hessnatur hat Capvis - und wird es wieder los!

01.06.2012

Die Funktionsweise von Private-Equity, aber auch das Gegenmittel soll hier am Beispiel von Capvis, dem Schicksal des Besteckherstellers WMF und dem Kampf der Kunden von hessnatur für den Erhalt des Ökopioniers kurz erklärt werden

Warum Capvis und Fair Trade Gegensätze sind

Am 1. Juni gab Capvis bekannt, den Ökomodenversender hessnatur gekauft zu haben und nun "in die Zukunft führen" zu wollen. Der Besteckhersteller WMF, den Capvis 2006 gekauft hatte und offenbar in den nächsten Wochen wieder abstoßen will, ist seiner "Zukunft" schon sehr Nahe gekommen. Die ehemals "Württembergische Metallwarenfabrik" produziert heute vorrangig in China. Seit der Übernahme von WMF durch die Schweizer Investmentgesellschaft wird in dem Traditionsunternehmen "jeder Bereich auf Profit getrieben", so die IG Metall. "Es wird in den kleinsten Bereichen geschaut, wo man sparen kann".

Gegen Gewinn ist nichts einzuwenden, Gewinn ist der Saft der Wirtschaft - wenn er der Wirtschaft zur Verfügung steht. Eine Private-Equiuty-Gesellschaft wie Capvis funktioniert jedoch genau umgekehrt: sie verringert systematisch den Anteil für die Realwirtschaft. Auf Kosten des Einkommens der arbeitenden Menschen, und damit auf Kosten der Qualität des Produkts, wird die Marge für "Eigentümer" erhöht, die mit dem betreffenden Unternehmen gar nicht real verbunden sind, im Falle von Capvis zum Beispiel u.a. in den USA sitzen. Diese Abstraktion des "Rechts" am Produktionsmittel von der realen Inhaberschaft und Verwaltung desselben ist die Ursache für die Ausbeutung in der dritten Welt, und zunehmend auch für die Ausbeutung in der ersten Welt. Und sie ist das Kernproblem der Finanzkrise, denn genau hier entsteht der so genannte "Scheinwert": Nach 3 bis 5 Jahren wird das Unternehmen und damit das "Recht" auf die Marge weiterverkauft. Die nächste Investmentgesellschaft spekuliert dann ihrerseits auf das, was sie vermeintlich noch alles aus dem Unternehmen herausholen kann. Je nachdem, wie weit die Substanz des Unternehmens schon zerstört wurde, hält der Nachfolger jetzt aber tatsächlich den schwarzen Peter in der Hand - oder findet noch einen dritten, und das Spiel geht in eine weitere Runde.

Ein Fair-Trade-Unternehmen versucht das Gegenteil: Hier geht es umgekehrt um jeden Cent, der zusätzlich für das Einkommen der real arbeitenden Menschen ausgegeben werden kann. Auch im Interesse der Qualität des Produkts, also im Interesse der Kunden. Hier geht es nicht um Scheinwirtschaft, sondern um Realwirtschaft.

Capvis und hessnatur sind also wie Öl und Wasser - sie schließen sich aus. Was entsteht, wo man beide doch zusammenzwingt, kann man sich gegenwärtig im hessnatur-blog vergegenwärtigen: als Reaktion auf die Bekenntnisse der hessnatur-Kunden für die Genossenschaftslösung ruft die Geschäftsführung nun ihrerseits die Kunden auf, sich zu einer "sozialen und ökologischen" Produktion zu bekennen, d.h. aber: sich mit dem Aufkleber "I Love Eco Fashion" zu fotografieren und an der Verlosung einer Jacke teilzunehmen. Öko als Holhlformel für Hohlköpfe.

Das wird nicht aufgehen. Capvis übersieht, dass ganz andere schon vor ihr daran gescheitert sind, dass bei der Mehrheit der Kunden eines Fair-Trade-Unternehmens eben doch etwas drin ist in den Köpfen.

Die organisierte Kopflosigkeit

Wenn es nach Capvis geht, steht die Laufzeit für hessnatur schon fest: 2018 soll das Spekulationsobjekt versilbert werden. Bis dahin muss es profitabler gemacht werden, d.h., ganz gleich, was Capvis jetzt an guten Vorsätzen verbreitet: wenn das Unternehmen 2008 den nächsten Spekulanten finden soll, muss bis dahin die Differenz zwischen Warenpreis und Einkommen der Warenerzeuger verlockend groß geworden sein. Im besten Fall bedeutet das: Entweder werden die "Lohnkosten" gesenkt, oder etwaige technisch oder strukturell bedingte Verbilligungen der Produktion nicht an den Kunden weitergeben. Schätzungsweise bis zu 20 % des Kaufpreises holt ein Private-Equity-Fonds wie Capvis so für gewöhnlich laufend für Rendite und Zinsen aus dem angeeigneten Unternehmen heraus.

