Anmerkungen zum bedingungslosen Grundeinkommen

01.04.2009

Übersicht über die Kontroverse Bedingungsloses Grundeinkommen?
zwischen Götz Werner, Sylvain Coiplet, Stephan Eisenhut, Ingo Hagel, Ulrich Piel, Thomas Brunner, Heidjer Reetz, Franz Ackermann und Marc Desaules


 

Eine Idee geht um in den Gemütern, eine Idee, die immer noch manchem, der sich schon länger mit der Dreigliederung befasst, zuweilen wie ein Gespenst vorkommt. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens.

Nun ist die Irritation über solch "revolutionäre Gedanken wie die Entkoppelung von Erwerbsarbeit und Einkommen" (Strawe, 2006, S.9), nicht unbedingt ein bürgerlicher Reflex auf sozialistisch anmutende Vorschläge, auch wenn etwa die Wortwahl des Eingangssatzes dies nahe legen könnte. Denn, auch wenn mancher Anthroposoph dies nicht gerne zur Kenntnis nimmt, Sozialismus und Anthroposophie gehören zusammen, "... drei Dinge sind eben auch voneinander untrennbar: Sozialismus, Gedankenfreiheit, Geisteswissenschaft." (Steiner, 2000, S.106)

Und ein allen gemeinsames gleiches Grundeinkommen ohne entwürdigende Bedarfsprüfung enthält deutliche Elemente auch traditioneller sozialistischer Vorstellungen über soziale Gerechtigkeit.

Die Artikulation der angesprochenen Irritation und die Formulierung eines Einspruchs stellt auch keine müßige theoretische Diskussion um Interpretationen des Dreigliederungsgedankens dar, denn es ist nun meines Erachtens bei gründlicher Lektüre der Steinerschen Texte eher verwunderlich, dass eine offensichtliche Mehrheit der Interessierten das bedingungslose Grundeinkommen so selbstverständlich als ein mit der Dreigliederung kompatibles Projekt bejaht, als dass sie damit ihre Schwierigkeiten hätte.

Demgemäß soll sich hier die Fragestellung nach der Vereinbarkeit zum einen mit dem Abgleich der Ausführungen Steiners zur Konzeption der Dreigliederung und der Erzielung von Einkommen, zum anderen mit der Sicht auf die Stellung des Einkommens gemäß der inneren Logik dieser Sozialordnung beantworten lassen.

Dass es bei Rudolf Steiner keinen Hinweis auf ein Grundeinkommen gibt, weder ablehnend noch zustimmend, braucht uns vielleicht nicht allzu sehr zu kümmern, denn selbstverständlich haben sich die Bedingungen seit der ersten Skizzierung der Dreigliederung verändert. Steiner selbst beklagte ja die oft enge Auslegung einiger seiner Ausführungen:

So hat man namentlich vielfach dasjenige, was ich eigentlich nur zur Illustration der Hauptsache gegeben habe, für die Hauptsache selbst genommen. (Steiner, 1985, S.278).

Zu kümmern aber hat uns doch: ist die Idee des Grundeinkommens von der ganzen Struktur der Dreigliederung her sinnvoll, wirft die Dreigliederung als heuristisches Instrument ein sinnerhellendes Licht auf das Grundeinkommen, oder ist das bedingungslose Grundeinkommen wenigstens, wie einige seiner Befürworter meinen, ein erster Schritt in eine Neugestaltung des Verhältnisses Arbeit-Kapital, ein erster Schritt zur Loslösung der Arbeit von ihrem aktuellen Warencharakter?

Möglich ist aber auch, dass das Grundeinkommen Dreigliederung verhindert oder ihre Umsetzung zumindest behindert, indem es überkommene Macht- und Besitzverhältnisse eher stabilisiert als grundsätzliche Veränderungen in Gang setzt.

Natürlich ist es auch sinnvoll, die Frage zu stellen, was die Dreigliederung an konstruktiven Ideen entwickeln kann, in der gegenwärtigen Lage des radikalen Sozialabbaus, der immer rasanter sich öffnenden Einkommensschere, der Illusion einer Vollbeschäftigung im momentanen System, im Grunde der Zunahme der existenziellen Not für immer weitere Kreise.

