Der Künstler und die wirtschaftliche Urzelle

Quelle: GA 337b, S. 098-110, 1. Ausgabe 1999, 30.08.1920, Dornach

Paul Baumann: In welchem Verhältnis steht der Künstler beziehungsweise seine Arbeitsleistung zur sozialen Urzelle? Hat er nicht auch Arbeitsleistungen zu erbringen in Zeiten der Vorbereitung?

Rudolf Steiner: Wenn es sich um Kunst und soziales Leben handelt, so habe ich eigentlich immer ein gewisses unbefriedigendes Gefühl bei einer diese beiden Dinge betreffenden Diskussion, aus dem einfachen Grunde, weil schon die ganze Art der Gedankeneinstellung, der Seeleneinstellung, die in Frage kommt, wenn man von sozialer Gestaltung, von sozialer Struktur spricht, eine etwas andere sein muß als diejenige, die man haben muß, wenn man von Kunst, von ihrem richtigen Hervorgehen aus der Menschennatur und ihrer Geltendmachung im Leben, vor den Menschen reden soll.

In einer gewissen Beziehung sind die beiden Gebiete miteinander nicht recht vergleichbar. Und gerade weil sie das nicht sind - nicht, weil sie es sind, sondern weil sie es nicht sind - scheint mir, daß man gerade vom Gesichtspunkte der Dreigliederung des sozialen Organismus die ganze Stellung der Kunst zum Künstler und zur Menschheit beleuchten kann. Wenn man allerdings von der Kunst im sozialen Organismus spricht, so sollte man keinen Augenblick vergessen, daß die Kunst zu den höchsten Blüten des menschlichen Lebens gehört und daß der Kunst alles schädlich ist, was an ihr so ist, daß man es nicht zu den höchsten Blüten der Ausgestaltung des menschlichen Lebens rechnen kann. Und so muß man sagen: Wird es einem dreigliedrigen sozialen Organismus möglich sein, das Leben im allgemeinen so zu gestalten, daß Künstler und Kunst aus diesem Leben hervorgehen können, so wird dies eine gewisse Probe für die Richtigkeit, auch für die innerliche Berechtigung der Dreigliederung des sozialen Organismus sein. Aber es wird sich nicht gut die Frage stellen lassen: Wie muß man das eine oder andere einrichten im dreigliedrigen sozialen Organismus, um zu einer richtigen Kunstpflege oder zu einem richtigen Geltendmachen des Künstlers zu kommen? Vor allen Dingen wird ja die Frage sein: Wie werden die Menschen leben im dreigliedrigen sozialen Organismus? Man kann sagen: Wäre die Idee von der Dreigliederung des sozialen Organismus irgendeine utopistische Idee, so würde man natürlich sagen können, was man von Utopien sagt: Die Menschen werden glücklich leben - so glücklich, als es nur sein kann. - Nun geht ja die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus gar nicht von solchen utopistischen Bedingungen aus, sondern sie fragt einfach: Wie ist die naturgemäße Struktur, die selbstverständliche Struktur des sozialen Organismus?