Capvis baut darauf, dass die gegenwärtige Wirtschaftswissenschaft ihrerseits von Staat- und Wirtschaftsmacht verwaltet wird, und somit inhaltlich mehr Ausdruck der Missverhältnisse, als Erkenntnis derselben ist. Es fehlt eine freie Bildung, innerhalb welcher die arbeitenden und konsumierenden Menschen sich ein rein sachliches Denken auch über die ökonomischen Prozesse aneignen können. So ist es möglich, dass Capvis sich hinstellt und behauptet, man habe hessnatur nur mit "Eigenkapital" gekauft. Viele glauben das, denn was bleibt ihnen angesichts der verworrenen Verhältnisse anders übrig als vermeintlichen Autoritäten zu glauben? Und Capvis sagt im juristischen Sinn ja nicht einmal die Unwahrheit. Nur ist das Wort "Eigenkapital" eine Wortspielerei. Es bedeutet in diesem Zusammenhang nur, dass Capvis sich das Geld für den Kauf von hessnatur nicht von einer Bank geliehen hat. Falls das stimmt, hat Capvis also nicht vor, hessnatur die Schulden für einen direkten Bankkredit aufzubrummen, wie sie das bei anderen Unternehmen schon gemacht haben. Aber: Es bedeutet eben nicht, dass Capvis eigenes Kapital investiert! Capvis besitzt überhaupt kein eigenes Kapital, sondern verwaltet die Gelder anderer Gesellschaften, hinter denen wieder andere Gesellschaften stehen, und so weiter. Bei Capvis handelt es sich dabei mehrheitlich um Investmentgesellschaften und Pensionskassen. Weil diese Gelder jedoch nicht in Form von Krediten zu Capvis kommen, sondern als Fondsbeteiligung, kann Capvis sagen, dieses Geld sei ihr "Eigenkapital". Aber selbstverständlich sind dafür horrende "Zinsen" fällig, nämlich die Rendite der Anleger! Das Geld ihrer Anleger durch Kauf und Verkauf von Eigentumsrechten zu vermehren, ist Aufgabe von Capvis - Capvis selbst lebt von der Provision für dieses "Geschäft".

Ein Private-Equity-Fonds spielt also nur die Rolle eines Vermittlers. Auch Capvis handelt im Auftrag von Gesellschaften wie z.B. HarbourVest, die nicht erkannt und für ihre "Geschäfte" nicht in Haft genommen werden wollen, und eben deshalb Gesellschaften wie Capvis vorschieben. Wikipedia erklärt: "Für in Private-Equity-Gesellschaften investierende Banken, Versicherungen, Pensionskassen, vermögende Privatleute oder amerikanische Privatuniversitäten sind Private-Equity-Fonds wegen der meist unübersichtlichen Vertrags- und Beteiligungsstrukturen eine Möglichkeit, sich am Kapitalmarkt zu betätigen, ohne im Misserfolgsfall einzelner Investments finanziell in Haftung genommen zu werden. Würden die Investoren direkt in die Targets investieren, müssten sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und zum Schutz ihres kaufmännischen Rufes finanziell geradestehen. Die Investoren erhalten bei den PEGs Anonymität und damit Schutz vor einer finanziellen Haftung."

Das ist wiederum das exakte Gegenteil der Idee von Fair Trade: Fair Trade beruht darauf, dass eine Wahrnehmung entsteht zwischen den Menschen, die sich über den Wirtschaftskreislauf miteinander verbinden. Erst die Wahrnehmung ermöglicht Verantwortlichkeit, und gerade die soll gefördert werden. Allein aufgrund einer gegenseitigen Wahrnehmung ist in der Wirtschaft ein menschenwürdiges Handeln möglich: ich kann dann sehen, wo es fehlt, an welcher Stelle mehr gegeben werden muss, und an welcher Stelle weniger. Das kommunikative Assoziieren von Konsumenten und Produzenten ist deshalb für die Wirtschaft das, was die direkte Demokratie für das Recht ist. Welches Potential in dieser Kommunikation für eine zukünftige solidarische Wirtschaft liegt, offenbart die gegenwärtige Zusammenarbeit von Konsumenten und Produzenten zur Rettung von hessnatur

Falls Capvis die Übernahme von hessnatur gelingen sollte, hebelt das die Funktionsweise von Fair Trade aus. Der Kunde, der mehr bezahlen will, weil er an die Näherinnen in der dritten Welt denkt, wird benutzt, um letztendlich das zu erwirtschaften, was die Ausbeutung dieser Näherinnen erst ermöglicht. Denn über Capvis fliesst das Geld der Kunden von hessnatur weiter und speist das internationale Finanzkapital. Irgendwo in der Welt wird es dann wieder Einkommen von Menschen, die dabei etwas tun, für das keiner mehr eine Wahrnehmung haben kann.