Gerade vor dem Hintergrund der durch die brutalen Schröderschen Reformen sich ausbreitenden Armut, der Entrechtung der arbeitsuchenden Menschen, die nun noch schonungsloser als schon vorher den Verwertungsinteressen der Wirtschaft ausgeliefert sind, während auf der anderen Seite, unter vielem anderen, bislang kaum vorstellbare Eigenkapitalrenditen der Kapitalbesitzer, Jahresgehälter und Bonuszahlungen ihrer Beauftragten sichtbar werden und eine immer rasantere Steigerung der Produktivität wachsende Systemfragen generiert, sind neue Antworten gefragt.

Antworten, die einer sich zuspitzenden unheilvollen Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken.

Die Idee eines Grundeinkommens für alle wirkt dabei dann wie eine Entlastung aus den widerstreitenden Interessenkämpfen. Sie löst scheinbar wie durch Zauberhand auch die komplexesten Fragen, wie etwa die zukünftige Finanzierung der Renten, erledigt mit einem Strich endlose Debatten um die Kostendeckung für ein paar Monate mehr Arbeitslosengeld oder die Senkung oder Anhebung der Krankenkassenbeiträge, scheint die ausgetüfteltsten Regelungen zu Leistungsberechtigungen obsolet werden zu lassen, und anderes mehr. Es wohnt dieser Patentlösung für die Probleme der Sozialsysteme eine verführerische Einfachheit inne, welche noch die berühmte, durch alle Gazetten und Medien getriebene Idee der Steuerklärung auf einem Bierdeckel in den Schatten stellt. Schon der Umfang dieser Verheißungen muss viele Fragen stellen, doch die hier abzuhandelnde ist: führt diese Idee auch zu dem, was Dreigliederung ermöglichen soll?

Nehmen wir also die Gedanken der Dreigliederung des sozialen Organismus wie sie von Rudolf Steiner entwickelt wurden als Mittel um die Frage des Grundeinkommens im Sinne der Dreigliederung zu erhellen.

Es gibt nun bei Steiner nicht nur keinerlei Hinweis auf ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle, sondern es finden sich im Gegensatz dazu mehrere eingehende Erläuterungen, wie sich das Einkommen im Gesamtkomplex zu gestalten hätte, während thematisch nur ein Bereich aufgeführt wird, der für ein Analogon zum heute diskutierten Grundeinkommen angesehen werden kann.

Zum Einkommen:

Der handwerklich Arbeitende ... wird auf dem Boden des politischen Staates die Rechte ausbilden, welche ihm den Anteil sichern an dem Ertrage der Waren, die er erzeugt; und er wird in freier Weise dem ihm zukommenden Geistesgute denjenigen Anteil gönnen, der dessen Entstehung ermöglicht. ... Auf dem Gebiet des Geisteslebens wird ... dessen Hervorbringer ... mit der freien Entscheidung derer rechnen können, denen das Geistesgut Bedürfnis ist. (Steiner, 1961, S.69).

Hiermit ist auch die mitunter anzutreffende Ansicht abgewiesen, dass jede Arbeit, bzw. ihr Erzeugnis geistige Arbeit sei und somit das bedingungslose Grundeinkommen als Schenkungsgeld rechtfertige.

Also, noch einmal schlicht formuliert: Warenproduktion und damit verbundene Dienstleistung finanziert sich auf Grundlage eines Rechtsverhältnis, welches die Anteile am Ertrag regelt, ganz anders geistige Produktion, die von der freiwilligen Schenkung derer lebt, die in dieser Leistung ein Bedürfnis befriedigt sehen.

Hierbei ist der freiwillige Charakter der Schenkung für die Finanzierung des Geisteslebens besonders hervorzuheben. Die Erwartung einer umfassenden Belebung des Geisteslebens durch eine weitgehend abgesicherte Grundfinanzierung und vor allem auch der darin sich verwirklichenden, individuellen kulturellen Initiativen ist ja ein gewichtiges Argument für die Befürworter des Grundeinkommen. Nur handelt es sich dabei dann um eine durch Verbrauchsteuern finanzierte, generalisierte Zwangsschenkung, welche mit der freiwilligen Schenkung im Sinne der Dreigliederung wenig zu tun hat und somit auch den im obigen Zitat gesetzten Bezug zur Befriedigung eines realen Bedürfnisses überhaupt nicht mehr herstellt.

