Horst Köhlers Berliner Rede zur Finanzkrise

24.04.2009

Neues Finanzsystem, neues Wirtschaftssystem?

Am 23. März 2009 hielt Bundespräsident Horst Köhler in Berlin eine vielbeachtete Rede[1] zur aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise.

Der Inhalt seiner Ausführungen, die sich im wesentlichen für einen starken Staat und einen regulierten Markt stark machten, wurde weitgehend als, nach klassischen Politmustern, „links“ eingeordnet. Eine Tageszeitung titelte ihren Bericht über die Rede sogar mit: „Der Links-Ruck“.[2]

Hier einige der Thesen, welche wohl zu dieser Einschätzung Anlass gaben: Köhler sprach unter anderem vom „Primat der Politik über die Finanzmärkte“[3]. Er machte deutlich, dass es ein Zurück aus der Weltwirtschaft in eine national organisierte nicht mehr geben könne. Hieraus ergäben sich aber Verantwortlichkeiten, welche im Grunde dem Konkurrenzprinzip diametral entgegen gesetzt sind: „Keiner kann mehr dauerhaft Vorteil nur für sich schaffen. Die Menschheit sitzt in einem Boot. Und die in einem Boot sitzen, sollen sich helfen. Eigennutz im 21. Jahrhundert heißt: sich umeinander kümmern.“[4]

Köhler forderte vor dem Hintergrund der Krise einen stärkeren demokratischen Einfluss der Menschen auf die Entscheidungen der Wirtschaftspolitik, die Menschen „wollen wissen, wie sie sich selbst einbringen können, mit ihren eigenen Ideen und Vorstellungen... Es geht darum, gemeinsam neue Wege zu finden“[5]

Als Krisenursache benannte Köhler nicht nur individuelles Fehlverhalten, Verantwortungslosigkeit und die systemimmanente Abkoppelung der Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft, Köhler konstatierte darüber hinaus eine Abkoppelung von „der Gesellschaft insgesamt“[6], ein demgemäß also asoziales Verhalten, welches sich offensichtlich ungebrochen fortsetze: „Bis heute warten wir auf eine angemessene Selbstkritik der Verantwortlichen. Von einer angemessenen Selbstbeteiligung für den angerichteten Schaden ganz zu schweigen.“[7]

Im weiteren Verlauf seiner Rede relativierte er nicht nur ein Kernparadigma der Marktwirtschaft „Wir haben uns eingeredet, permanentes Wirtschaftswachstum sei die Antwort auf alle Fragen“[8], sondern forderte eine lückenlose Kontrolle und Regulierung des Finanzwesens um letztlich eine neue Logik des Kapitals zu formulieren: „Es geht um eine Weltwirtschaft, in der Kapital den Menschen dient und nicht Herrscher über die Menschen werden kann.“[9]

Als Reaktion auf die Rede beeilten sich alle im Bundestag vertretenen Parteien der Presse ihre zustimmende Anerkennung zum Inhalt dieser Ansprache zu versichern.

Nun ist es sicher verwunderlich, wenn ein Lafontaine und ein Westerwelle die gleiche Rede loben, doch bei näherem Hinsehen zeigen sich doch bei allen glaubhaften Annäherungen an den Gedanken einer solidarischen Wirtschaft, bei allem Verbalradikalismus der hier vorgestellten Zitate, welche sicher zumindest Lafontaine erfreut haben dürften, die Grenzen in Köhlers Denken.

Mit einem wirklichen Wechsel der Marktlogik ist es nicht weit her, und so hatte der ehemalige Generaldirektor des IWF auch für die Westerwelles dieser Republik einiges zum Beklatschen, etwa wenn er sehr euphemistisch darauf drängte den freien Welthandel, unter dem gerade die Entwicklungsländer zu leiden hatten und haben, weiter voranzutreiben: „Wir Deutsche sollten besonders engagiert eintreten für den raschen Abschluss der laufenden Verhandlungen über entwicklungsfreundliche Handelserleichterungen. Der Generaldirektor der Welthandelsorganisation, Pascal Lamy, hat mir berichtet: 80 Prozent der Streitfragen sind ausgeräumt.“[10]

Der Markt wird von Köhler nicht hinterfragt, die Lösung ist eine altes Programm: „Die Soziale Marktwirtschaft hat uns gezeigt: Solidarität ist nicht Mitleid. Solidarität ist Selbsthilfe,“[11] ein Programm mit dem sich auch Probleme der Umweltverschmutzung lösen lassen: „Das gelingt umso besser, je mehr die Regeln der Marktwirtschaft zur Anwendung kommen. Durch Märkte und Regeln kann die Vergiftung der Umwelt überall und so schnell wie möglich zurückgeführt werden.“[12]

Nun, man sollte nicht zu viel verlangen von Herrn Köhler.

