Gerhard Schröder und seine Osterweiterung ohne Osteuropäer

20.12.2000

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) will den Arbeitsmarkt der Europäischen Union den osteuropäischen Beitrittskandidaten erst nach einer Übergangszeit von sieben Jahren nach EU-Aufnahme uneingeschränkt öffnen. Schröder sagte am Montag auf einer Regionalkonferenz der Oberpfalz in Weiden, angesichts von noch 3,8 Millionen Arbeitslosen sei die Aufnahmefähigkeit des deutschen Arbeitsmarkts noch für längere Zeit "erheblich eingeschränkt". Die sofortige volle Freizügigkeit für die osteuropäischen Arbeitnehmer sei nicht verkraftbar. Der Kanzler schlug laut Redetext deshalb ein "flexibles Modell" vor: Danach soll eine Verkürzung der Übergangsfrist von sieben Jahren für einzelne Beitrittskandidaten möglich sein. Dazu seien Pflichtüberprüfungen, eine Art "Besichtigungstermin", nach fünf Jahren erforderlich. Auf Antrag könnten geeignete Kandidaten, wenn die Voraussetzungen vorlägen, bereits vorher eine Aufhebung der Beschränkungen beantragen. Schröder erinnerte daran, dass es ähnliche Übergangsregelungen bereits für Spanien und Portugal 1985 gab. Das Bundesarbeitsministerium habe sogar eine Frist von bis zu 20 Jahren verlangt.

Der schwedische Ministerpräsident und EU-Ratspräsident des ersten Halbjahres 2001, Göran Persson, hat sich zustimmend zu den Vorschlägen von Bundeskanzler Gerhard Schröder über die Beschränkungen auf dem EU-Arbeitsmarkt für Bürger aus den Beitrittsländern in Ost- und Zentraleuropa geäußert. Nach einer informellen Begegnung mit Schröder am Mittwochabend in Stockholm meinte Persson: "Das ist ein ausgeklügeltes und interessantes Programm, das den EU-Erweiterungsprozess sehr wohl erleichtern kann".

Ansonsten war die öffentliche Kritik an Gerhard Schröder gedämpft. Die liberale tschechische Tageszeitung "Mlada fronta Dnes" schrieb heute: "Wir können verstehen, dass Deutsche und Österreicher sich vor den Horden aus dem Osten ängstigen. Wir wissen aber, dass nur ein kleiner Teil der Tschechen wirklich in den Westen gehen will".

Die politischen Stimmen in Deutschland distanzierten sich nur leicht von Gerhard Schröder, und waren sich im Grunde über eine Begrenzung von Arbeitskräften einig. So meinte Helmut Lippelt (Grünen), dass sieben Jahre zuviel seien: "Eine Übergangszeit von drei Jahren wäre genug", meinte er, und Friedbert Pflüger (CDU) hieß den Vorschlag des Kanzlers zwar grundsätzlich gut: "Was Herr Schröder gesagt hat, entspricht einer alten Forderung der CDU/CSU-Fraktion." Doch warnte Pflüger davor, die Gefahren der Freizügigkeit zu dramatisieren. "Die Furcht vor Arbeitskräften aus Osteuropa halte ich für etwas übertrieben", sagte der Europapolitiker.

Es kann von dem Realpolitiker Gerhard Schröder zwar nicht verlangt werden, von einer Vision von Europa beseelt zu sein, aber er muß doch differenzieren können: Wollte er im Osten nur eine Freihandelszone, wäre bloß eine EFTA Erweiterung und keine EU-Erweiterung nötig.

Das einzigartige EU-Prinzip ist die Freizügigkeit von Menschen, Dienstleistungen und Kultur, und nicht bloß Waren und Kapital. Das ist die wichtigste Grundlage der EU. An ihr darf nicht ohne äußerst zwingende Gründe gerüttelt werden. Die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt darf nicht über das Erweiterungstempo der EU entscheiden. Ihr darf auch nicht gestattet werden, die Rechte neuer Unionsmitglieder einzuschränken. Europa ist eine Festung und jetzt will Deutschland einen Bunker darin bauen.

Die Frechheit der Vorschlag Gerhard Schröders wurde etwa dadurch unterstrichen, dass durchaus Ausnahmen für in Deutschland benötigten Arbeitskräfte möglich sein sollen und dass Serviceunternehmen aus neuen EU-Ländern nicht erlaubt sein soll, sich an Ausschreibungen zu beteiligen. Gerhard Schröder und viele andere deutsche Politiker müssen erkennen, daß sie statt eines weiteren Verbotes von osteuropäischen Arbeitsnehmern in Deutschland und EU, die illegalen osteuropäischen Arbeiter in Deutschland entkriminalisieren müssen. Die Politiker müssen erkennen, daß in der Baubranche wo die illegale Arbeit besonders boomt, ein Wegfall der illegalen Arbeiter eine Krise bewirken würde. Das deutsche Bauwesen ist im privaten Sektor ohne den osteuropäischen Arbeiter unfinanzierbar. In kaum einem anderen europäischen Land als Deutschland sind die Immobilienpreise so hoch, und in kaum einem anderen Land erreicht der volkswirtschaftliche Unsinn der Heimwerker und Häuslebauer solche Höhen wie in Deutschland.

Und was ist mit der arbeitslosen Deutschen? Ihnen wird auf jeden Fall nicht durch die Bekämpfung der osteuropäischen Arbeiter geholfen. Sie müssen sich vielmehr an ihre Gewerkschaften wenden und von denen fordern ein assoziatives Tarifabkommen mit der Wirtschaft auf den Weg zu bahnen. Am sonsten ist auch keineswegs mit einer "Osthorde" zu rechnen: Bei früheren Ausweitungen der EU, etwa mit Spanien und Portugal Anfang der achtziger Jahre, fürchteten sich die damaligen Mitglieder ja auf ähnliche Weise. Nach dem Beitritt aber zeigte sich, dass die Auswanderung in Wirklichkeit abnahm.