Institut für Interkulturelle Pädagogik in Mannheim eröffnet

29.09.2009

Die Waldorfschulbewegung will ihre weltweiten Erfahrungen in der interkulturellen Pädagogik mehr als bisher in die bildungspolitische Debatte einbringen. Dies unterstrichen laut Pressemitteilung des Bundes der Freien Waldorschulen Sprecher der Bewegung bei der Eröffnung des Instituts für Interkulturelle Pädagogik an der Freien Hochschule Mannheim.

In ihrem Impulsreferat auf der Veranstaltung, die in den Räumen der Intekulturellen Waldorfschule Mannheim stattfand, forderte die frühere Bundestagspräsidentin und Migrationsexpertin Prof. Rita Süßmuth (CDU) Ernst zu machen mit der Förderung der Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland. „Wie müssen die Schätze heben und ihre Begabungen fördern“, betonte sie. Vor allem die frühe Auslese der Kinder wirke als Barriere, schon Fünftklässler fühlten sich „abgestellt“. Süßmuth bescheinigte der Interkulturellen Waldorfschule Mannheim „Bildung zum Anfassen“. Gerade für Kinder mit Migrationshintergrund könne eine verstärkt musisch-handwerkliche Bildung ein Wir-Gefühl durch gemeinsames Tun erlebbar machen. Hier habe die PISA-Studie zu falschen Weichenstellungen geführt. Die Hirnforschunge zeige, dass der musischen Bildung wieder mehr Gewicht eingeräumt werden müsse. Süßmuth forderte die Öffentliche Hand auf, neue pädagogische Ansätze mehr zu unterstützen. Die gegenwärtige Krise berge große Chancen in sich, „aber nur, wenn wir etwas dazulernen“, betonte Süßmuth.

Dr. Albert Schmelzer, mit Christoph Doll zusammen Leiter des neu gegründeten Instituts, möchte mit der Arbeit seiner Einrichtung Hilfestellungen für Entscheidungen in Politik und Wirtschaft liefern. „Durch die Globalisierung stehen wir vor großen Herausforderungen, zum Beispiel durch die Armutsflüchtlinge. Wir alle müssen lernen, die Grenzen zwischen den verschiedenen Hautfarben zu überwinden und solidarisch zu handeln“, betonte er. Er sagte auch allen Initiativen die Unterstützung des Instituts zu, die sich für interkulturelle Bildung „von unten“ einsetzen. Eine Aufgabe des Instituts besteht auch darin, die Interkulturelle Waldorfschule Mannheim wissenschaftlich zu begleiten.

Walter Riethmüller, Vorstandsmitglied des Bundes der Freien Waldorfschulen, dankte den Mannheimer Waldorfpädagogen für ihr Engagement bei der Entstehung der Interkulturellen Waldorfschule und des Instituts. „Waldorfpädagogik war von Anfang an eine menschheitliche Pädagogik“, sagte Riethmüller. Der freiheitlich-pädagogischer Impuls, der vor 90 Jahren von Stuttgart ausgegangen sei, habe nun in Mannheim eine Form gefunden, in der sich „Waldorfpädagogik neu erfinden und verwirklichen wird“. Initiativen für Interkulturelle Waldorfeinrichtungen gibt es inzwischen auch in Stuttgart und Hamburg.

Mit der Gründung des Instituts für Interkulturelle Pädagogik an der Freien Hochschule Mannheim sollen Möglichkeiten der Finanzierung und Kooperation in der Forschung verbessert werden. Geplant ist u.a. eine Kooperation mit dem Institut für Berufspädagogik und Allgemeine Pädagogik der Universität Karlsruhe sowie mit der Musikhochschule Mannheim.

Forschungsprojekte des Instituts widmen sich u.a. dem Interreligiösen Dialog, der Ästhetischen Bildung und der Entwicklung einer Interkulturellen Geschichtsdidaktik. Wissenschaftlich begleitet wird u.a. auch ein neues Konzept des Religionsunterrichts, das Teamteaching durch Angehörige verschiedener Religionen vorsieht. Außerdem wird untersucht, wie durch künstlerischen Unterricht die Ausbildung von Empathiefähigkeit angeregt werden kann und wie Theaterpädaogik im interkulturellen Kontext wirkt.

Die Evaluation der Interkulturellen Waldorfschule soll vom Institut zusammen mit der Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung (GAB) München fortgesetzt werden. Eine Studie mit ersten Ergebnissen ist vom Bund der Freien Waldorfschulen im Mai in Stuttgart vorgestellt worden. Danach erzielte die Interkulturelle Waldorfschule Mannheim auch ohne spezielle Fördermaßnahmen spektakuläre Erfolge bei den Deutschkenntnissen der Kinder mit Migrationshintergrund.