Mit einem Grundeinkommen wäre damit auch gerade das weitgehend mitfinanziert, was Rudolf Steiner als Privatsache bezeichnet und der Maßstab für den gesellschaftlich zu erbringenden zweckmäßigen Aufwand an Güterproduktion zur Unterhaltung der im Geistig-kulturellen Tätigen wäre nicht mehr gegeben:

Was jemand für sich im Gebiete des Geisteslebens treibt, wird seine engste Privatsache bleiben; was jemand für den sozialen Organismus zu leisten vermag, wird mit der freien Entschädigung derer rechnen können, denen das Geistesgut Bedürfnis ist. (ebd.)

Zwei weitere Ausführungen zur Generierung von Einkommen im Wirtschaftsleben:

... ein freies Vertragsverhältnis zwischen Arbeitsleiter und Arbeitsleister. Und dieses Verhältnis wird sich beziehen nicht auf einen Tausch von Ware (beziehungsweise Geld) für Arbeitskraft, sondern auf die Festsetzung des Anteils, den eine jede der beiden Personen hat, welche die Ware gemeinsam zustande bringen. (ebd., S. 79)

Erst dann, wenn nicht mehr über die Arbeitskraft Verträge abgeschlossen werden können, sondern lediglich über die gemeinsame Produktion des Arbeitsleiters und des Handarbeiters, wenn lediglich über das gemeinsame Erzeugnis ein Vertrag abgeschlossen werden kann, wird daraus ein menschenwürdiges Dasein für alle Teile hervorgehen. Dann wird der Arbeiter dem Arbeitsleiter gegenüberstehen als der freie Gesellschafter. Das ist es, was der Arbeiter im Grunde genommen erstrebt. (Steiner, 1986, S. 21)

Warum Michael Opielka darauf bezugnehmende Äußerungen als „freie Vertragsgestaltung in dreigliedrigen Musterbetrieben“ (Opielka, 2005, S.6) verspottet, bleibt mir ein Rätsel.

Das Einkommen der Menschen wird von der Lohnarbeit befreit und wandelt sich in eine Gewinnaufteilung. Nicht zu verwechseln mit einer Gewinnbeteiligung!

Arbeitsleiter und Arbeiter gehen eine gleichberechtigte Kooperation ein. Kapital (Geldkapital und Produktionsmittel) verliert durch seine Umgestaltung in Verfügungseigentum und die gesetzlich geregelte Form über die Aufteilung des Erlöses seine unberechtigte Macht menschliche Arbeitskraft zu kaufen. Hierbei stehen sich Arbeiter und Unternehmer als Partner im Produktionsprozess gegenüber. Für das Einkommen beider ist aber wesentlich der erzielte Preis der erzeugten Waren. Dieser wird in einem gemeinsamen Prozess der Beratungen in Assoziationen zu regeln sein.

An die Stelle dieser für volkswirtschaftliche Kennzahlen bedeutsamen Instrumente ein einfaches Grundeinkommen zu setzen, wenn vielleicht auch nur übergangsweise, bedeutet eine Verneblung der Realitäten und führt zu illusionären Erwartungshaltungen, denn für das Einkommen ist nun einmal ausschlaggebend der Preis:

Wird der Preis irgendeiner Ware, irgendeines Gutes zu billig, sodass diejenigen Menschen, welche das Gut herstellen, nicht mehr in der entsprechenden Weise für ihre zu billigen Leistungen, für ihre zu billigen Ergebnisse Entlohnung finden können, dann muss man für dieses Gut weniger Arbeiter einstellen, das heißt die Arbeiter nach einer anderen Beschäftigung ableiten. (Steiner, 1979, S. 79)

Ein richtiger Preis ist dann vorhanden, wenn jemand, für ein Erzeugnis, das er verfertigt hat, so viel als Gegenwert bekommt, dass er seine Bedürfnisse, die Summen seiner Bedürfnisse, worin natürlich eingeschlossen sind die Bedürfnisse derjenigen, die zu ihm gehören, befriedigen kann so lange, bis er wiederum ein gleiches Produkt verfertigt haben wird. (ebd. S. 82)

Dieser als Preisformel bekannte Satz ist also deutlich gleichzeitig eine Einkommensformel. Entzieht man einerseits die Bemessung des Einkommens der Verbindung mit dem Preis durch ein Grundeinkommen und belässt es andererseits bei der marktwirtschaftlichen Lohnarbeit, vergrößert man die Summe der Verzerrungen.

