Wolfgang Thierse und der Euro-Islam

27.12.2001

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat für die Idee eines sogenannten Euro-Islam geworben. Im Südwestrundfunk mahnte er am 27.12 zur intensiven Fortsetzung des kritischen, vor allem selbstkritischen Dialogs der Kulturen. Er wünsche sich einen Islam, der sich auch auf die europäische Tradition einlasse, die wesentlich von der Aufklärung geprägt sei. Ein Islam, der sich mit dieser Form der Kultur auseinandersetze, ermögliche überhaupt erst so etwas wie Pluralismus und religiöse Toleranz. Daraus ergebe sich die Verständigung unterschiedlicher Kulturen auf der Basis gleicher Regeln, sagte er.

Mit "kritischer Dialog der Kulturen" stellt Thierse einen diffusen Begriff "Kultur" in den Raum. Meint er mit "Kultur" bei uns das sog. freiheitlich-demokratische, politische System, so meint er mit "Kultur" im islamischen Bereich Religion. Es passt nicht zusammen.

Für Thierse mag ein "aufgeklärter" Islam ein frommer Wunsch sein, für Muslime wird es aber ein hinterlistiger Desäkularisierungsplan sein. Wenn Thierse unter Aufklärung die "Befreiung des Menschens aus seiner selbstverschuldeten Sklaverei" versteht, muß die andere Definition von Aufklärung von Muslimen auch in Anspruch genommen werden: "So zu tun als ob es außer Mensch und materieller Natur nichts gibt". Mit so einem Euro-Islam kommt man in der Tat zu Überwindung der religiösen Intoleranz durch Überwindung der Religion.

Wenn Dialog, dann ein Dialog der Religionen. Dass ein solcher Dialog ganz anders als bisher geführt werden muß, betont jetzt auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann. Er plädierte am 24.12.2001 für einen "viel aufrichtigeren Dialog der Religionen" als bisher. "Wir haben manchmal einen blauäugigen Begriff von Toleranz und Religionsfreiheit, der oft Gleichgültigkeit zum Ausdruck bringt", sagte er im Deutschlandradio. Es gebe nach wie vor viele Vorurteile. Besonders über das Verhältnis der Religion zur Gewalt müsse gesprochen werden, sagte er weiter. Es sei auf jeden Fall notwendig, auf Gewaltanwendung im Namen Gottes zu verzichten. Jedoch müsse anderen Religionen tolerant gegenübergetreten und Unterschiede müssten akzeptiert werden.

Religiöse Toleranz ist aber eigentlich eine alte islamische Tradition, auf die sich alle Muslime zurückbesinnen sollten, und von der das Abendland vieles lernen kann, - umgekehrt weniger.