FTAA - Free Trade Area of the Americas statt Menschenrechte

22.04.2001

Zum Abschluss des Amerika-Gipfels im kanadischen Québec haben sich 34 Staats- und Regierungschefs auf die Schaffung einer amerikaweiten Freihandelszone geeinigt. Der geplanten Freihandelszone Free Trade Area of the Americas (FTAA) dürfen allerdings nur demokratisch regierte Länder angehören, so daß Kuba außen bleibt. Die Vorteile des Abkommens sollen nur den Staaten zuteil werden, die diese Klausel auch respektieren, sagte der kanadische Premierminister Jean Chrétien. Mit demselben Argument wurden gewalttätige Demonstranten vom Gipfel ferngehalten. Ihre Aktionen widersprechen den demokratischen Prinzipien, die wir alle hochhalten, meinte Chrétien.

Wie es um diese demokratischen Prinzipien steht, machte amnesty international deutlich. Unter dem Motto "Amerika integrieren ohne die Menschenrechte auszugrenzen" zeigte sich die Organisation besorgt, daß die Menschenrechte kein zentrales Thema der Konferenz darstellen. Und dies obwohl die Lage auf dem amerikanischen Kontinent diesbezüglich extrem Besorgnis erregend ist. Noch immer genießt die Liberalisierung des Handels oberste Priorität, während Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen werden. Die Organisation forderte die Teilnehmerländer insbesondere auf, die Straffreiheit für Staatschefs aufzuheben sowie den Schutz von Menschenrechtsanwälten sicherzustellen.

Die Worte von Chrétien sind in der Tat typisch für das bornierte Gesellschaftsbild heutiger Politiker: "Demokratie und wirtschaftliche Integration sind die Schlüsselbegriffe dieses Gipfels". Man braucht sich dann nicht zu wundern, wenn Gegengipfel gehalten werden, diesmal an der Universität Laval am Rande der Stadt. Dort wird die Priorität auf die Zivilgesellschaft gesetzt, einem dritten Schlüsselbegriff. Über die Bezeichnung kann man sich natürlich streiten. Sie zeigt eigentlich nur, wie hilflos sogar die Wissenschaft ist, wenn es darum geht, über Staat und Wirtschaft hinaus zu denken. Noch einfallsloser sind die Medien, die lieber von Globalisierungsgegnern sprechen. Amnesty international setzt sich doch auch für eine Globalisierung ein - nur ist es diejenige der Menschenrechte.

Die zentrale Frage ist, ob Klauseln - sei es Demokratieklauseln oder Zivilgesellschaftsklauseln - Sinn machen, wenn es um internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit geht. Wäre es nicht sinnvoller, Staaten diplomatisch zu isolieren, wenn sie undemokratisch werden? Sowie alle kulturellen Beziehungen mit denjenigen zu brechen, die andere Kulturen unterdrücken? Oder ist ein solcher Vorschlag zu naiv? Bläst man damit nicht ins Horn der nationalen Interessen und internationalen Konzerne, die nur Geschäfte machen wollen - möglichst ohne Klauseln?

Das Problem bei einem solchen Vorschlag ist der Machthunger der Politiker. Werden sie durch die Globalisierung dazu gezwungen, den Handel freizugeben, so rächen sie sich an der Zivilgesellschaft. Sie müssen sich abreagieren und treiben um so mehr Bildungs- und Kulturpolitik. Wenn sie kein Geld mehr haben, dann kompensieren sie mit Gesetzen und Verordnungen und reden wie Chrétien von Demokratie.

Man kann, wie Chrétien, gewalttätige Demonstranten kritisieren und trotzdem seine demokratischen Prinzipien ablehnen. Seine Macht müßte sich an einem viel größeren Widerstand brechen, an einer öffentlichen Meinung nämlich, die eine Unterschrift unter einem Freihandelsvertrag erst dann für gültig hält, wenn ein Freikulturvertrag mit der eigenen Bevölkerung geschlossen worden ist. Das würden die anderen Länder bald zu spüren bekommen. Auch ohne Demokratie- und Zivilgesellschaftsklausel. Es gibt eben nichts Ansteckenderes als ein Land in reiner Kultur.