Überleitung des Kapitals durch Schenkgeld

Quelle: GA 340, S. 089-093, 5. Ausgabe 1979, 29.07.1922, Dornach

Wir können diesen Kreis hier (siehe Zeichnung unten), der sehr lehrreich sein kann, mit allen möglichen Eigenschaften ausstaffieren, und es wird immer die Frage sein, wie wir die einzelnen volkswirtschaftlichen Vorgänge, volkswirtschaftlichen Tatsachen in diesen Kreis, der uns eben der Kreisgang des volkswirtschaftlichen Prozesses ist, hineinbringen. - Da gibt es eine Tatsache, die spielt sich ab unmittelbar auf dem Markt bei Verkauf und Kauf, wenn ich dasjenige, was ich bekomme, gleich bezahle. Es kommt nicht einmal darauf an, daß ich es gleich mit Geld bezahle, ich kann es auch noch, wenn es Tauschhandel ist, mit der entsprechenden Ware bezahlen, die der Betreffende annehmen will. Es kommt darauf an, daß ich zunächst gleich bezahle, das heißt überhaupt zahle. Und jetzt haben wir wieder nötig, an dieser Stelle (siehe Zeichnung) von der gewöhnlichen trivialen Betrachtung zur volkswirtschaftlichen Betrachtung überzugehen. Es spielen nämlich in der Volkswirtschaft die einzelnen Begriffe fortwährend ineinander, und die Gesamterscheinung, die Gesamttatsache, ergibt sich aus dem Zusammenspiel der verschiedensten Faktoren.

Sie können sagen: Es wäre ja auch denkbar, daß durch irgendeine Maßregel überhaupt niemand gleich bezahlen würde - dann gäbe es das Gleichzahlen nicht. Man würde also immer erst, sagen wir, nach einem Monat zahlen oder nach irgendeiner Zeit. Ja, es handelt sich nur darum, daß man dann in einer ganz falschen Begriffsbildung drinnen ist, wenn man sagt: Heute übergibt mir jemand einen Anzug und ich bezahle ihn nach einem Monat. Ich bezahle eben nach einem Monat nicht mehr diesen Anzug allein, sondern ich bezahle dann in diesem Moment etwas anderes: ich bezahle dasjenige, was unter Umständen durch eine Steigerung oder Erniedrigung der Preise etwas anderes ist, ich bezahle ein Ideelles dazu. Also der Begriff des A-tempo-Zahlens, der muß durchaus da sein, und der ist beim einfachen Kauf da. Und etwas wird eine Ware des Marktes dadurch, daß ich es gleich bezahle. So ist es im wesentlichen mit denjenigen Waren, die bearbeitete Natur sind. Da zahle ich, da spielt das Zahlen die wesentliche Rolle. Dieses Zahlen muß durchaus sein; denn zahlen tue ich dann, wenn ich meine Börse aufmache und Geld weggebe, und der Wert wird bestimmt in dem Moment, wo ich das Geld weggebe oder meine Ware gegen eine andere austausche. Da wird bezahlt. Dieses ist das eine, daß im volkswirtschaftlichen Prozeß gezahlt werden muß.

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Das Zweite ist das, worauf ich gestern schon aufmerksam gemacht habe, was eine ähnliche Rolle spielt wie das Zahlen. Das ist das Leihen. Das tangiert, wie gesagt, das Zahlen als solches nicht; das Leihen ist wiederum eine ganz andere Tatsache, die doch da ist. Wenn ich Geld geliehen bekomme, kann ich meinen Geist anwenden auf dieses geliehene Kapital. Ich werde zum Schuldner; aber ich werde zum Produzenten. Da spielt das Leihen eine wirklich volkswirtschaftliche Rolle. Es muß möglich sein, daß ich, wenn ich geistig befähigt bin, dieses oder jenes zu tun, Leihkapital bekomme, ganz gleichgültig woher; aber ich muß es bekommen, es muß einfach Leihkapital geben. Es muß also zum Zahlen das Leihen kommen (siehe Zeichnung). Und damit haben wir zwei ganz wichtige Faktoren im volkswirtschaftlichen Prozeß darinnen: das Zahlen und das Leihen.