Arbeitskraft auf zuwenden, das ist etwas, was gar nicht sozial in Frage kommt; aber dasjenige, was durch das Aufwenden der Arbeitskraft entsteht, das ist es, was im sozialen Leben in Frage kommt. Das hat für die Gemeinschaft Wert. ... Aus dem Wirtschaftskreislauf muss die Arbeit ganz draußen liegen. Sie muss liegen auf dem Rechtsboden. ... Dann wird für den Wirtschaftsprozess nur zurückbleiben, was man nennen kann die Regelung der gegenseitigen Bewertung der Waren, die Regelung, wie viel man zu kriegen hat von den Leistungen eines anderen für seine eigene Leistung. (Steiner, 1981, S. 54/55)

Das bedingungslose Grundeinkommen lenkt von diesen Zusammenhängen eher ab und setzt dafür einen abstrakten Einkommensbezug, der noch weniger mit den realen Vorgängen zu tun hat, als der Arbeitslohn.

Hier nun der Bereich für den ein Grundeinkommen zutreffend ist:

Wie Kindern das Recht auf Erziehung, so steht Alt gewordenen, Invaliden, Witwen, Kranken das Recht auf einen Lebensunterhalt zu, zu dem die Kapitalgrundlage in einer ähnlichen Art dem Kreislauf des sozialen Organismus zufließen muss, wie der gekennzeichnete Kapitalbeitrag für die Erziehung der noch nicht selbst Leistungsfähigen. Das Wesentliche bei all diesem ist, dass die Feststellung desjenigen, was ein nicht selbst Verdienender als Einkommen bezieht, nicht aus dem Wirtschaftsleben sich ergeben soll, sondern dass umgekehrt das Wirtschaftsleben abhängig wird von dem, was in dieser Beziehung aus dem Rechtsbewusstsein sich ergibt. (Steiner, 1961, S.102)

Bezieher dieser Einkommen sind im volkswirtschaftlichen Prozess Empfänger von Schenkungsgeld. Das ist es aber auch, was das bedingungslose Grundeinkommen im Sinne des Geldkreislaufes darstellt: Es ist Schenkungsgeld!

Dabei sind jedoch zwei Arten des Schenkungsgeldes zu unterscheiden: die eine Art als freiwillige Schenkung für das Geistesleben, die andere als grundlegende Zuwendung für all die oben genannten nicht Einkommen erzielenden Mitglieder der Gesellschaft, finanziert etwa durch Steuern.

Wer sinnvollerweise Bezieher von Schenkungsgeld sein kann, ist auch deutlich im Nationalökonomischen Kurs nachzulesen: die reinen Konsumenten.

Für den rein materiellen Fortgang des volkswirtschaftlichen Prozesses sind insbesondere diese freien Geistarbeiter der Vergangenheit gegenüber durchaus Konsumenten, absolut Konsumenten nur. (finanziert durch die erste Art des Schenkungsgeldes, d. Verf.) (Steiner, 1979, S. 88/89).

... Außerdem sind innerhalb eines sozialen Organismus reine Konsumenten anderer Art noch da. Das sind die jungen Leute, die Kinder, und die alten Leute. Jene sind bis zu einer gewissen Altersstufe zunächst reine Konsumenten. Und diejenigen, die sich haben pensionieren lassen oder pensioniert worden sind, die sind wiederum reine Konsumenten. (finanziert durch die zweite Art des Schenkungsgeldes) (ebd.)

Das bedingungslose Grundeinkommen planiert hier jegliche Differenzierung, macht die gesamte Bevölkerung zu Empfängern der hier angeführten zweiten Art des Schenkungsgeldes, welchem im Geldkreislauf eine inhaltliche Rolle zufällt, die hier in keiner Weise gegeben ist, macht sie zu reinen Konsumenten und produziert somit nur weitere volkswirtschaftliche Verwerfungen.

Das Kernargument für das Grundeinkommen ist die Entkopplung von Arbeit und Einkommen. Wobei das bedingungslose Einkommen nicht eine vollständige Entkopplung vorsieht, sondern nur als eine auskömmliche Grundversorgung gedacht ist und Zuverdienst in der Art der traditioneller Lohnarbeit weiterhin üblich sein soll.