Man könnte sich ja gut vorstellen, daß irgendein Mensch die Idee hätte, der Mensch als solcher könnte ja viel schöner sein, als er ist, und die Natur habe eigentlich nicht alles getan, um den Menschen schön genug zu machen. Ja aber, so wie einmal die Welt im ganzen ist, so mußte der Mensch so werden, wie er ist. Es kann natürlich sein, daß irgendein Lenin oder Trotzki sagt: Der soziale Organismus muß so und so sein. - Darauf kommt es aber gar nicht an. Ebensowenig kommt es darauf an, ob sich irgend jemand ein anderes Wesen des Menschen vorstellt, als aus dem Ganzen der Natur heraus entstehen kann. Es kommt darauf an, welche inneren Gesetzmäßigkeiten der soziale Organismus haben muß. Und versteht man von diesem ganz durch und durch praktischen Gesichtspunkte aus den dreigliedrigen sozialen Organismus, so kann man dann auch schon Vorstellungen gewinnen darüber, was in diesem dreigliedrigen sozialen Organismus möglich sein wird. Vor allen Dingen wird eine gewisse ökonomische Ausnutzung der Zeit möglich sein im dreigliedrigen sozialen Organismus, ohne daß man Arbeitszwang oder dergleichen schöne Dinge brauchen wird, die alle Freiheit gründlich ausrotten würden. Es wird einfach unmöglich sein durch die Dinge, wie sie sich im dreigliedrigen sozialen Organismus ergeben, daß so viele Menschen wie jetzt unnütz herumlungern. Ich weiß, daß man mit diesen Worten «unnütz herumlungern» Mißverständnisse hervorruft; denn die Leute werden sagen: Ja, die eigentlichen Herumlungerer, die eigentlichen Lebensbummler, das sind nur sehr wenige. - Darauf kommt es aber nicht an, sondern es kommt darauf an, ob diejenigen Menschen, die viel tun, etwas tun, was unbedingt für das Leben notwendig ist, ob sie etwas tun, was sich rationell, fruchtbar in das Leben hineinstellt.

Wenn Sie heute irgendeinen Zweig des Lebens ins Auge fassen - ich will gleich denjenigen herausheben, der ja am brüchigsten ist in diesem heutigen Leben -, wenn Sie zum Beispiel den Journalismus ins Auge fassen und sehen, wieviel menschliche Arbeitskraft notwendig ist, vom Setzergesellen an bis zu all den anderen, die damit beschäftigt sind, daß Zeitungen zustandekommen. Nehmen Sie all das zusammen, was da an Arbeit geleistet wird - der größte Teil dieser Arbeit wird von Lebensbummlern geleistet, denn der größte Teil dieser Arbeit ist eigentlich unnötige Arbeit. Man kann das alles rationeller machen, ohne so viele Menschen dabei zu beschäftigen. Nicht darum handelt es sich, daß man möglichst viele Menschen mit etwas sich befassen läßt, damit sie leben können, sondern darum, daß im Sinne eines wirklichen sozialen Lebenskreislaufes diejenigen Beschäftigungen verrichtet werden, die zu einem gedeihlichen Entfalten dieses Lebens, dieses sozialen Kreislaufs, nötig sind. Das alles, was heute an Chaotischem entsteht in bezug auf die Verwertung der menschlichen Arbeitskraft, das hängt ja damit zusammen, daß wir eigentlich gar keinen sozialen Organismus haben, sondern wir haben eigentlich ein durch die Vergötterung des Einheitsstaates hervorgerufenes soziales Chaos. Ich habe oftmals Beispiele hervorgehoben von diesem sozialen Chaos. Nehmen Sie nur einmal an, wie viele Bücher heute gedruckt werden, von denen keine fünfzig Exemplare verkauft werden. Nun, nehmen Sie solch ein Buch - wie viele Menschen sind damit beschäftigt, bis es fertig ist! Die haben ihr Auskommen, aber sie machen ganz unnötige Arbeit. Wenn sie etwas anderes täten, wäre es gescheiter, und es würden dadurch unzählige andere Menschen nach einer gewissen Seite hin entlastet. So aber arbeiten unzählige Setzer, arbeiten unzählige Buchbinder, sie machen Stöße von Büchern - meistens sind es lyrische Gedichte, es kommen aber auch noch andere Dinge in Betracht -, Stöße von Büchern werden fabriziert; fast alle müssen wieder eingestampft werden. Aber solche unnötigen Dinge gibt es viele im heutigen Leben; unzähliges ist absolut unnötig.

