungen der Illuminaten und ähnlicher Kreise. Diese fortschrittlichen Kreise wurden von der Reaktion zertreten und wirkten unterirdisch mannigfaltig weiter. Und jetzt haben Sie den Ursprung von vielem, das ich Ihnen ja schon charakterisiert habe. Aber Sie müssen einen gewissen Wert darauf legen, daß heute der englische Freimaurer sagen kann: Seht unsere Logen an, die sind sehr anständig - und die andern gehen uns nichts an. Wenn man aber den historischen Zusammenhang und die im Wechselspiel gegeneinander gerichteten treibenden Kräfte durchschaut, dann ist es durchaus hohe britische Politik, die sich dahinter verbirgt.

Wenn man nach den tieferen Gründen dieser Politik frägt, muß man, um die Sache zu verstehen, die neuere Geschichte ein wenig zu Hilfe nehmen. Diese geht seit dem 17. Jahrhundert - seit dem 16. bereitet sich das schon vor - darauf aus, zu demokratisieren, in dem einen Land mit größerer, in dem andern mit geringer Geschwindigkeit, indem man den Wenigen die Macht wegnimmt und sie über große Massen ausbreitet. Ich treibe nicht Politik, daher werde ich mich weder für oder gegen Demokratie oder für oder gegen etwas anderes aussprechen; ich will nur Tatsachen hinstellen. Der Drang nach Demokratisierung geht durch die neuere Zeit in mehr oder minder beschleunigtem Tempo, so daß sich verschiedene Strömungen dabei bilden. Aber es ist ein Fehler, überall da, wo mehrere Ströme in Betracht kommen, nur den einen zu verfolgen. Strömungen verlaufen eben in der Welt so, daß immer die eine das Komplement der andern ist. Ich möchte sagen: eine grüne und eine rote Strömung laufen nebeneinander, wobei die Farbe nichts Okkultes bedeuten, sondern nur besagen soll, daß eben zwei Strömungen nebeneinander laufen.

Aber die Menschen werden gewöhnlich, ich möchte sagen, hypnotisiert, immer nur auf die eine Strömung zu blicken und sehen dann die historische Parallelströmung nicht. Wenn man einem Huhn den Schnabel in den Erdboden drückt und eine Linie zieht, so läuft es bekanntlich dieser Linie entlang. So sind die Menschen heute, besonders die Universitätshistoriker, sie betrachten immer nur eine Seite, daher können sie niemals den historischen Gang wirklich verstehen.

Als eine Parallelströmung zu der demokratischen ergab sich die Benutzung okkulter Motive in den verschiedenen Orden, vereinzelt auch in den Freimaurerorden. Geistig sind sie ja durch ihre Zwecke und Ziele nicht, aber, sagen wir, es entwickelte sich eine geistige Aristokratie parallel zu jener Demokratie, die in der Französischen Revolution wirkte, es entwickelte sich die Aristokratie der Loge. Wollte man als Mensch in der heutigen Zeit klar sehen, um der Welt offen gegenübertreten und sie verstehen zu können, so müßte man sich nicht durch die demokratische Logik, die ja nur in ihrer eigenen Sphäre berechtigt ist, durch Phrasen über den demokratischen Fortschritt und so weiter blenden lassen; man müßte eben auch hinweisen auf jenes Einschiebsel, das sich geltend machte in dem Bestreben, den Wenigen die Herrschaft zu verschaffen durch die Mittel, die man im Schoß der Loge hat, dem Ritual und seiner suggestiven Wirkung. Auf dieses müßte man auch hinweisen.