Entkoppelung von Wirtschaft und Politik in der Türkei

25.04.2001

Die türkische Regierung hat die Länder der Europäischen Union (EU) und die USA vor "Erpressung" gewarnt. "Die Türkei braucht dringend wirtschaftliche Unterstützung, aber es wäre ein großer, großer Fehler, wenn der Westen diese Hilfe an politische Bedingungen knüpfen würde", sagte der türkische Wirtschaftsminister Kemal Dervis vor den Beratungen des Internationalen Währungsfonds und der G7-Staaten über Finanzhilfen an die Türkei am Wochenende. Ankara erfülle alle wirtschaftlichen Bedingungen, damit die finanzielle Hilfe wirksam werden könne. "Aber politische Bedingungen an die Finanzhilfe zu knüpfen - das ist Erpressung." Damit würde das Gegenteil des Gewünschten erreicht werden, warnte Dervis. Die Demokratie in der Türkei sei "nicht perfekt, aber sie funktioniert." Es sei übertrieben, das System "total bankrott" zu nennen. Das System müsse aber erneuert werden. "Politik und Wirtschaft müssen in der Türkei getrennt werden" sagte Dervis. Trotz der Krise hält der Minister an der Absicht von Regierungschef Bülent Ecevit fest, im Jahr 2004 die EU-Beitrittsverhandlungen aufzunehmen: "Es ist möglich - wenn wir bergauf kommen."

Es ist zwar verlockend, in der Türkei Fortschritte in Sachen Menschenrechte durch wirtschaftliche "Erpressung" zu erreichen, aber "Erpressung" und europäische Ausgrenzung würden die Türkei vom Reformkurs abdrängen. Bei der anstehenden Änderung der türkischen Verfassung sollte man alles, was in Richtung Dreigliederung führt, unterstützen. Mit dem türkischen Laizismus ist ein Bewußtsein für die Trennung zwischen Kirche/Geistesleben und Staat vorhanden, das nun angesichts der Wirtschaftsprobleme im Sinne der Dreigliederung von Kemal Dervis ergänzt wird mit der Trennung zwischen Rechtsleben und Wirtschaft.

Der Gordische Knoten der Türkei ist das richtige Verständnis der Trennung zwischen Geistesleben und Staat. In der Türkei galt bisher die Maxime, das politische System rein zu halten durch Säkularisierung und Unterdrückung des Geisteslebens. Die Trennung beruht aber auf gegenseitiger Trennung von Sphären und mit einem wirklich freien Geistesleben wären viele Menschenrechtsdefizite der Türkei erledigt. Die politischen Fundamente der Türkei müssen konsequent zu Ende gedacht werden, und zwar in Richtung Dreigliederung, erst dadurch wird die Türkei fit für Europa und das nächste Jahrtausend sein. Kemal Dervis hat als erster türkischer Politiker erkannt, dass das Trennungsprinzip auch für die Wirtschaft gilt. Das verheißt Gutes für die anstehende Verfassungsreform.