Und jetzt können wir wirklich durch eine einfache Deduktion - wir müssen sie nur da (siehe Zeichnung) verifizieren - das Dritte finden. Sie werden in keinem Moment im Zweifel sein, was dieses Dritte ist. Zahlen, Leihen - und das Dritte ist Schenken. Zahlen, Leihen, Schenken: Das ist tatsächlich eine Trinität von Begriffen, die in eine gesunde Volkswirtschaft hineingehört. Man hat eine gewisse Abneigung, das Schenken zum volkswirtschaftlichen Prozeß zu rechnen; aber, wenn es das Schenken irgendwo nicht gibt, so kann überhaupt der volkswirtschaftliche Prozeß nicht weitergehen. Denn denken Sie sich doch einmal, was wir machen sollten aus den Kindern, wenn wir ihnen nichts schenken würden. Wir schenken fortwährend an die Kinder und, im volkswirtschaftlichen Prozeß darinnen gedacht, ist eben dann das Schenken da, wenn wir ihn vollständig betrachten, wenn wir ihn als einen fortlaufenden Prozeß betrachten. So daß der Übergang von Werten, die eine Schenkung bedeuten, eigentlich sehr mit Unrecht angesehen wird als irgend etwas, was nicht zulässig ist im volkswirtschaftlichen Prozeß. Sie finden daher - zum Horror sehr vieler Leute -in meinen «Kernpunkten der sozialen Frage» gerade diese Kategorie ausgebildet, wo die Werte übergehen, zum Beispiel die Produktionsmittel übergehen, im Grunde genommen durch einen Prozeß, der mit dem Schenken identisch ist, auf den, der dazu befähigt ist, sie weiter zu verwalten. Daß die Schenkung nicht in konfuser Weise gemacht wird, dafür muß eben vorgesorgt werden; aber im volkswirtschaftlichen Sinn ist das eine Schenkung. Diese Schenkungen sind durchaus notwendig. [...]

Nun, man kann störend eingreifen in den volkswirtschaftlichen Prozeß, wenn man diese Trinität eben nicht in der richtigen Weise, das eine mit dem anderen in ein Verhältnis bringt. Es gibt heute viele Leute, die enthusiasmieren sich ganz besonders dafür, daß zum Beispiel Erbschaften, die auch Schenkungen sind, daß diese hoch besteuert werden müssen. Ja, das bedeutet ja nicht irgend etwas volkswirtschaftlich Bedeutsames; denn man entwertet die Erbschaft eigentlich nicht, wenn, sagen wir, sie einen Wert = W hat, und man teilt diesen Wert = W in zwei Teile, W 1 und W 2, und gibt dieses W 2 an jemand anderen ab und läßt dem einen nur das W 1, dann wirtschaften halt mit diesem Wert W die beiden zusammen. Und es handelt sich darum, ob derjenige, der das W 2 hat, ebenso günstig wirtschaften wird wie derjenige, der eventuell W 1 und W 2 zusammen bekommen hätte. Nicht wahr, es kann jeder selber nach seinem Geschmack das Folgende entscheiden: Ob nun ein gescheiter Einzelner, wenn er die Gesamterbschaft bekommt, besser wirtschaftet, oder ob besser wirtschaftet derjenige, der nur einen Teil der Gesamterbschaft bekommt und den anderen Teil der Staat, und der also mit dem Staat zusammen wirtschaften muß.

Das sind die Dinge, die ganz entschieden abführen von dem rein volkswirtschaftlichen Denken; denn es ist ein Denken des Ressentiments, ein Denken aus dem Gefühl heraus. Man beneidet eben die reichen Erben. Das mag ja begründet sein; aber von solchen Dingen allein kann man nicht reden, wenn man volkswirtschaftlich denken will. Darauf kommt es an, was im volkswirtschaftlichen Sinn gedacht werden muß; denn danach muß sich erst richten, was sonst einzutreten hat. So können Sie sich natürlich einen sozialen Organismus denken, der dadurch krank wird, daß in unorganischer Weise das Zahlen mit dem Leihen und dem Schenken zusammenwirkt, indem man gegen das eine oder andere auftritt oder das eine und das andere fördert. Irgendwie zusammenwirken tun sie doch. Denn schaffen Sie nur das Schenken auf der einen Seite ab, so lagern Sie es nämlich nur um. Und entscheidend ist nicht die Frage, ob man umlagern soll, sondern ob das Umlagern immer günstig ist; denn ob die Erbschaft der einzelne individuelle Erbe allein antritt oder mit dem Staat zusammen, das ist eine Frage, die erst volkswirtschaftlich entschieden werden muß. Ob das eine oder das andere günstiger ist, das ist es, worauf es ankommt.

Nun aber, das Wichtige ist nämlich dieses, daß wir vor der Tatsache stehen, daß ja das freie Geistesleben mit einer gewissen Notwendigkeit herausentsteht aus dem Eintritt des Geistes überhaupt in das Wirtschaftsleben. Und dieses freie Geistesleben - ich habe es vorhin gesagt -, es führt dazu, daß reine Konsumenten da sind für die Vergangenheit. Aber wie steht es denn mit diesem freien Geistesleben mit Bezug auf die Zukunft? Da ist es nämlich in einem gewissen Sinn mittelbar produktiv, aber außerordentlich produktiv. Wenn Sie sich nämlich dieses freie Geistesleben auch wirklich befreit denken im sozialen Organismus, so daß tatsächlich immer die Fähigkeiten sich voll entwickeln können, dann wird gerade dieses freie Geistesleben in der Lage sein, einen außerordentlich befruchtenden Einfluß auszuüben auf das halbfreie Geistesleben, auf dasjenige Geistesleben, das in das materielle Schaffen hineingeht. Und da, wenn wir das betrachten, beginnt die Sache eine durchaus volkswirtschaftliche Seite zu bekommen.