Zweites Weltsozialforum in Porto Alegre

06.02.2002

Das Weltsozialforum hat zum zweiten Mal in Porto Alegre in Brasilien stattgefunden. Es versteht sich als Alternative zum Weltwirtschaftsforum - einem jährlichen Treffen der Weltelite unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Das Weltsozialforum ist dagegen offen für alle oder fast alle. Ausgeschlossen werden nur Vertreter von Bewegungen, die auf Gewalt setzen, wie die baskische ETA oder die kolumbianische Guerilla, aber auch Vertreter einer neoliberalen Globalisierung wie der belgische Premier Guy Verhofstadt. Diese Abart der Globalisierung ist nämlich auch Gewalt.

Der Zulauf war mit 60.000 Teilnehmern noch stärker als voriges Jahr. Aber auch die Vielfalt der vertretenen Ansätze hat stark zugenommen. Das zweite Weltsozialforum ist nicht mehr - wie das erste Weltsozialforum Anfang 2001 - das kleinere Übel gegenüber dem Weltwirtschaftsforum. Unter den vielen Ansätzen finden sich nun auch wirkliche Alternativen.

Beim ersten Weltsozialforum waren es neben den brasilianischen Gastgebern vor allem Franzosen. Globalisierungskritiker gibt es nämlich in Frankreich quer durch alle Parteien und ihre Abgrenzung zum Nationalismus ist nicht immer ganz deutlich. Wo es ihnen nicht einfach um das Wiedererstarken des Nationalstaates gegen die internationalen Konzerne geht, schwebt ihnen mehrfach ein globaler Gesellschaftsvertrag vor. Gemeint ist ein internationaler Quasi-Staat, der wenigstens Spekulationsteuern zentral eintreiben könnte.

Die brasilianischen Gastgeber sehen aber nicht ihre Aufgabe darin, vor irgendwelchen Einseitigkeiten zu warnen, sondern einzig und allein darin, Austauschmöglichkeiten zu schaffen. Sie haben daher die Franzosen reden lassen. Damit waren diese aber nicht zufrieden und hatten sich diesmal fest vorgenommen - gegen den erklärten Willen der Brasilianer - eine gemeinsame Erklärung des Weltsozialforums, eine sogenannte Plateforme, unter Dach und Fach zu kriegen. Dies ist ihnen auch gelungen. Herausgekommen ist eine Liste von Einzelforderungen, die dasjenige ausklammert, worum es hier eigentlich geht, nämlich wie die Welt sozial werden kann.

Dabei ist der staatliche Zentralismus genauso wenig konsensfähig, wie die ökonomistische Globalisierung. Das haben dieses Jahr die Debatten auf dem Weltsozialforum deutlich gemacht. Walden Bello - philippinischer Soziologe und Universitätsprofessor - zeigte sich im Gespräch mit Susan George und Peter Wahl von Attac und Weed kompromißlos: "Wir müssen alles dafür tun, zentrale Machtkonzentrationen zu schwächen." Beide wollten aber beinahe nicht alles dafür tun. Peter Wahl möchte zum Beispiel die Vereinten Nationen nicht abschaffen, sondern demokratischer gestalten, indem zivilgesellschaftliche Organisationen wie Attac Sitz und Stimme erhalten. Er wird darin von Ulrich Beck unterstützt. Auch der Politologe Claus Leggewie rät den Globalisierungskritikern, nach Verbündeten in den internationalen Institutionen zu suchen: "Die Aufklärungsbereitschaft auf der transnationalen Ebene ist bisweilen höher als auf der nationalen."

Ein solcher Verbündeter könnte der IWF-Präsident Horst Köhler werden. Er räumte kürzlich in einem Interview mit der Zeitung "Le Monde" nicht nur ein Versagen des Fonds bei der Vorbeugung der Argentinien-Krise ein. Kritik übte Köhler auch an den Industrieländern, deren Agrarprotektionismus auch an den Problemen Argentiniens "nicht ganz unschuldig" sei. Es sei "widersinnig, dass die EU, die USA und Japan jedes Jahr mehrere hundert Milliarden Dollar für Agrarsubventionen ausgeben", und Bauern in Afrika, Mittelamerika oder Asien ihr Existenzminimum kaum sichern können, weil sie durch die Subventionen der reichen Länder aus dem Markt gedrängt werden. Diese Töne sind an solcher Stelle ungewöhnlich. Horst Köhler steht aber nicht an der entscheidenden Stelle, was Agrarsubventionen anbelangt, so daß man sich fragen kann, ob sich bei hohen Beamten die Aufklärungsbereitschaft nicht umgekehrt proportionell zur Zuständigkeit verhält.

Und doch ist etwas dran an der Aussage von Claus Leggewie. Wer für internationale Institutionen arbeitet, hat es leichter aus nationalen Denkmustern herauszukommen. Die globale Zivilgesellschaft braucht dieselbe Lockerung durch Auslandserfahrungen. Wer den Kontrast zwischen der französischen Mutterorganisation von Attac und ihrer deutschen Tochter einmal erlebt hat, kann es nur bestätigen. Der Name ist derselbe und doch treffen zwei Welten aufeinander. Wer gestern noch - wie die französische Seite - seinen Ansatz für universell hielt, wird plötzlich stutzig. Hier gilt nämlich auch: "Die Aufklärungsbereitschaft auf der transnationalen Ebene ist bisweilen höher als auf der nationalen." Und das Weltsozialforum ist dabei, eine solche transnationale Ebene zu schaffen.

Walden Bello gehört mit Vandana Shiva - einer indischen Aktivistin, der es gelungen ist, die Patentierung des Basmatireises durch eine amerikanische Firma zu verhindern - zu den Mitgliedern des International Forum on Globalization. Dort kommen viele der wichtigsten Vertreter einer anderen Globalisierung zusammen, wie Maude Marlow, David Korten und Nicanor Perlas. Ihre Ablehnung einer Zusammenarbeit mit den internationalen Institutionen verbinden sie mit einer ernsten Suche nach neuen sozialen Formen. Dies wird besonders deutlich an einem Entwurf Eine bessere Welt ist möglich! Alternativen zur ökonomischen Globalisierung, den sie beim Weltsozialforum zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt haben. An diesen Text haben sie lange intern gearbeitet. Und er bietet viele Anknüpfungspunkte für Menschen, die von der Notwendigkeit einer sozialen Dreigliederung überzeugt sind. Es ist daher nur konsequent, wenn Ulrich Morgenthaler vom Stuttgarter Forum3 die Mitglieder des International Forum on Globalization nun nach Deutschland einlädt und zu einer Zusammenarbeit zwischen den beiden Bewegungen aufruft.