Was bedeutet das? Denken Sie sich einmal, unser menschlicher Organismus wäre nicht ordentlich gegliedert in das Nerven-Sinnes-System, das seine Lokalisierung im Kopf hat, in das rhythmische und in das Gliedmaßensystem, die in regulärer Weise zusammenwirken und dadurch ökonomisch wirken. Denken Sie sich einmal, wir waren so ein Einheitswesen, das überall durcheinandergeht, wo überall Unnützes fabriziert wird, das alles schnell wieder ablaufen muß: es würde gar nicht genügend sein, was der Mensch heute an Abflußorganen hätte für unnütze Dinge. Das müssen wir bedenken. Wir müssen uns klar darüber sein, daß es darauf ankommt, daß dieser soziale Organismus gegliedert, daß er tatsächlich innerlich gesetzmäßig gestaltet sein muß; dann wird er auch ökonomisch sein. Dann wird die menschliche Arbeit an ihrem richtigen Platze überall stehen, und vor allen Dinge, es wird nicht unnütze Arbeit verrichtet werden.

Was folgt daraus? Die Menschen werden Zeit haben. Und dann, meine sehr verehrten Anwesenden, dann ist die Grundlage erst gegeben für solche freie Betätigungen, wie es die Kunst und ähnliche Dinge sind. Dazu gehört Zeit. Und aus der Zeit heraus wird dasjenige kommen, was da sein muß zur Kunst, und die Kunst wird dann mit etwas anderem zusammen wirken, sie wird wirken zusammen mit dem freien Geistesleben. Dieses freie Geistesleben geht darauf hinaus, mit der im dreigliedrigen sozialen Organismus vorhandenen Zeit zusammen die Begabungen zu entwickeln -nicht in dieser perversen Weise, wie es heute der Fall ist, sondern in einer naturgemäßen Weise. Wenn der freie geistige Organismus wirklich von den anderen Organismen abgesondert wird, dann wird die Zahl der verkannten Genies wesentlich abnehmen, denn es wird eine viel naturgemäßere Entwicklung da sein. Man wird viel weniger Träumereien von irgendwelchem Künstlertum und dergleichen nachgehen. Also, es wird die Entfaltung der Talente einfach durch die Entfaltung des freien Geisteslebens auf naturgemäßeren Boden gestellt. Und noch etwas anderes ist notwendig, wenn die Kunst sich entfalten soll: es ist künstlerischer Sinn, künstlerisches Bedürfnis, naturgemäßes Verlangen und Begehren der Menschen nach der Kunst notwendig. Das alles muß sich ergeben aus dem dreigliedrigen sozialen Organismus heraus als dasjenige, was eben entsteht, wenn ein organisiertes gesellschaftliches Zusammenleben da ist, nicht ein chaotisches wie heute. Sehen Sie, vor allen Dingen sind wir ja in der neueren Zeit in das Chaos des künstlerischen Empfindens hineingekommen. Das ursprüngliche künstlerische Empfinden, das mit elementarer Kraft aus der menschlichen Erkenntnis herausquillt, das ist ja unter der modernen Bildung ganz und gar verschwunden. Das würde wieder kommen, wenn wir uns im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus entwickeln würden. Und so muß man sich das Ganze, was da entsteht, nun denken.

