Entwurf zur halben Reform der Juristenausbildung

26.09.2001

Nach Ansicht der deutschen Sozialdemokraten und Grünen soll die Juristenausbildung reformiert werden. Dazu wollen die entsprechenden Fraktionen im Oktober einen Gesetzentwurf vorlegen. Die Hauptelemente der Reform wurden heute von Sprechern angedeutet.

Manche Maßnahmen zielen auf einen besseren Absatz der Studenten auf dem Arbeitsmarkt. Zu diesem Zweck sollen fremdsprachliche Rechtsstudien stärkere Beachtung finden und der Schwerpunkt auf die Vorbereitung zum Anwaltsberuf - beziehungsweise zum Beruf des juristischen Beraters - gelegt werden. Dies mag ein Fortschritt sein. Man muß sich allerdings eine grundsätzliche Frage stellen: Wieso brauchen Universitäten außenstehende Politiker, um herauszukriegen, worauf sich angehende Juristen vorbereiten sollen? Wären die Politiker nicht gewesen, so wäre es zum Beispiel nie zur einseitigen Ausrichtung der Juristenausbildung auf die eigene Rechtslage gekommen. Sie meinten nur brave Paragraphenmenschen brauchen zu können, die sich nicht durch die Kenntnis fremder Gebräuche um ihren nationalen Menschenverstand bringen lassen. Unsere modernen Politiker beugen sich nun vor den Anforderungen der europäischen Einigung und der Globalisierung. Die Wirtschaftsräson siegt über die alte Staatsräson. Es fragt sich nur, ob der wirtschaftliche Menschenverstand besser taugt als der staatliche.

Ein weiteres Element der Reform läßt aufhorchen. Bei der Einstellung von Richterinnen und Richtern soll in Zukunft nicht nur die Examensnote, sondern auch vorhandene Berufs- und Lebenserfahrung und soziale Kompetenz stärker als bisher berücksichtigt werden. Hier wurde ein zentrales Problem der bisherigen Richterwahl erkannt. Seine Lösung verlangt aber mehr als die üblichen Halbreformen.

Wer unbefangen heutige Prozesse verfolgt, staunt ob der verkehrten Welt. Statt sich um eine persönliche Einschätzung der Beteiligten zu bemühen, verlassen sich die meisten Richter - und Richterinnen - auf Gutachten von Psychologen oder Sozialarbeitern. Die ganze juristische Maschinerie ist auch darauf ausgelegt, so daß es für sie nicht einfach wäre, hier neue Wege zu gehen. Von ihnen wird erwartet, daß sie sich in den jeweiligen Akten und Gesetzen gut auskennen. Umgekehrt wäre es aber sinnvoller. Richter müßten sich in den Menschen gut auskennen und sich nicht bei ihnen, sondern stattdessen bei den Gesetzen auf Gutachten verlassen.

Die bisherige Einstellung von Richtern nach Examensnote war wohl ein ziemlich ungeholfener Versuch, den parteipolitischen Gesichtspunkt bei der Wahl auszuschliessen. Wird nun den Politikern überlassen, Richter nach subjektiveren Gesichtspunkten zu wählen, könnte sich das Problem verschärfen. Man sollte sich lieber darum bemühen, daß gerade die Examensnoten Lebenserfahrung und soziale Kompetenz widerspiegeln. Dies können daher nicht die Examensnoten einer Juristenausbildung sein, sondern nur diejenigen eines Lebens. Anders gesagt: Zum Richter kann man sich nicht ausbilden, sondern nur dazu werden. Man muß durch die Art der Ausübung eines anderen Berufs seine Eignung zur richterlichen Tätigkeit beweisen. Zum Richter gibt es nur den zweiten Bildungsweg. Und dieser Weg muß nach einigen Richterjahren wieder zum Leben zurückführen, noch bevor die vorher erworbene Lebenserfahrung anfängt, staubig zu werden.

Hoffentlich fält es den Sozialdemokraten und Grünen bis zur Vorlage ihres Entwurfs einer Reform der Juristenausbildung ein, wie sie ihr Ideal des entstaubten Richters verwirklichen können. Dazu müßte die Politik allerdings auch darauf verzichten, diesen Richter selber auszuwählen.