Menschliche Bedürfnisse bisher durch Recht und Konkurrenz geregelt

Quelle: GA 330, S. 235, 2. Ausgabe 1983, 31.05.1919, Stuttgart

Unter der alten aristokratischen Weltordnung, die auf der Eroberung des Bodens beruhte, war alles dasjenige, was an Leistungen unter den Menschen ausgetauscht wurde, in die Rechtssphäre gerückt. Abgaben hatte man zu leisten an den Gutsherrn; zurückbehalten durfte man als Arbeiter soundsoviel. Das alles war in die Rechtssphäre gerückt. Ein Recht hatte man, soundsoviel selbst zu verzehren, eine Pflicht hatte man, weil der andere das Recht hatte, soundsoviel von dem zu verzehren, was man hervorbrachte in seinem Dienste. Recht regelte in der alten aristokratischen Ordnung, das heißt Vorrecht, Klassenrecht regelte, was menschliche Bedürfnisse waren. Vieles von dem tönt im Nachklang in unsere Zeit herein und schwingt fort bis zu dem Zehnpfennigstück, das ich aus dem Portemonnaie nehme, um mir irgend etwas zu kaufen. Und in dieses Getön tönt das andere hinein, was an die Stelle dieser alten Rechtsordnung getreten ist. Es tönt hinein, was Kapital, Menschenarbeit und Leistung zur Ware machte, geregelt durch Angebot und Nachfrage, sich selbst regelnd dadurch nach der Rentabilität, nach der wüsten Konkurrenz, nach dem Blindesten menschlichen Egoismus, unter dessen Einfluß jeder so viel erwerben will, als er aus der gesellschaftlichen Ordnung herauspressen kann. Und so trat an die Stelle der alten Rechte das, was sich abspielte durch die wirtschaftliche Macht und den wirtschaftlichen Zwang. An die Stelle der Bevorrechteten und der rechtlich Benachteiligten des alten patriarchalischen Herrschafts- und Dienerverhältnisses trat das wirtschaftliche Verhältnis des Bürgertums, sich gründend auf den Konkurrenzkampf, auf die Rentabilität, auf das wirtschaftliche Zwangsverhältnis zwischen Kapital und Lohn, in welches Verhältnis eingezwängt ist der Warenaustausch, eingezwängt ist alle Preisgestaltung, die abhängig ist von dem egoistischen Kapital und Lohnkampf.