Man muß ja, wenn man vom Gesichtspunkte des dreigliedrigen sozialen Organismus aus spricht, nur als Praktiker sprechen und nicht als Theoretiker, man darf nicht nach Prinzipien fragen, sondern man muß nach Tatsachen fragen, und da muß man sagen, das, was ich jetzt angedeutet habe, kann viel schneller kommen, als man denkt. Und was entsteht dann? Dann entstehen für die mannigfaltigsten Dinge - zum Teil aus dem Geistesleben, zum Teil aus dem Wirtschaftsleben heraus - Assoziationen. Und man sollte eigentlich nicht irgendwie eingeschachtelt in Paragraphen und in Prinzipien sich das vorstellen, was diese Assoziationen tun werden. In diesen Assoziationen werden wiederum Menschen sein, die aus der ganzen Wärme des menschlichen Empfindens und Erlebens heraus werden Urteile fällen können. Es werden aus den Assoziationen Menschen hervorgehen, welche sich durch dasjenige, was sie sonst im Leben tun, eine gewisse Geltung im Leben verschaffen werden, die ihnen nicht durch den Staat, die ihnen nicht durch einen Ratstitel garantiert wird. Ob da nun die Leute Geheime Hofräte oder Betriebsräte oder Sanitätsräte und dergleichen sind: es werden die Leute aus dem dreigliedrigen sozialen Organismus heraus nicht eine Geltung haben durch diesen abstrakten Dinge, sondern durch dasjenige, was sie tun, was fortwährend lebt. Durch die Assoziationen werden die Dinge leben; es werden nicht Paragraphen leben, sondern es wird sich das ergeben, was die in den Assoziationen mit Recht Geltung habenden Menschen miteinander verhandeln; es wird sich das ergeben, was jetzt in Karikatur vorhanden ist als sogenannte öffentliche Meinung. Man muß sich das nur ganz konkret vorstellen, was durch das lebendige Wechselwirken der Assoziationen zustandekommen kann.

Zu den Assoziationen gehören ja auch diejenigen, die aus dem freien Geistesleben kommen. Ja, da wird tatsächlich wiederum etwas gegeben werden auf die Lebenserfahrung in einem Menschen, die als berechtigtes Urteilen die Dinge festsetzen kann. Und wenn Sie das nur in der ganzen konkreten Bedeutung nehmen, da wird sich folgendes herausbilden: es wird einfach der Künstler wirklich auch materiell für sein Kunstwerk das erringen können aus diesem offentlichen Urteilen heraus, was aber aus den Assoziationen heraus zur Geltung kommen wird. Es wird sich aus diesen Verhältnissen heraus wirklich das entwickeln können, was möglich machen wird, daß ein Künstler, auch wenn er 30 Jahre lang zu einem Kunstwerke brauchen sollte, dennoch für dieses Kunstwerk soviel bekommen kann, daß er seine Bedürfnisse für die 30 Jahre, die er zu einem neuen Kunstwerke braucht, befriedigen kann - was ja ohnehin, wenn er schon 60 oder 70 Jahre alt ist, vielleicht nicht mehr in Betracht kommt. Das wird sich ergeben. Es wird sich tatsächlich ergeben - wenn man die ganze Sache unbanausisch nimmt -, daß der Künstler aus einem solchen dreigegliederten sozialen Organismus heraus im Sinne der wirtschaftlichen Urzelle für sein Kunstwerk entschädigt werden kann. Er kann heute aus dem Grunde nicht entschädigt werden, weil da so unnatürliche Preislagen vorhanden sind. Eigentlich können die Menschen heute dem Künstler gar nicht das zahlen, was er eigentlich verlangen müßte, wenn er nur etwas kurz über sich denkt. Heute denkt er aber: Ich habe irgendein Bild zustandegebracht, und ja, wenn ich auch nur so viel kriege, daß ich für die nächsten drei Monate genug habe, dann nehme ich das - ich kriege natürlich in drei Monaten kein ordentliches Werk fertig, die Leute verstehen aber auch nichts davon -, und da pumpe ich eben in drei Monaten wieder.

Nun, diese Dinge werden sich, ich möchte sagen als der höchste Extrakt erst ergeben; deshalb kann man eigentlich nicht gut über diese Dinge von vornherein diskutieren. Ich empfinde es immer als etwas Mißliches, über diese Dinge zu diskutieren - nicht wahr, nach dem pythagoräischen Lehrsatz ist das Quadrat über der Hypothenuse halt einmal unter allen Umständen gleich den Quadraten über den beiden Katheten, aber es ist unmöglich, wenn man diesen Lehrsatz nun hat, zum vornherein über alle möglichen Grade der Anwendung zu reden, aber er wird überall gelten. So ist es auch mit dem dreigliedrigen sozialen Organismus. Es läßt sich das nicht spezifizieren, was sich nun als die höchste Blüte des sozialen Lebens ergeben soll. Deshalb ist eine Diskussion über diese Dinge eigentlich mißlich, denn es sind zu disparate Gebiete - das soziale Leben und das künstlerische Leben. Aber wenn wir nun die Dinge im einzelnen nehmen, so müssen wir sagen: So etwas wie dieser Dornacher Bau, der mußte ja entstehen, er mußte entstehen aus einer gewissen Kultur- und Zivilisationsaufgabe der Gegenwart heraus, aus dem Erkennen dieser Aufgabe. Und ich möchte sagen:

Wenn es noch weniger Menschen gäbe, die einen blauen Dunst haben von dem, was hier eigentlich gebaut und gemeißelt und gemalt worden ist, er hätte doch entstehen müssen in irgendeiner Weise. Dieser Bau hat aber natürlich nur entstehen können, weil die materiellen Mittel da waren, aber er wird nur fertig gemacht werden können, wenn dazu noch weitere materielle Mittel da sein werden. Es läßt sich über diese Fragen nicht so reden, daß man sagt: Ja, irgend etwas muß werden -, denn das Muß hat, wenn man von diesen Dingen redet, im Grunde genommen doch eine ganz andere Bedeutung. Und so meine ich: Man sollte vor allen Dingen sich ganz klar darüber sein, daß jene Freiheit der menschlichen Bewegung, die notwendig ist, um der Kunst ihre richtige Grundlage zu geben, hervorgerufen werden wird durch den dreigliedrigen sozialen Organismus. Und erst, wenn naturgemäße Grundlagen da sind für das soziale Leben, wird jeder Mensch richtig wurzeln konnen in diesem sozialen Leben. Schließlich handelt es sich da wirklich mehr um die Sache als um die Worte.

Sehen Sie, ich erinnere mich zum Beispiel an die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Wir hatten gerade diejenige Zeit in der außeren bourgeoisen Kunstentwicklung, wo das Theater beherrscht wurde von den Lustspielen eines Paul Lindau, eines Blumenthal, von denjenigen also, die alle so ziemlich lustspiel- oder trauerspiel- oder schauspielmäßiges Stroh auf die Bühne hinsetzten; wir hatten die letzte Phase, nicht wahr, der konventionellen Malerei und so weiter. Dazumal erschien ein Buch von einem grenzenlos bornierten Menschen - einem Menschen, von dem man nun wirklich schon, wenn man ihn äußerlich sah, nicht anders sagen konnte als: der kann nur borniert sein. - Und dieses Buch, was forderte es denn? Es forderte nichts Dringlicheres als, ja, als eben diese Kunst, die wir da gehabt haben, diese Theaterkunst, diese Bildhauerkunst, diese musikalische Kunst und so weiter. - Alles das hat keinen sozialen Grund und Boden, das ist entwurzelt, und es muß alles wiederum aus dem Sozialen heraus gebildet werden. Es waren furchtbar schöne Phrasen, aber es war eigentlich furchtbar trostloses Zeug, denn es wurzelte nirgends im Leben. Und deshalb möchte ich schon sagen: es kommt heute nicht darauf an, daß man über solche Dinge Richtiges sagt, sondern daß man in der richtigen Weise aus der wirklichen Lebensnotwendigkeit heraus empfindet, und das heißt: Man muß empfinden die Notwendigkeit der Umwandlung, der Neubildung des Lebens. Das macht es gerade auf diesem Gebiete notwendig, den Blick darauf zu lenken, daß wir vor allen Dingen aus der Phrase heraus müssen. Und so handelt es sich darum, daß, wenn man von der Dreigliederung des sozialen Organismus spricht, man diese Dreigliederung des sozialen Organismus zunächst selbst versteht; die anderen Dinge, die werden sich dann ergeben.