Schließlich hat er genügend Punkte angesprochen, deren Umsetzung es einzufordern gilt und deren Verwirklichung einen eminenten Fortschritt bedeuten würde. Denn was kann etwa die von ihm geforderte dienende Funktion des Kapitals, der Entzug seiner Macht über die Menschen, ernsthaft angegangen, anderes heißen, als einen Umbau des Finanzwesens zu einer gemeinnützigen Funktionalität auf den Weg zu bringen. Eine Forderung die wesentlich auch aus dem zivilgesellschaftlichen Spektrum, etwa von attac erhoben wird.

Mit der sozialen Marktwirtschaft dürfte das allerdings schwierig zu vereinen sein.

Im weiteren Verlauf des Umbaus hieße das natürlich auch zu einer veränderten Eigentumsordnung am Kapital zu kommen: „Die Möglichkeit, frei über die Kapitalgrundlage aus den individuellen Fähigkeiten heraus zu verfügen, muss bestehen; das damit verbundene Eigentumsrecht muss in dem Augenblicke verändert werden können, in dem es umschlägt in ein Mittel zur ungerechtfertigten Machtentfaltung.“[13]

Zur angestrebten Egalisierung der Kapitalmacht über den Menschen gehört zur Vollständigkeit selbstverständlich auch Marx` Forderung aus seinen Frühzeiten: „Nieder mit dem Lohnsystem!“[14]

Entsprechendes bei Steiner zu finden.

Und auch die die von Köhler angemahnte Beteiligung der Menschen an den Entscheidungen über die Bewältigung der Krise und darüber hinaus gilt es umzusetzen.

Bislang werden die Menschen nur über den Geldbeutel beteiligt den man ihnen leert, bzw. in Zukunft deutlich leeren wird, um in unsinnigster Weise Geld in ein marodes System zu schütten, welches auf diese Weise nicht stabilisiert werden kann. Warum? Unter anderem: „Weil der weltweite Wert der finanziellen Assets, also Schulden, im September 2008, als die Krise explodierte, dreieinhalb mal so groß war (160 Billionen Dollar) wie das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das Finanzsystem kann also nicht gerettet werden, indem wir weiteres Geld hineinpumpen.“[15]

Die Beteiligung der Menschen, die finanziell und politisch enteignet sind und deren demokratische Gestaltungsmacht für die Rahmenbedingungen der Wirtschaft an zweifelhafte Experten übertragen wurde, ist einzufordern, wie Köhler es verlangt, wie Bourdieu es schon früher gefordert hat: „Ich denke, das es darauf ankommt, immer wieder die Legitimität dieser politischen Enteignung der Laien und dieser Übertragung von Macht an Experten anzuzweifeln ... Man sollte jede Mühe daran setzen, um allen fühlbar zu machen, wie sehr politische Angelegenheiten jeden einzelnen persönlich angehen und das es darum geht, sich selbst mit allen lebenspraktischen Problemen wiederzuerkennen.“[16]

Und lebenspraktisch sind die Bedingungen, die ein demokratisches Gemeinwesen seinem Wirtschaftssystem stellt: „Das Wirtschaftsleben wird auf diese Weise von zwei Seiten her seinen notwendigen Bedingungen unterworfen: von Seite der Naturgrundlage, welche die Menschheit hinnehmen muß, wie sie ihr gegeben ist, und von Seite der Rechtsgrundlage, die aus dem Rechtsbewußtsein heraus auf dem Boden des vom Wirtschaftsleben unabhängigen politischen Staates geschaffen werden soll.“[17]

Nehmen wir also Horst Köhler in seinen innovativen Aussagen beim Wort, dann heißt das, „den gegenwärtigen Versuch der ökonomischen und politischen Welteliten, mit ein paar regulierenden Korrekturen weiterzumachen, zu verhindern.“[18] „Politisch heißt es: das Gespräch, das folgenreiche, und das heißt: das politische Gespräch darüber zu erzwingen.“[19]


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Anmerkungen

  • [1] http://www.bundespraesident.de/Anlage/original_653490/Berliner-Rede-2009-von-Bundespraesident-Horst-Koehler.pdf
  • [2] Berliner Zeitung, 25.03.2009, S.2
  • [3] Rede, S.1
  • [4] Ebd., S.2
  • [5] Ebd. S.3
  • [6] Ebd. S.4
  • [7]Ebd.
  • [8]Ebd.
  • [9]Ebd. S.8
  • [10]Ebd. S.7
  • [11]Ebd. S.11
  • [12]Ebd. S.9
  • [13]R. Steiner, Die Kernpunkte der sozialen Frage, Rudolf Steiner – Nachlassverwaltung, Dornach: 1961, S.88
  • [14]K. Marx, Lohn, Preis, Profit, Vortrag, Dietz, Berlin: 1948, S. 37
  • [15]http://www.fronline.de/in_und_ausland/wirtschaft/spezial_finanzkrise/turbokapitalismus/1683773_Wissenschaftlerin-Saskia-Sassen-uebermaessige-Verschuldung-stoppen.html
  • [16]P. Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht, VSA-Verlag, Hamburg: 1992, S.13 u.17
  • [17]Steiner, S. 64
  • [18]M. Greffrath, Hört auf das „Kapital“ zu lesen, in: Berliner Zeitung, 08.04.2009, S. 34
  • [19]Ebd.