Dreigliederung statt Demokratie oder Diktatur

Quelle: GA 024, S. 066-067, 2. Ausgabe 1982, 09.1919

Über den Profit des wirtschaftlichen Unternehmers bestehen einander bekämpfende Ansichten. Seine Verteidiger sagen, der Mensch ist so geartet, daß er für irgendeine der Gesamtheit dienende Unternehmung seine Fähigkeiten nur einsetzt, wenn er durch die Aussicht auf den Profit dazu veranlaßt wird. Daher entspringe zwar der Profit aus dem Egoismus; aber er leiste der Gesamtheit Dienste, die sie entbehren müßte, wenn sie ihn aus dem Wirtschaftskreislauf ausschalten würde. Die Bekämpfer dieser Ansicht sagen, es soll nicht produziert werden, um zu profitieren, sondern um zu konsumieren. Man müsse Einrichtungen treffen, deren Wesen darin besteht, daß Menschen ihre Kräfte zum Nutzen der Gesamtheit gebrauchen, auch wenn sie dazu nicht durch die Aussicht auf Profit verlockt werden. Mit solchen sich widerstreitenden Meinungen geht es im Öffentlichen Leben zumeist so, daß man sie nicht zu Ende denkt, sondern die Macht über sie entscheiden läßt. Ist man demokratisch gestimmt, so findet man berechtigt, daß Einrichtungen verwirklicht werden, oder, wenn sie bestehen, verwirklicht bleiben, die den Interessen und Wünschen der Mehrheit entsprechen. Ist man eigensinnig von der Rechtmäßigkeit dessen überzeugt, was den eigenen Wünschen und Interessen gemäß ist, so strebt man nach einer autoritativen Zentralgewalt, welche Einrichtungen trifft, die im Sinne dieser Wünsche und Interessen gehalten sind. Man will dann nur selbst auf diese Zentralgewalt so viel Einfluß gewinnen, daß durch sie geschieht, was man erstrebt. Was man heute «Diktatur des Proletariats» nennt, entspringt dieser Gesinnung. Die es fordern, tun dies aus ihren Wünschen und Interessen heraus; sie versuchen nicht durch ein wirklichkeitsgemäßes Denken zu erfahren, ob ihre Forderung auf Einrichtungen hinzielt, die in sich sachlich möglich sind.

Die Menschheit steht gegenwärtig in einem Punkte ihrer Entwickelung, in dem ein solches Wirken im Zusammenleben der Menschen, das nur auf Geltendmachung des Gewünschten geht, nicht mehr möglich ist. Ganz unabhängig von dem, was dieser oder jener Mensch, diese oder jene Menschengruppe will: im Bereich des Öffentlichen Lebens werden von der Gegenwart an nur Bestrebungen gesund wirken, die von Gedanken ausgehen, welche zu Ende gedacht sind. Wie stark man sich auch aus der menschlichen Leidenschaft heraus wehren mag, dieses von dem Geiste der Menschheit geforderte Wirken zu Ende gedachter Ideen in das Leben eintreten zu lassen: man wird sich zuletzt zu ihm wenden müssen, weil man sehen wird, daß sein Gegenteil sozial ungesunde Folgen hat.

In dem Sinne von zu Ende gedachten Gedanken ist die Ansicht von der notwendigen Dreigliederung des sozialen Organismus gehalten.