Ich glaube, daß man im Grunde genommen von der Kunst schon unrichtig redet, wenn man überhaupt viel über sie redet. In der Kunst sollte man malen, in der Kunst sollte man meißeln, in der Kunst sollte man bauen, aber man sollte eigentlich über die Kunst möglichst wenig reden. Sicher, es gibt gewisse Arten, über die Kunst zu reden, aber das muß dann selbst wiederum etwas Künstlerisches sein. Es gibt ja natürlich auch eine Gedankenkunst. Es wird also in Gedankenkunstwerken irgend etwas ebenso Berechtigtes aufgebaut wie in den anderen Künsten, der Kunst der Malerei und so weiter. Aber dasjenige, was künstlerisch hervorgebracht wird, ist denn doch - wenn man das Schöpferische ansieht - etwas, wovon man nicht sagen kann, es solle so oder so hervorgebracht werden oder es solle so oder so entgegengenommen werden, sondern da muß alle Notwendigkeit des Lebens sich in eine Art von Selbstverständlichkeit verwandeln. Es ist schon notwendig, daß man sich eben auch vertraut macht zum Beispiel mit dem Gedanken: Wenn halt kein Genie da ist, so kann es keine ordentliche Kunst geben. - Da nützt dann alles Diskutieren darüber, wie der soziale Organismus gestaltet sein soll, damit der Künstler in der richtigen Weise zu Geltung komme, nichts. Man kann dann höchstens sagen: In einem sonst doch ordentlich gehenden sozialen Organismus wird eine entsprechende Kunst da sein, wenn möglichst viele Genies da sind; dann wird schon die richtige Kunst da sein. - Die müssen aber erst da sein, diese Genies. Und wie sie zur Geltung kommen sollen - nun, ganz gewiß, es ist das Leben mancher genialischen Menschen außerordentlich tragisch, aber daß Genies nun wirklich in die Welt werden hineinwirken können, daß Genies gemäß ihren durch die Geburt mitbekommenen Anlagen zur Geltung kommen können, das kann nur in einem freien Geistesleben sich begeben, denn nur da wird wirkliches Geistesleben sein.

Da wird man dann auch hinauskommen über dasjenige, was heute ja im eminentesten Sinne unkünstlerisch ist. Nicht wahr, so etwas wie Renaissance und Gotik, das waren Kategorien, die im Grund genommen aus einer voll lebendigen Wirklichkeit gefaßt waren. Es war Leben, und Leben ist immer etwas Universales. Und daher hatte Herr Uehli vollständig recht, wenn er davon sprach, daß so etwas wie Gotik und Renaissance herausgeboren war aus dem ganzen sozialen Zusammenhang der damaligen Zeit. Die Spaltungen, die wir neuerdings auf künstlerischem Gebiet haben, sind ja eigentlich, ich möchte sagen immer mehr und mehr rein künstlich entstanden, und sie sind deshalb entstanden, weil das Prinzip des bourgeoisen Lebens sich in das geistige Leben hinein fortgesetzt hat. Nicht wahr, das bourgeoise Leben hat Rentiers, das heißt Nichtstuer hervorgebracht, die von ihren Vermögensrenten leben. Ich meine so: Wenn die gerade genug Ehrgeiz hatten, wurden sie Künstler. Aber dabei handelt es sich ja nicht darum, etwas zu schaffen, was eine irgendwie geartete menschliche Notwendigkeit ist, sondern es handelt sich darum, etwas aus dem menschlichen Ehrgeiz zu schaffen, der, wenn er auch gewöhnlich abgeleugnet wird, dann doch vorhanden ist. Und da entwurzelt sich dann - wie von Herrn Uehli ganz richtig gesagt wurde - das eigentliche künstlerische Streben.