Die vom Wissenschaftlerteam Brater, Hemmer-Schanze und Schmelzer vorgelegte Studie „Interkulturelle Waldorfschule – Evaluation zur schulischen Integration von Migrantenkindern“ (Wiesbaden 2009) zeigte, dass bei der Sprachförderung und der Integration der Kinder mit Migrationshintergrund die Methodik der Waldorfpädagogik beachtliches leistete: Nach zwei Jahren hatten sich die Defizite in den sprachlichen Kompetenzen so weit vermindert, dass sie statistisch nicht mehr feststellbar waren.

Das Konzept der Schule sehe vor, so konstatiert die Studie, dass den Migrantenkindern ein Sprachmilieu geboten werde, in dem sie „spielerisch, erlebend, nachahmend, selbständig kommunizierend in die deutsche Sprache eintauchen“. Dies setze allerdings voraus, dass genügend deutsche Kinder im Umfeld vorhanden seien, weswegen der Migrantenanteil der Schule auf 50 Prozent begrenzt werde.

Erfolge verzeichneten die Wissenschaftler in den untersuchten Klassen auch beim Thema Lernverhalten: Bei Aspekten wie „Aufmerksamkeit“, „Selbständiges Arbeiten“ und „Unterrichtsbeteiligung“ gab es zu keinem Zeitpunkt einen Unterschied zwischen Kindern mit oder ohne Migrationshintergrund oder zwischen Kindern verschiedener sozialer Herkunft – so das Ergebnis. Ähnliche Resultate ergaben sich bei Indikatoren für soziale Integration wie „Beliebtheit unter Mitschülern“ oder „Hilfsbereitschaft“, so dass im Untersuchungszeitraum von einer deutlich positiven Entwicklung des Klimas in den drei Klassen ausgegangen werden könne.

Mit der intensiven Sprachpflege, ihrem ganzheitlichen Lernansatz, der auch künstlerisch-musische und praktische Anteile einbezieht, dem gemeinsamen Unterricht für alle Kinder, dem Festhalten am verantwortlichen Klassenlehrer in den ersten acht Klassen und dem Verzicht auf Notenzeugnisse und Sitzenbleiben sei die Interkulturelle Waldorfschule in Mannheim eine typische Waldorfschule. Genau diese Merkmale seien es jedoch – so die Forscher -, die die Waldorfschule besonders geeignet machten zur Förderung der Kinder mit Migrationshintergrund.

Zur Frage, wie die Waldorfpädagogik mit der Vielfalt der Kulturen umgehe, zitiert die Studie das Leitbild der Schule, wo es heißt: „Wir wollen die Kinder nicht belehren, sondern ihnen einen Lebensraum schaffen, in dem sie ihre intellektuellen, künstlerischen und praktischen Begabungen in einer lernenden Gemeinschaft entfalten können. Die Anregungen dazu suchen wir ihnen alterspezifisch zu geben. Dabei kommt uns entgegen, dass in der Waldorfpädagogik eine Auffassung vom Menschen lebt, die einerseits das Allgemein-Menschliche hinter den Kulturen sieht, andererseits aber den Reichtum und die Vielfalt der Kulturen als bedeutsam für die seelische Entwicklung des Kindes betrachtet“.

Entsprechend sei der Unterricht im Fach „Begegnungssprache“ eine der Innovationen in der Mannheimer Schule. Er werde in den ersten drei Schuljahren für die Migrantenkinder in ihrer Muttersprache angeboten; die deutschen Kinder sowie diejenigen, deren Zahl zu klein ist, um eine Begegnungssprache anzubieten, gehen mit in diesen Unterricht.

Erkenntnisse der neueren Pädagogik, die nicht mehr die Defizite der Kinder hervorhebe, sondern ihre mitgebrachten Fähigkeiten (Ressourcenorientierung) im Sinn eines Empowerment nutzen wolle, bestätigten diesen Ansatz der Waldorfpädagogik, so die Studie, der die in jedem Kind angelegten Fähigkeiten zur vollen Entfaltung bringen wolle. Die Frage einer „Leitkultur“ stelle sich so erst gar nicht.

Einen Punkt stellten aber auch die Wissenschaftler heraus, der es schwer mache, das Mannheimer Modell oder wenigstens Elemente davon auf andere Orte zu übertragen: 35 Euro betrage der Schulbeitrag der Eltern an der Interkulturellen Schule und er sei nur möglich, weil eine Stiftung großzügig einspringe. So findet sich in den Überlegungen der Wissenschaftler auch die Forderung nach einer Vollfinanzierung durch staatliche Gelder als Voraussetzung dafür, Waldorfpädagogik auch für die Kinder aus sozial benachteiligten Familien fruchtbar zu machen.