Einzelförderung als Schlüssel zum Schulerfolg

20.10.2006

Podiumsdiskussion mit Prominenten in Hamburg zog Konsequenzen aus der PISA-Debatte – Reihe „Waldorf für alle“ soll fortgesetzt werden

Von NNA-Korrespondent Ernst-Ullrich Schultz

HAMBURG (NNA). „Waldorf für alle?!“ Mit einem prominent besetzten Podium stand die Bildungsdebatte, die durch die OECD-Studien, PISA genannt, ausgelöst wurde, im Mittelpunkt einer gleichnamigen Veranstaltungsreihe in Hamburg. Die Rudolf Steiner Schule Wandsbek hatte den Chefkoordinator der OECD für Bildungsfragen, Andreas Schleicher, den ehemaligen Geschäftsführer des Bundes freier Waldorfschulen, Walter Hiller und Prof. Dr. Peter Schneider, Erziehungswissenschaftler an der Universität Paderborn, dazu eingeladen.

Andreas Schleicher, selbst ehemaliger Schüler der Wandsbeker Rudolf Steiner Schule, würdigte die Beiträge der freien Schulen als Vorreiter eines für Deutschland insgesamt anzustrebenden Schulsystems, in dem obrigkeitsstaatliche und bürokratische Zwänge abgebaut werden müssten. Das sei in dem föderalen Aufbau der Bildungslandschaft besonders schwierig zu bewerkstelligen, bemerkte er dazu. Anfangs hätten die PISA-Studien lediglich dazu geführt, den Schulen neue Prüfungen und Tests abzuverlangen, anstatt ihnen Zeit und die Freiheit zu geben, eigene Konzepte zu entwickeln. Andreas Schleicher warb um Mut und Vertrauen, neue Wege zu gehen und wies darauf hin, dass die PISA-Studien endlich dazu geführt hätten, dass man in Deutschland einen Blick über die eigenen Zäune wagt.

Im eigenen Lande seien vorbildliche Schulen auch außerhalb der Waldorfszene entstanden. Er appellierte an die Waldorfschulen, sich umzuschauen und sich anschauen zu lassen. Walter Hiller, der lange Jahre mit der Waldorfschulbewegung intensiv verbunden war, setzte in seinem Referat selbstkritische Akzente. Auch die Waldorfschule müsse sich immer wieder fragen, ob sie zeitgemäße Antworten geben könne. Starres Festhalten an vorgegebenen Lehrpläne, zu viele Kinder in den Klassen und Weiterführen von hergebrachten Traditionen seien Hemmschuhe für eine gedeihliche Entwicklung.

Pragmatisch waren Walter Hillers Aussagen, was die Außenwirkung der Waldorfschulen angeht. Die Möglichkeiten bezeichnete er als begrenzt, da die Arbeitsbelastung der Lehrer sehr groß sei und die finanziellen Spielräume äußerst eng. Zudem konstatierte er, die Waldorfpädagogik habe ihre eigene Terminologie und es müsse dringend „Übersetzungsarbeit“ geleistet werden. Schädlich sei eine von Arroganz geprägte Öffentlichkeitsarbeit nach dem Motto: „Wir haben es schon immer gewusst!“

Prof. Schneider berichtete aus seinen Erfahrungen in verschiedensten Schulformen. Bei der Arbeit in der Hibernia-Schule lernte er auch die Waldorfpädagogik kennen und lobte insbesondere ihren Praxisbezug, die Gleichwertigkeit von Hand und Kopf. Das aus der griechischen Antike hervorgegangene Bildungsideal, welches noch heute die Lehrpläne der staatlichen Schulen beherrscht, bezeichnete er als überholt und schädlich für eine menschengemäße Entwicklung. Prof. Schneider riet den staatlichen Schulen, von der Waldorfschule zu lernen.

In der Diskussion und der Aussprache mit dem Publikum wurde Andreas Schleicher kritisch gefragt, ob die PISA-Tests nicht in üblicher Weise gelernten Wissensstoff abfragten. Der Referent erklärte die Prinzipien der OECD-Studien, die Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen der Schüler im Vergleich darzustellen sucht. Es sei ein großer Irrtum, man könne die Schüler auf solche „Prüfungen“ vorbereiten, denn es werde kein abstraktes Wissen getestet.

Die Einstellung zu Bildungsstandards sei im übrigen in Deutschland sehr merkwürdig, so Andreas Schleicher. Hierzulande werde der Standard immer als Messlatte für alle angelegt und es zähle nicht der individuelle Standard des einzelnen Schülers. So steht Einzelförderung hintenan, diese sei aber der Schlüssel des Erfolges und haben andere Länder weitergebracht.

Walter Hiller wurde nach den Ergebnissen der Waldorfschulen, die beim letzten Test dabei waren, gefragt. Leider, so antwortete er, gebe es keine Extraauswertung dieser Schulen. Einzelergebnisse aus den Tests der unteren Schulklassen zeigten, dass die Waldorfschüler durchschnittliche Ergebnisse erzielten. So beweise diese Untersuchung, dass es sich bei den Kindern in den Waldorfschulen nicht um besonders begabte Menschen handele und trotzdem sei die Abitursquote doppelt so hoch im Vergleich zu staatlichen Schulen. Darauf könnten die Waldorfschulen stolz sein.

Die letzten Fragen in der gut gefüllten Aula der Wandsbeker Schule galten den Abschlüssen in unserem Bildungswesen. Walter Hiller reagierte zurückhaltend, ob eine Veränderung in der Zukunft möglich sei und die abstrakte Zensierung der Abschlüsse einer angemessenen individuellen Darstellung der Leistungsfähigkeit des Schülers weichen könnte. Die Berufswelt sei nicht darauf vorbereitet. Prof. Schneider und auch Andreas Schleicher zeigten sich optimistischer, die Unternehmen legen den Notenzeugnissen zunehmend weniger Bedeutung bei. Die Veranstaltungsreihe mit dem provozierenden Titel: „Waldorf für alle?!“ soll fortgesetzt werden. Die Debatte an diesem Abend überzeugte sicherlich viele Zuhörer davon, dass das Fragezeichen in diesem Motto deutlich kleiner geschrieben werden könnte.

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