Das innere künstlerische Streben, das ganz ehrlich und wahr ist, kann sich im Grunde genommen gar nicht entwurzeln, aber aus allem Abstrakten im Leben kann sich das künstlerische Leben natürlich entwurzeln - wenn sich das Leben überhaupt entwurzelt. Und in einem solchen entwurzelten künstlerischen Leben, da kommen dann Dinge, die in den Ranken des Lebens ihre Begründung haben, nicht mehr im Leben selbst, es kommen dann die Schlagworte «Impressionismus», «Expressionismus» und dergleichen. Das sind Dinge, bei denen man immer die Notwendigkeit hat, sie erst wiederum - weil sie so auseinandergeschnitzelt sind - zusammenzubringen. Wenn man von Impressionismus und Expressionismus redet - das sind ja alles nur Schablonen, Worte. Aber wenn wir von unserer Eurythmie reden, dann müssen wir - nicht wahr, weil diese Dinge nun da sind -, dann müssen wir in der Eurythmie die Expressionen wieder zu Impressionen und die Impressionen wieder zu Expressionen machen. Das ist außerordentlich wichtig, daß man sich klar darüber wird, daß solche Schlagworte, solche lehrhaften Abstraktionen wie «Impressionismus» und «Expressionismus», eigentlich immer dann auftreten, wenn das ursprüngliche Leben nicht da ist. Denn solche Worte - man kann sie auf alles anwenden. Was ist denn keine Expression? Wenn irgend jemand ein schlechtes Gedicht macht, so ist es auch eine Expression, wenn irgend jemand niest, so ist es auch eine Expression. Und so kann man schließlich alles, auch den Dornacher Bau, als eine Expression bezeichnen. Aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf kommt es an, daß man die Dinge aus einer konkreten Lebensunterlage heraus charakterisiert. Dann wird man nicht zu Schlagworten greifen, sondern zu Dingen kommen, die irgendwie ernsthaftig gemeint sein können.

Ich will einmal vergleichen: In der Theosophischen Gesellschaft wird von der «Gleichheit der Religionen» geredet. Wenn nun jemand zu solchen Abstraktionen kommt wie Gleichheit oder Einheit der Religionen, dann kommt man auch auf anderen Gebieten zu solchen furchtbaren Abstraktionen, so daß man zum Beispiel sagen könnte: Nun ja, alles, was auf dem Tisch steht, das ist «Speisezutat». - So wie man im Indertum, im Persertum, im Theosophentum, im Judentum überall ein Gleiches herausschälen kann, so kann man nämlich auch bei Pfeffer, Salz, Paprika und noch bei anderen Dingen das Gleiche zugrundelegen, nämlich «Speisezutat». Aber da sieht man bald, daß es auf das Konkrete ankommt, sonst könnte es einem passieren, daß man den Kaffee salzt und die Suppe zuckert. Es handelt sich darum, daß man den Willen hat, auf das Konkrete einzugehen. Dann ist es aber auch wiederum so, daß man gerade beim Künstlerischen die Kategorien, die in der neuesten Zeit aufgetreten sind, im Grunde genommen als etwas ganz besonders Rankenhaftes empfindet. Ich bin durchaus nicht auf dem Standpunkt, nun das alles, was die Einzelnen leisten, die sich Expressionisten nennen - weil es schon einmal solche Namen geben muß -, das alles zu verdammen. Im Gegenteil, ich glaube sogar, daß ich ein sehr weites Herz haben kann und daß ich sogar ein Herz haben kann für solche expressionistische Leistungen, die andere Menschen als etwas Zusammengekleistertes ansehen. Aber das Theoretisieren, das angeknüpft wird an solche Dinge, das scheint mir wirklich die Menschen von einer gesunden Lebensgrundlage wegzuführen. Und es ist ja heute tatsächlich auch so, daß viele Menschen das Leben eigentlich nur noch aus den abgeleiteten Quellen kennen. Es gibt Menschen, die nicht das Leben kennen, sondern Ibsen kennen oder Tolstoi kennen oder Rabindranath Tagore kennen, der jetzt in den Kreisen, die kein eigenes Urteil sich aneignen können, eine Art von Mode zu werden beginnt. Und wenn man heute auf alle diese Dinge sieht, wenn man sieht, wie die Leute in den Ranken des Lebens sich herumtreiben, dann empfindet man es schon als eine Notwendigkeit, daß einmal wiederum betont werde, wie in einem gesunden sozialen Organismus - und das soll der dreigliedrige sein - wie da eben dieses Entwurzeltsein aufhören muß. Von diesem Gesichtspunkte aus schien mir manche Bemerkung von Herrn Uehli von einer ganz besonderen Bedeutung.

