Geistig-seelische Forderung nach Befriedigung materieller Bedürfnisse

Quelle: GA 024, S. 108-110, 2. Ausgabe 1982, 12.1919

Die Zahl derjenigen Menschen nimmt stetig zu, die betonen, daß aus der sozialen Wirrnis unserer Zeit nur herauszukommen sei, wenn in das Denken und Empfinden ein Zug nach dem Geistigen komme. Die Enttäuschungen, welche « volkswirtschaftliche » Ideen gebracht haben, die ihre Grundlagen nur in der Erzeugung von materiellen Gütern und deren Verteilung suchten, führen bei vielen zu einem solchen Bekenntnis.

Man kann aber auch deutlich sehen, wie wenig fruchtbar in unserer Zeit ein solches Bekenntnis zum Geiste wirkt. Soll es volkswirtschaftliche Anschauungen hervorbringen, so versagt es. Denn mit dem bloßen Hinweis auf den Geist ist es nicht getan. Er drückt zunächst bloß ein Bedürfnis aus. Er ist ratlos, wenn er über die Befriedigung dieses Bedürfnisses sprechen soll. In dieser Tatsache sollte man eine Aufgabe für die Gegenwart erkennen. Man sollte sich fragen: Warum kommen selbst diejenigen, die heute eine Hinwendung zum Geiste für das soziale Leben notwendig halten, nicht darüber hinaus, diese Notwendigkeit zu besprechen? Warum kommen sie nicht dazu, das volkswirtschaftliche Denken wirklich zu durchgeistigen?

Man wird dieser Frage die Antwort finden, wenn man die Entwickelung des Denkens innerhalb der zivilisierten Menschheit in der neueren Zeit betrachtet. Diejenigen Persönlichkeiten, die sich aus der Zeitbildung heraus zu einer Weltanschauung durchgerungen haben, betrachten es als ein Zeichen ihrer höheren « Geisteskultur », von dem « Unerkennbaren » hinter den Dingen zu reden. Es ist allmählich ein weitverbreiteter Glaube geworden, daß nur ein Befangener noch über das « Wesen der Dinge », über « die unsichtbaren Grunde der sichtbaren Dinge » sprechen könne. Nun läßt sich eine solche Denkergesinnung für eine Weile gegenüber dem Naturerkennen aufrecht erhalten. Die Naturerscheinungen bieten sich dar; und auch der, welcher von einem Nachforschen über ihre Grunde nichts wissen will, kann sie beschreiben und dadurch zu einem gewissen Inhalte seines Denkens kommen. In volkswirtschaftlichen Dingen muß aber eine solche Denkergesinnung versagen. Denn da werden die Erscheinungen 109 zuletzt von Menschen hervorgebracht; es gehen die Forderungen von den Menschengematern aus. In den Menschen aber lebt gerade dasjenige als Wesenheit, wofür man sich die Einsicht vermauert, wenn man sich gewöhnt, der Natur gegenüber von einem solchen « Unerkennbaren » zu sprechen, wie es bei vielen Bekennern neuerer Lebensanschauungen zu finden ist. So ist es gekommen, daß die jüngste Vergangenheit Denkgewohnheiten in die Gegenwart herein entwickelt hat, die in volkswirtschaftlichen Dingen völlig versagen. Man kann das Gefrieren des Wassers, die Entwickelung des Embryos betrachten und dabei von dem « Unerkennbaren » in der Welt « vornehm » sprechen und die Zeitgenossen ermahnen, sich nicht in Phantasien über dieses « Unerkennbare » zu verlieren. Aber man kann nicht mit einem Denken, das an solcher Seelenverfassung sich schult, volkswirtschaftliche Aufgaben bewältigen. Diese erfordern ein Eingehen auf das volle Menschenleben. Und in diesem waltet das Geistig-Seelische, auch wenn es nur in der Forderung nach der Befriedigung materieller Bedürfnisse sich offenbart.