Capvis ist also so etwas wie ein Abstraktionsapparat. Der Wirtschaftsprozess wird über Zweckgesellschaften wie Capvis der Wahrnehmung und damit dem Zugriff der Menschen entzogen, die diesen Wirtschaftsprozess doch gleichzeitig durch die eigene Arbeit und den eigenen Konsum hervorbringen! In der Folge kann die eigene wirtschaftliche Täigkeit nicht mehr mit Bewusstsein durchdrungen werden. Der Einzelne wird gewissermaßen genötigt, wie ein Leib ohne Kopf zu agieren. Dafür bildet sich an anderer Stelle ein Wasserkopf. Das fördert Unverantwortlichkeit, und genau das ist, wie der Wikipedia-Eintrag richtig erklärt, der ganze Sinn der Übung.

Ist Gewinn gut oder schlecht?

Viele Zeitungen berichten erfreulich sachlich über den Kampf der hnGeno für hessnatur. Ausgerechnet in manchen Wirtschaftszeitungen begegnet einem aber häufig eine geradezu verblüffende Naivität. Dass Gewinne machen dazu gehöre, oder dass es auch gute Private-Equity-Gesellschaften gäbe, wird einem da erklärt - man fragt sich nur, warum? Die Kunden und Mitarbeiter, die sich jetzt mit ganzer Kraft für hessnatur einsetzen, sind über solche Schlauheiten längst hinaus. Sie wissen, dass der Gewinn selber weder gut noch schlecht ist, sondern diese Bestimmungen erst im konkreten zwischenmenschlichen Zusammenhang erhält. Genau darum geht es ja: Gewinn als Ausdruck des Erfolgs soll und darf entstehen. Die Definition von "Erfolg" in unserer konkreten wirtschaftlichen Beziehung kann aber nicht von Capvis Hintermännern gegeben werden. Und der Gewinn aus dem Erfolg unserer Wirtschaftsleistung steht ihnen auch nicht zu. Im Falle einer Weiterführung von hessnatur durch die realen, sich vor Ort befindlichen und durch ihre fähige Arbeit mit dem Unternehmen verbundenen Besitzer wird dieser Gewinn nicht für die Lebensangst von Abstraktlingen verpuffen, sondern in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen. Er wird sich wieder mit Arbeit verbinden und so den Nährboden für die Zukunft geben. Das ist der Gedanke einer solidarischen Wirtschaft, oder einfach: einer vernünftigen Wirtschaft.

Ob es auch gute Private-Equity-Gesellschaften gibt, lässt sich nicht entscheiden. Eine Private-Equity-Gesellschaft ist, was sie ist, und oben ist dazu das Grundsätzliche gesagt. Das rechtfertigt dennoch nicht prinzipiell eine Polemik gegen die Partner solcher Gesellschaften. Man könnte überspitzt sagen: der schlimmste Ausbeuter in den gegenwärtigen Verhältnissen ist der einfache Arbeiter, denn der kauft Waren, die er sich nur aufgrund der Ausbeutung der dritten Welt leisten kann. Jeder Mensch hat, so wie er eben in den Verhältnissen drinnen steckt, auch Mitschuld an den Verhältnissen. Jeder kann sich aber an seinem Platz bemühen, beweglicher zu werden, sich allmählich Freiräume zu erkämpfen, in denen die eigenen Handlungen nicht automatisch die Richtung der schiefen Verhältnisse nehmen. Das ist im Grunde genommen alles, um was es hier geht.

Der Vorstand der hnGeno ist weit entfernt davon, irgendwie aus einer gefühlten Feindschaft zum Finanzkapital zu handeln, wie es manche fremdfinanzierte "Wirtschaftszeitungen" gerne hinstellen wollen. Er sieht vielmehr klar, was in Bezug auf die Zukunft von hessnatur sachlich richtig ist. Die hnGeno hat sich sogar ihrerseits auf das Finanzkapital zubewegt, und sich selbst mit einer Private-Equity-Gesellschaft zusammengetan. Es kommt eben nicht auf Ideologisches an, wie es von manchen "Wirtschaftszeitungen" verbreitet wird, sondern auf das konkrete Verhältnis. Der Vorstand der hnGeno ist bei der DIH auf Menschen gestoßen, die offenbar wirklich etwas Neues versuchen wollen. Die Verträge zwischen Genossenschaft und DIH beinhalten, dass die Genossenschaft den größeren Anteil und vor allem die volle Gewalt über die Unternehmensführung behält, und weitere Besonderheiten, die in keinster Weise mit dem "Angebot" von Capvis zu vergleichen sind.

Der Kampf um hessnatur ist eine Reifeprüfung für das soziale Bewusstsein im gegenwärtigen Deutschland. Viele Menschen möchten gerne in den Zeitverhältnissen schlafen. Sie möchten vertrauen. Die Partner von Capvis bemühen sich sehr um dieses Vertrauen, sie antworten zum Beispiel auf die Kundenproteste: "Wir sind felsenfest davon überzeugt, dass die hohen ökologischen und sozialen Standards der hessnatur das Herz und die Seele der Firma sind und dieser Wert unangetastet bleiben muss." Wie viel Vertrauen haben die Menschen in ihre eigene Urteilskraft?

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