Für diese Entkoppelung wird oft als die sinngebende Hintergrundformel das Soziale Hauptgesetz angeführt:

Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist um so größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden. (Steiner, 1989, S. 33ff)

Steiner ging es dabei nicht nur um eine moralische Frage, die als Gesinnung das Arbeiten für den Anderen als Aufgabe sieht, sondern dass konkrete Einrichtungen geschaffen werden, die es ermöglichen, dass all meine Arbeitsergebnisse möglichst restlos den Anderen zugute kommen, und ich wiederum vollständig aus den Arbeitsergebnissen der Anderen erhalten werde. Was zu dem Kernsatz führt:

Worauf es also ankommt, das ist, dass für die Mitmenschen arbeiten und ein gewisses Einkommen erzielen zwei voneinander ganz getrennte Dinge seien. (ebd.)

Steiner ist durchaus klar, dass dieses Gesetz die relativ naive Weisheit verkündet, nachdem das Wohl der Gesamtheit umso größer ist, je geringer der Egoismus sich zur Geltung bringt.

Ein bloßer Appell wird hier nichts nützen. Notwendig dazu ist, Einrichtungen zu schaffen, die es ermöglichen ohne Egoismus für den anderen zu arbeiten. Die Befürworter des Grundeinkommens sehen dies mit der Einführung desselben gegeben und vertrauen auf das natürliche Bedürfnis des Einzelnen sich in der Arbeit zu verwirklichen. Das mag ja angesichts des großen Anteils an ehrenamtlich Tätigkeiten im sozialen, kulturellen, sportlichen Bereich für weite Kreise zutreffen, aber die Voraussetzung für eine gesamtgesellschaftlich wirksame altruistische Motivation zur Arbeit ist doch viel tief gehender:

Dazu ist aber eine Voraussetzung notwendig. Wenn ein Mensch für einen anderen arbeitet, dann muss er in diesem anderen den Grund zu seiner Arbeit finden; und wenn jemand für die Gesamtheit arbeiten soll, dann muss er den Wert, die Wesenheit und Bedeutung dieser Gesamtheit empfinden und fühlen. Das kann er nur dann, wenn die Gesamtheit noch etwas ganz anderes ist als eine mehr oder weniger unbestimmte Summe von einzelnen Menschen... ( ebd.)

Diese Motivation kann sich nur über einen längerfristigen Prozess des Wirkens eines befreiten Kulturlebens einstellen.

Er muss den Grund seines Arbeitens im Anderen sehen! Mit der Einführung einer generellen monatlichen Überweisung zum Lebensunterhalt ist man dieser Motivation keinen Schritt näher gekommen. Schon gar nicht, wenn weiter im üblichen Lohnschema hinzu verdient wird. Wo ist hierbei ein Sinn für die Notwendigkeit der nicht selbst bezogenen Produktion eröffnet?

Das bedingungslose Grundeinkommen stellt ohne Frage eine weitgehende Sozialisierung, besser gesagt eine Scheinsozialisierung dar, da Eigentums- und Machtverhältnisse nicht angetastet werden. Eine solch durchgreifende Sozialisierung, oder Scheinsozialisierung, wie sie das bedingungslose Grundeinkommen darstellt, birgt jedoch zusätzlich zu ihrem illusionären Charakter nicht geringe Gefahren.

Bezogen auf eine andere Form der Scheinsozialisierung, aber in ähnlicher Weise scheinbar sozial gerecht, hat Rudolf Steiner eine deutliche Warnung formuliert:

Sozialisieren sie wirtschaftlich, und lassen Sie dieses Geistesleben, dann haben Sie in kurzer Zeit aus Ihrem heutigen Scheinsozialisieren eine viel schlimmere Tyrannis und viel schlimmere Lebensverhältnisse, als sie nur irgendwie in die Gegenwart hinein sich entwickelt haben. (Steiner, 1996, S. 162)

Es muss ja nicht gleich die Autonomie des Geisteslebens vollständig verwirklicht werden, aber schon eine Auseinandersetzung über den Wert der Arbeitserzeugnisse in ihrem Austausch, was einen Angriff auf das Lohnarbeitsprinzip voraussetzen würde, hätte den Effekt den Anderen wahrzunehmen, in eine konstruktive Auseinandersetzung zu kommen über Preis, Wert und Einkommen.

