Ablehnung der Staatsschule heißt nicht unbedingt Klerikalismus

Quelle: GA 334, S. 141-142, 1. Ausgabe 1983, 19.03.1920, Zürich

Das Geistesleben muß auf seinen eigenen Boden gestellt werden. Es muß so stark auf seinen eigenen Boden gestellt werden, daß diejenigen, die zum Beispiel unterrichten, von der untersten Schule bis zu den höchsten Stufen des Unterrichts hinauf zu gleicher Zeit die Verwalter des Erziehungs- und Unterrichtswesens sind, daß zusammenhängt Verwaltung des Erziehungs- und Unterrichtswesens mit dem gesamten irgendwie gearteten Geistesleben eines zusammengehörigen sozialen Organismus. Nur wenn man - ich möchte konkret sprechen - demjenigen, der in der Schule steht und unterrichtet, zu gleicher Zeit nur soviel zu seiner Aufgabe macht, daß im übrigen zugleich Zeit bleibt, daneben Verwalter des Unterrichtswesens zu sein von der untersten Stufe bis zu der obersten Stufe, nur dann, wenn man solche Institutionen schafft, daß derjenige, der im Geistesleben zu wirken hat, insbesondere unterrichtet und erzieht, mit nichts anderem zu tun hat als wiederum mit Unterrichtenden und Erziehenden, wenn der ganze geistige Organismus eine selbständige Einheit, auf sich selbst aufgebaut, ist, können alle Kräfte, die in der Menschheit veranlagt sind, auf dem Gebiet des geistigen Lebens wirklich entfesselt werden, dann kann das Geistesleben sich in seiner vollen Fruchtbarkeit entwickeln. Das scheint doch wohl zunächst wenigstens in einer Art abstrakten Form auf die Notwendigkeit hinzuweisen, das Geistesleben, das auf seine eigenen Prinzipien, auf seine eigenen Impulse aufgebaut werden muß, abzugliedern von all dem, was im Demokratischen aufgeht.

Ebenso aber muß, wie das Geistesleben abgegliedert werden muß von dem bloßen Staatsleben, auf der anderen Seite von diesem abgegliedert werden auch das Wirtschaftsleben. Da betritt man allerdings ein Gebiet, auf dem man heute weniger Gegner findet als beim Geistesleben. Beim Geistesleben, insbesondere beim Schulwesen, ist es in den letzten drei bis vier Jahrhunderten üblich geworden, denjenigen allein als einen aufgeklärten Kopf zu betrachten, der die Macht des Staates über das Schulwesen als das Richtige betrachtet, der sich gar nicht denken kann, daß man ohne in Klerikalismus oder dergleichen zu verfallen, wiederum zurückgehen könnte zur Selbständigkeit des Geisteslebens.