Menschliche Bedürfnisse sollen eingeschätzt statt tyrannisiert werden

Quelle: GA 332a, S. 057-058, 2. Ausgabe 1977, 25.10.1919, Zürich

Der Wert eines erzeugten Gutes kommt heute in einer gewissen Beziehung gar nicht in Frage. Er bildet allerdings den Antrieb zur Nachfrage. Aber diese Nachfrage ist ja deshalb in unserem heutigen sozialen Leben eine recht problematische, weil ihr immer die Frage gegenübersteht, ob auch zur Nachfrage die entsprechenden Mittel, die entsprechenden Besitzverhältnisse vorhanden sind. Man kann gut Bedürfnisse haben: wenn man nicht die nötigen Mittel besitzt, sie zu befriedigen, so wird man sie gar nicht nachfragen können. Aber es handelt sich darum, daß ein Verbindungsglied geschaffen werden muß zwischen den menschlichen Bedürfnissen, die den Gütern, den Erzeugnissen ihren Wert geben, und den Preisen. Denn was man bedarf, hat je nach diesem Bedürfnis seinen menschlichen Wert. Es werden sich Einrichtungen herausgliedern müssen aus der sozialen Ordnung, die die Brücke schaffen von diesem Wert, der den Erzeugnissen aufgedrückt wird durch die menschlichen Bedürfnisse, und den Preisen, die sie haben müssen.

Heute wird der Preis bestimmt durch den Markt, danach, ob Leute da sind, die diese Güter kaufen können, die das nötige Geld haben. Eine wirkliche soziale Ordnung muß dahin orientiert sein, daß die Menschen, die aus ihren berechtigten Bedürfnissen heraus Güter haben müssen, sie auch bekommen können, das heißt, daß der Preis dem Werte der Güter wirklich angeähnelt wird, daß er ihm entspricht. An die Stelle des heutigen chaotischen Marktes muß eine Einrichtung treten, durch welche nicht etwa die Bedürfnisse der Menschen, der Konsum der Menschen tyrannisiert wird, wie durch Arbeiter-Produktivgenossenschaften oder durch die sozialistische Großgenossenschaft, sondern durch welche der Konsum der Menschen erforscht und danach bestimmt wird, wie diesem Konsum entsprochen werden soll. Dazu ist notwendig, daß unter dem Einfluß des Assoziationsprinzipes wirklich die Möglichkeit herbeigeführt werde, Ware so zu erzeugen, daß sie den beobachteten Bedürfnissen entspreche, das heißt, Einrichtungen müssen da sein mit Personen, die die Bedürfnisse studieren. Die Statistik kann nur einen Augenblick aufnehmen; sie ist niemals für die Zukunft maßgebend. Die Bedürfnisse, die jeweils vorhanden sind, müssen studiert werden, danach müssen die Einrichtungen für das Produzieren getroffen werden. Wenn ein Artikel irgendwie die Tendenz entwickelt, zu teuer zu werden, dann ist das ein Zeichen dafür, daß zu wenige Menschen für diesen Artikel arbeiten. Es müssen Verhandlungen gepflogen werden, durch die aus anderen Produktionszweigen zu diesem Produktionszweig arbeitende Menschen übergeführt werden, so daß mehr von diesem Artikel erzeugt wird. Hat ein Artikel die Tendenz, zu billig zu werden, verdient sein Erzeuger zu wenig, dann müssen Verhandlungen eingeleitet werden, durch die weniger Menschen gerade an diesem Artikel arbeiten. Das heißt: Von der Art und Weise, wie die Menschen an ihre Plätze gestellt werden, muß in der Zukunft abhängig werden, wie die Bedürfnisse befriedigt werden. Der Preis des Produkts bedingt sich durch die Zahl der Menschen, die daran arbeiten. Aber er wird durch solche Einrichtungen dem Werte ähnlich sein, gleich sein im wesentlichen dem Werte, den das menschliche Bedürfnis dem betreffenden erzeugten Gut beizulegen hat.