Verfolgung von Sinti und Roma in Europa

04.08.2000

Verfolgung von Sinti und Roma: Deutschland prüft Gewaltschutz für Sinti und Roma, während slowakische Politiker Zigeunerreservate einrichten wollen.

Nach dem Bombenanschlag in Düsseldorf und Spekulationen über ein rassistisches Motiv hat der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose auf der Gedenkfeier im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von Bundesregierung und Bundestag gesetzliche Schritte gegen rechtsextreme Gewalttäter gefordert. Er habe bereits im März 1999, zusammen mit dem damaligen Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) zu einer Erweiterung des Strafgesetzes aufgefordert, sagte Rose. Erst im vergangenen April habe die Ministerin eine "Prüfung" zugesagt.

Während so die Möglichkeit für eine friedliche Existenz in Deutschland geprüft wird, ist man in Deutschland offenbar blind für die existentielle Verfolgung der Sinti und Roma, vorallem in Osteuropa. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) hat das deutsche Bundesland Niedersachsen wegen der Abschiebung von einer Roma-Familie in den Kosovo kritisiert. Im Kosovo müssen die Roma, so wie auch die Serben, um ihre Sicherheit fürchten. Erst einen Tag vor der Abschiebung seien in einem Dorf südlich von Pristina drei Roma ermordet worden. "Wir sind gegen die unfreiwillige Rückkehr von Angehörigen ethnischer Minderheiten", sagte heute UNHCR-Sprecher Ron Redmond in Genf. Niedersachsen versucht sich derweil mit der Rechtfertigung, daß die ethnische Identität der besagten Familie nicht sicher ist. Daß die Sinti und Roma nun von Niedersachsen wegen kultureller Anpassung rechtlich benachteiligt werden, ist widersinnig und vorallem ungerecht, aufgrund des massiven Assimilationsdrucks, der auf Sinti und Roma in Osteuropa ausgeübt wird.

Ansonsten wäre ein Gesetz zum Gewaltschutz der Sinti-Roma, wie es Romani Rose fordert, in Tschechien und der Slowakei sehr von Nöten. Der rechtsextremistischen Szene in Tschechien wird die aktive Teilnahme an mindestens 30 Morden an Roma seit 1990 vorgeworfen. Dabei schauen die Politiker und die Polizei den Machenschaften der ca. 3000 Rechtsextremisten in Tschechien tatenlos zu: Nur das "Heil Hitler" ist gesetzlich verboten, und als die Prager Polizei Ende Juli kompromisslos gegen eine nicht angemeldete Anti-Atomkraft-Demonstration von "Greenpeace" vorging, wurde kurz zuvor ein Marsch von Neo-Nazis durch die Hauptstadt von den Behörden toleriert.

Die tschechische Republik schickt alle Sinti und Roma aus der Slowakei, die vor 7 Jahren die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft besaßen, zurück, ungeachtet ihrer Berichte von Verfolgungen in der Slowakei. Tschechien hat wohl mehr als genug mit rund 40.000 Sinti und Roma im eigenen Land. Zum Glück sind die Zeiten vorbei, wo die Zigeuner in den Ländern der Böhmischen Krone rechtlich vogelfrei waren, aber im Nachbarland Slowakei schwirren Ideen von rechtlicher und räumlicher Ausgrenzung der Sinti und Roma in den Köpfen einiger Politikern: Der slowakische Parlamentsabgeordnete Vitazoslav Moric, dem die Slowakische Nationalpartei (SNS) gehört, die früher an der Regierung beteiligt war, hat die Errichtung sogenannter Zigeuner-Reservate nach dem Vorbild der amerikanischen Indianer-Reservate verlangt. "Wenn wir jetzt nicht Reservate für die Zigeuner schaffen, werden sie in 20 Jahren Reservate für uns einrichten", sagte der Parlamentarier am Freitag im Rundfunk in Bratislava unter Hinweis auf die hohe Geburtenrate dieser Minderheit, obwohl dies geradezu paranoid erscheint, zumal die Sinti und Roma nicht mehr als 2% der Bevölkerung ausmachen (allerdings nach offiziellen Angaben).

Um Auschwitz-Birkenau zentriert sich die schmerzliche Erinnerung Europas an ethnischen und rassistischen Haß. Aber der Erinnerungskult nimmt durch nationale Färbung unterschiedliche Gestalten an. Während die polnische Senatspräsidentin Alicja Grzeskowiak bei der Gedenkfeier in Auschwitz am 2.8.2000 dazu aufrief, die Opfer des Nationalsozialismus nicht zu vergessen, gleich ob es sich um Roma, Juden, Polen oder andere Opfergruppen handelte, scheinen sich die Tschechen nur an ihr Leid und Unrecht zu erinnern. Es sei darauf hingewiesen, daß der deutsch-tschechische Fond zur Entschädigung von NS-Verbrechen nur die tschechischen Opfer, und nicht die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs ins Auge faßte, und daß die sudetendeutsche Forderung nach Teilhabe an dem Fond grob vom Tisch gefegt wurde, mit dem Hinweis auf die Sensibilität der Tschechen.

Ein Land, das auch in öffentlichen Erklärungen nichts grundsätzlich Falsches in der Vertreibung von über 3 Millionen ethnisch fremden Bürgern nach dem Zweiten Weltkrieg sehen kann, wird nichts von der Geschichte lernen, und solange müssen die EU-Länder auf Flucht von verfolgten Sinti und Roma gefaßt sein. Dann darf man aber nicht, so wie in Niedersachsen, bei der Festlegung des Flüchtlingsstatus, abstrakt nach der Erfüllung von ethnischen Kriterien fragen. Rassisten wissen Zigeuner immer zu kategorisieren. Die Sinti und Roma, einerseits Meister der Anpassung, andererseits einem Assimilationsdruck ausgesetzt, haben es schwer in einem Gruppen-orientierten Rechtssystem. Die EU-Länder haben keine Minderheitenrechte und keine gemeinsame Asyl-Politik, die der Verfolgung der Sinti und Roma gerecht wird. Die EU muß entsprechende Minderheitenrechte für die Sinti und Roma verabschieden und die Einhaltung dieser Rechte als Aufnahme-Kriterium für osteuropäische Länder festlegen, um den 1 Million Sinti und Roma eine Zukunft in Europa zu ermöglichen.