Lionel Jospin und die staatliche Kampfwirtschaft

28.05.2001

Der französische Premierminister Lionel Jospin hat seine seit Monaten erwartete Grundsatzrede zur EU-Politik gehalten. In den vergangenen Monaten war der sozialistische Regierungschef wiederholt gedrängt worden, zu den Reformvorschlägen Stellung zu nehmen, die von Bundesaußenminister Joschka Fischer, Bundeskanzler Schröder und Bundespräsident Johannes Rau gemacht wurden. Dabei griff er einige Ideen der deutschen Politiker auf.

Insbesondere befürwortete Jospin die Ausarbeitung einer "europäischen Verfassung", in der die Aufgaben der einzelnen Institutionen klar definiert werden sollten. Ihm ging es aber vor allem darum, die Vorschläge Schröders zur Weiterentwicklung der Europäischen Union zurückzuweisen. "Frankreich und andere europäische Staaten können diese Vorstellung von einer Föderation nicht hinnehmen". Zum Föderalismus, der in Frankreich traditionell abgelehnt wird, äußerte sich Jospin allerdings differenziert. Das deutsche Modell des Zusammenspiels von Bundesländern und Bund und die amerikanischen Bundesstaaten in den USA kommen aus seiner Sicht als Modell für Europa nicht in Frage. Eine "Föderation von Nationalstaaten" im Sinne des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors kann er sich dagegen durchaus vorstellen.

Was heißt nun für Frankreich Nationalstaat? Was Frankreich eigentlich retten will, sind seine Rechte in der Außen- und Verteidigungspolitik, während Schröder eher bereit wäre, sie an die EU abzutreten. Und umgekehrt: Wo Schröder vorschlägt, einen Teil der europäischen Kompetenzenwieder aus Brüssel abzuziehen, nämlich in der Landwirtschaftspolitik, wehrt sich Jospin dagegen. Die Landwirtschaftspolitik soll lieber auf europäischem Niveau bleiben. Hier bringt der Föderalismus Frankreich massive wirtschaftliche Vorteile, sprich Subventionen, die dem Land trotz der Globalisierung wieder eine eigenständige Außen- und Verteidigungspolitik ermöglichen sollen.

"Nationalstaat" heißt für Jospin auch, daß die EU nur ein Mittel sein soll, um eine staatliche Lenkung der Wirtschaft weiter zu gewährleisten. Eine einseitige Ausrichtung der europäischen Politik an Wirtschaftsinteressen soll vermieden werden. "Europa kann keine reine Freihandelszone sein". Es muß "starke und effiziente staatliche Unternehmen" geben, die in einem von der EU definierten rechtlichen Rahmen arbeiten. Nicht umsonst wehrt sich die französische Regierung seit Monaten gegen die Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes. Die Europäische Union soll als Wirtschaftsraum mit einer "starken industriellen Ambition" ausgebaut werden. Unter Hinweis auf das europäische Airbus-Konsortium betont Jospin, daß Europa einer "ausschließlichen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten in entscheidenden Bereichen" widerstehen soll.

Jospins europäische Vision läßt einen aufhorchen. Wer Frankreich kennt, weiß daß er dort mit seiner Ablehnung der Ökonomisierung der Welt manche betören kann. Sie merken nicht, daß diese Ökonomisierung nur deswegen weiter fortschreitet, weil Politiker wie Jospin mit unmöglichen Alternativen liebäugeln. Die staatlichen Unternehmen haben schon längst abgewirtschaftet. Sie übertreffen an Ineffizienz sogar jede Marktwirtschaft. Mit ihnen zu rechnen, um irgendeine amerikanische Vorherrschaft zu brechen, hat nicht einmal mit Verteidigungspolitik, sondern mit Selbstvernichtungspolitik zu tun.

Staatliche Unternehmen sind auch eine Selbstvernichtung der Politik, weil Politik nur dann glaubwürdig sein kann, wenn sie überhaupt keine Wirtschaftsinteressen vertritt. Um glaubwürdig zu sein, reicht es nicht aus, wie Jospin Freihandelszonen als Vorherrschaft der Ökonomie abzulehnen. Oder wie Schröder die bundesdeutsche Verfassung auf Europa zu übertragen. Es bedarf vielmehr einer europäischen Verfassung, in der die Zuständigkeiten der einzelnen Lebensbereiche - Wirtschaftsleben, Rechtsleben und Geistesleben - im Sinne einer sozialen Dreigliederung definiert werden. Sie würde an sozialer Klarheit alles übertreffen, was unsere deutschen und französischen Politiker bisher von sich gegeben haben.