Geistesleben als Anwendung von individuellen Fähigkeiten

Quelle: GA 329, S. 025-026, 1. Ausgabe 1985, 11.03.1919, Bern

Wie ist Recht und wie ist Aufwendung individueller menschlicher Fähigkeiten, die immerzu aufs neue produktiv sein müssen, die aus ihrem Urquell im Menschen immer wieder aufs neue hervorkommen müssen, wie ist Verwertung individueller Fähigkeiten im sozialen Organismus begründet?

Wer sich einen unbefangenen Blick auf das menschliche Leben bewahrt hat, der wird allmählich dann zur Einsicht kommen, daß in einem sozialen Organismus drei ganz verschiedene, ursprüngliche Quellen des menschlichen Lebens zu unterscheiden sind. Diese drei ursprünglichen Quellen des menschlichen Lebens, sie fließen ganz natürlich im sozialen Organismus zusammen, sie wirken zusammen. Aber die Art und Weise, wie sie zusammen wirken, wird man nur ergründen können, wenn man vermag, auf die Wirklichkeit des Menschen als solchen hinzuschauen, der eine Einheit, ein einheitliches Wesen innerhalb der sozialen Dreiheit sein muß.

Im sozialen Organismus sind zunächst einmal diese individuellen menschlichen Fähigkeiten vorhanden. Und wir können ihr Gebiet verfolgen von den höchsten geistigen Leistungen des Menschen in der Kunst, in der Wissenschaft, im religiösen Leben bis herab zu jener Form der Anwendung individueller menschlicher Fähigkeiten, wie sie mehr oder weniger im Seelischen oder im Körperlichen begründet sind, bis zu jener Anwendung individuell-menschlicher Fähigkeiten, die im gewöhnlichsten, im materialistischen Prozesse verwendet werden müssen, der auf kapitalistischer Grundlage beruht, bis in den Wirtschaftsprozeß hinein, den man gewöhnlich mit einem absprechenden Worte den materiellen Bereich nennt. Bis da hinein läßt sich eine einheitliche Strömung von den sonstigen Geistesleistungen herunter verfolgen. Innerhalb dieses Gebietes beruht dann alles auf der entsprechenden, auf der fruchtbaren Anwendung dessen, was immer von neuem aus den Urquellen der menschlichen Natur herausgehoben werden muß, wenn es in der richtigen Weise hineinfließen soll in den gesunden sozialen Organismus.