Biogasboom in der deutschen Landwirtschaft

15.09.2006

Bauern entdecken neues Einkommensquelle - Kritische Stimmen zum Energieboom in der Landwirtschaft

Von Michael Olbrich-Majer

DARMSTADT (NNA). Kühe melken, Milch verkaufen und gleichzeitig Strom produzieren – eigentlich eine schöne Vorstellung. In Deutschland entdecken Bauern in ihrem Berufsbild den Energieerzeuger. Vielleicht ist das sogar ein Beitrag zum Klimaschutz, angesichts eines prognostizierten Temperaturanstiegs von 4 Grad Celsius bis zum Jahrhundertende. Waren es vor zehn Jahre nur 150 Pioniere, allen voran Öko- und Demeter-Bauern, die Biogas aus Mist und Gülle nutzten, so sind es heute fast 5000, in der Regel konventionelle Bauern, Tendenz rasant steigend. Die Anlagen werden größer, versorgen Kommunen, Bauern denken an den Ausstieg aus der mühseligen, ertragsarmen Viehhaltung und erwägen, mit dem Feldaufwuchs die Bakterien im Biogaskonverter zu füttern. Molkereien fürchten um ihren Rohstoff, Naturschutzorganisationen um die Lebensvielfalt der Wiesen. Biogas ist neben Biosprit der Renner an handelsfähigen Energieprodukten, auch dank staatlicher Förderung.

An beiden, prinzipiell nachhaltigen Nutzungen, regt sich nun Kritik. Pflanzlicher Sprit konkurriere um die Flächen für andere wichtige Nachhaltigkeitsziele moniert das Umweltbundesamt (UBA) und meint damit Ökolandbau, Biotopverbundsysteme und Erosionsschutz. Außerdem sei die Klimagasminderung marginal: maximal ausgereizt mit 2 Mio Tonnen Raps im Jahr seien nur 1,5-2% machbar. Andreas Obermeier vom UBA plädiert daher in Lebendige Erde (1-2006) für die ungleich effizientere, stationäre Nutzung nachwachsender Energierohstoffe.

Auch Biogas steht unter kritischem Vorbehalt: zwar gibt es genug wissenschaftliche Plädoyers für eine Energieautarkie landwirtschaftlicher Betriebe, gerade Ökobetriebe scheinen dafür prädestiniert. Aber zur Wirkung des Gärrestes von Biogas auf die Bodenfruchtbarkeit gibt es keine einzige Untersuchung. Gülle oder Mist minus Energie - bringt ein solches Substrat mit weniger Kohlenstoffverbindungen dem Boden Kraft und Humusaufbau? Speziell Demeter Betriebe sehen das skeptisch – manche biodynamischen Bauern haben langjährige Biogaserfahrungen. Und die fallen sehr unterschiedlich aus – so dass teilweise auch die Rentabilität infrage steht. Trotz Bonus beim Stromverkaufspreis. Im Juliheft der Zeitschrift Lebendige Erde stellt der Bodenwissenschaftler Dr. Edwin Scheller dar, warum: Was aus der Biogasanlage rauskommt sei perfekter Ammoniumdünger – den kauft der konventionelle Landwirt von der Agrarchemie – nichts für Ökolandwirte – noch. Denn dieser wirkt triebig und fördert nicht die Bodenfruchtbarkeit. Auch die Aminosäurezusammensetzung von Gülle und Mist werde verändert, was den fehlenden Humusaufbau erkläre. Über den Mist (und die Gülle) werden Boden und Pflanze wesentliche Kräfte zugeführt – Bestandteil des biodynamischen Konzeptes zum Ausbau der Bodenfruchtbarkeit und Grundlage für die Lebensmittelqualität. Diese Kräfte, so vermutet Scheller, werden durch die Vergärung beeinträchtigt – was für einen Schweizer Demeter Betrieb bestätigt werden konnte. Der hatte Gülle vor und nach der Vergärung mittels neuer Methoden der Bildkräfteforschung von Dorian Schmidt untersuchen lassen.

Noch allerdings besteht vor allem riesiger und eiliger Forschungsbedarf. Erste, Ergebnisse zeigen problematische Tendenzen, doch gibt es eine Vielzahl von Vergärungstechniken und einsetzbaren Stoffen, deren Auswirkungen auf die Qualität von Boden und Lebensmitteln untersucht werden müsste, um Empfehlungen für die Praxis zu geben. Dazu gehört auch die Optimierung des Gärvorgangs, z.B. durch biologisch-dynamische Präparate. Doch Forschung hierzu findet hier mangels Auftrag und Finanzierung nur marginal statt. Im Boom mag keiner so genau hinsehen. So bleiben Demeter-Bauern vorerst zurückhaltend bei Investitionen in neue Anlagen, mit der Konsequenz, dass andere Ökobiogasbauern ihr Getreide mit dem spritzigen Gärdünger billiger erzeugen können. Ökobauern sind ohnehin deutlich energieeffizienter als ihre konventionellen Kollegen: sie brauchen je Fläche weniger als die Hälfte der Energie.

Michael Olbrich-Majer ist Redakteur von Lebendige Erde

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