Ich habe leider, trotzdem ich lange genug gesprochen habe, im Konkreten nicht viel hinzufügen können, denn wer mit künstlerischem Sinn über diese Dinge spricht - das hat sich auch in der Rede des Herrn Baumann ergeben -, der muß eben so reden, daß das Reden über alle die Fragen, die heute so herumschwirren über die Stellung des Künstlers - zum Beispiel, ob man ausstellen soll oder nicht oder ob Genies versagen oder nicht -, eigentlich im Grunde genommen ziemlich zwecklos ist. Ich meine, man sollte das viel mehr einsehen; dann wird es schon zum Richtigen führen. Ist einer ein Künstler, dann kann er auch hungern, dann kann er auch einen ihn vom Morgen bis zum Abend beschäftigenden Beruf haben; er wird noch in der Nacht seine künstlerische Genialität entfalten. Das läßt sich nicht unterdrücken. Ist einer ein Künstler, dann wird er sein künstlerisches Leben ausleben, auch wenn er sonst Holz hacken oder Stiefel putzen muß - er wird sein künstlerisches Leben ausleben, und wenn er es für nichts anderes auslebt als für sein eigenes Zimmer, für seinen eigenen Schrank. Es sind das Dinge, die durchaus eben nicht rational behandelt werden können, die selber, ich möchte sagen auch ein bißchen künstlerisch behandelt werden sollten. Und das Künstlerisch-behandelt-Werden schließt im Grunde genommen das Banausentum aus, das läßt sich nicht verphilistern. Und nun ist es ja eigentlich so, nicht wahr, wenn man die allgemeine Menschheit in eine soziale Ordnung bringen soll, dann kann man nicht das, was eben nur an der persönlichen Genialität hängt, paragraphenmäßig oder prinzipienmäßig eingliedern. Man muß eigentlich immer, auch wenn man von der Stellung der Kunst im Leben redet, irgend etwas von einem künstlerischen Fühlen haben, und dann werden die Dinge eigentlich immer ins freie Reden, ins freie Schaffen übergehen; man kann da nicht abzirkeln. Da dürfen sich die Dinge, die für das Leben so notwendig sind, nicht abzirkeln.

Ich möchte sagen, es ist notwendig, daß man von der künstlerischen Empfindung aus über die Kunst redet und daß man da schon einmal ein klein wenig von Philistrosität in seinen Adern hat - man braucht das ja nicht gleich zu schlimm zu machen -, wenn man von dem, was allgemein-menschlich ist, reden soll. Denn, meine sehr verehrten Anwesenden, schlimm wäre es im Leben, wenn es nur solche Menschen gäbe, die Künstler wären, oder wenn alle diejenigen, die glauben, daß sie als Künstler zu Anerkennung kommen sollten, wenn die wirklich zu Anerkennung kämen. Ich möchte wissen, was dann aus dem Leben werden sollte. Notwendig ist für das Leben allerdings die Genialität, aber notwendig ist für das Leben auch schon die Philistrosität. Und gäbe es keine Philistrosität, so gäbe es wahrscheinlich sehr bald auch keine Genialität mehr. Es lassen sich die Kategorien «gut» und «schlecht» nicht so ohne weiteres auf das Leben anwenden, sondern das Leben ist vielgestaltig. Reden kann man viel, aber man sollte eigentlich nichts anderes reden, als was aus dem Leben selber heraus genommen ist.