Aber keine der hinter diesen Realitäten stehenden Machtfragen wird wirklich gestellt. Damit wird auch einem Aufwachen im Sozialen entgegengearbeitet. Ein wirklicher Wechsel der Paradigmen findet nicht statt. Die Abhängigkeit des gesellschaftlichen Wohlstandes vom profitorientierten investiven Kapital bleibt unverändert.

Letztlich bleibt die Lohnarbeit Quelle der Wertschöpfung. Es ist lediglich eine weitere Form des selbst versorgenden Einkommens hinzugekommen. Nicht einmal die Einsicht in das Soziale Hauptgesetz als grundlegendes ökonomisches Prinzip der arbeitsteiligen Volkswirtschaft wird hierbei befördert.

Die propagierte Trennung von Arbeit und Einkommen findet in einer verfehlten Weise statt, entbindet das Einkommen vom Preis, ersetzt es durch eine einschläfernde Alimentierung, deren Abgrenzung gegen das 80:20 Tittytainmentkonzept Zbigniew Brzezinskis eher im guten Willen der Initiatoren, als in der realen Ausgestaltung liegen wird.

Warum ist es denn offensichtlich einfacher, angesichts des Verschwindens der Arbeit, eine breite Bühne für ein Grundeinkommen zu finden, als die Frage der Verteilung der verbleibenden Arbeit auf möglichst viele, umfassend und breitenwirksam durchzudeklinieren? Weil das Grundeinkommen keine wirkliche Systemfrage stellt.

Es bedient dagegen in populistischer Weise einen einfachen Instinkt. Es spricht die reflexartig entstehende Akzeptanz an, wenn ein Leben ohne Arbeit in Aussicht steht. Es weckt schwerlich durch bloße Versorgung die Initiative zu einer kultur-kreativen und sozial fruchtbaren Leistung.

Angesichts des bewundernswerten Aufwands und der großen Arbeitsleistung der Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens muss man fragen, welche Kräfte hier wofür verschwendet werden, wohin solch ein Umweg führt. Es werden auf lange Sicht Energien mobilisiert und gebunden, die, sollten die Bemühungen erfolgreich sein, ein Übergangssystem implementieren, welches mit dem, Systemen eigenen Beharrungsvermögen eine Entwicklung um zehn, zwanzig Jahre verschiebt, die jetzt dringend auf den Weg gebracht werden müsste.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise sind etwa radikale Arbeitszeitverkürzung, auch gekoppelt an neue Eigentumsformen, die alten haben sich ja gründlichst diskreditiert, nötig und massiv in die Diskussion zu bringen. Schon lange nicht war die Gestaltungskraft des Rechtssystems im Interesse der Menschen gegenüber den Forderungen der Wirtschaft so legitimiert wie jetzt. Ein solidarische Ökonomie, die im unmittelbaren Kontakt von Produktion, Handel und Konsum dem aktuellen Vertrauensschwund in die wirtschaftlichen Partner entgegenarbeitet, Bedarfsorientierung der wirtschaftlichen Produktion angesichts von ökologischer- und Rohstoffkrise sind nur einige der vielen Themen die gegenwärtig von der wachen Öffentlichkeit nachgefragt werden und für die das Ideengebiet der Dreigliederung doch schon viel Potential angesammelt hat.

  • Opielka, M., Rundbrief Dreigliederung Nr.1 / 2005
  • Strawe, 2006, Sozialimpulse 3/06
  • Steiner, 2000, Die soziale Grundforderung unserer Zeit, In geänderter Zeitlage
  • Steiner, 1961, Die Kernpunkte der sozialen Frage
  • Steiner, 1985, Westliche und östliche Weltgegensätzlichkeit
  • Steiner, 1989, Geisteswissenschaft und Soziale Frage
  • Steiner, 1986, Gedankenfreiheit und soziale Kräfte
  • Steiner, 1979, Nationalökonomischer Kurs
  • Steiner, 1981, Soziale Zukunft
  • Steiner, 1996, Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen

Mehr zum Thema Grundeinkommen: www.dreigliederung.de/grundeinkommen


Harald Weil, www.dreigliederung.de, April 2009