Die Zukunft der Altersvorsorge

01.03.2004

Ergänzter und überarbeiteter Vortrag gehalten am 6. November 2003 in Zürich.

Vorwort

Vieles ist heute in Bewegung und im Umbruch. Auch die Art und Weise, wie wir finanziell Vorsorgen für den Zeitabschnitt nach dem Ausscheiden aus dem normalen Erwerbsleben, ist wieder ins Bewusstsein gerückt worden. Einbrüche der Börse, Veränderung der Bevölkerungsstrukturen, Sparwahn der Politiker: An vielen Orten gerät das bisherige Renten- und Vorsorge-System in allen Ländern unter Druck und es zeigen sich Mängel und Schwachstellen. Für die Einen ein Grund zur Sorge und Angst um die eigene Zukunft und für die Anderen eine Möglichkeit, sich nochmals kräftig zu bedienen, bevor es nichts mehr hat. Vielleicht aber auch für alle eine Chance, nochmals klar darüber zu werden, worum es eigentlich bei der Vorsorge im Alter geht.

Diese Ausführungen zu den Perspektiven der Altersvorsorge und speziell zum System der Pensionskassen (betriebliche Vorsorge) in der Schweiz sollen dazu dienen, den Blick zu erweitern und gleichzeitig auch zu schärfen für die grosse Frage der Nachhaltigkeit, die sich heute unserer Gesellschaft stellt. Am Beispiel der Altersvorsorge zeigt sich besonders deutlich, wie kurzfristig und unausgereift das heutige Denken noch ist. Altersvorsorge wird als ein individuelles Problem verstanden, wie man seine materielle Lebensgrundlage, den "Wohlstand" nach der Pensionierung weiter aufrecht erhalten kann. Die Diskussionen zu diesen Themen sind entsprechend eingeschränkt und drehen sich zumeist nur um technische Aspekte, wie die Finanzierbarkeit oder die Veränderung demografischer Faktoren, wichtige Hintergründe werden dabei übersehen.

Die zunehmende weltweite Konzentration des Kapitals auf wenige Superreiche führt heute zum Beispiel zu einem völlig unnötigen aber immer härter werdenden Verteilkampf um die im Überfluss vorhandenen Ressourcen. Gerade Systeme wie das der Pensionskassen tragen zusätzlich zur Anhäufung von Kapital bei - Kapital, das weiter verschärfend auf die Probleme wirkt. Einige dieser "Superreichen" der Welt sind dann auch die Pensionskassen (angehäuftes Kapital in der Schweiz im Jahr 2000: 585 Milliarden Franken.)

Gerade bei der Betrachtung der Altersvorsorge ist es wichtig, konsequent und ganzheitlich zu denken. Wenn alles umfassend betrachtet wird, wird klar, dass das ganze System unserer heutigen Zivilisation krankt und zwar hauptsächlich an mangelndem Geist. Geistvolle, umfassende, positive, auf den Grundlagen von Nachhaltigkeit und Wahrhaftigkeit beruhende Gedanken sind selten geworden. Doch gerade die geistigen Wege sollten heute erforscht werden, denn eines wird von Jahr zu Jahr klarer: Der heutige Materialismus führt nicht mehr sehr weit. Er muss sich wandeln, denn je weiter wir unsere natürlichen Ressourcen aufbrauchen, bevor wir wirklich zu einer Kursänderung kommen, desto schmerzhafter und anstrengender wird die Korrektur sein. Eine Altersvorsorge, die ihrem Namen gerecht wird, sollte sich darüber Gedanken gemacht haben.

Grundlegende Überlegungen

Altersvorsorge, was ist das eigentlich? Einerseits geht es bei diesem Begriff um die Versorgung der älteren, aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Mitmenschen. Andererseits wird gerade durch die tägliche Verwendung des Begriffes vieles verschleiert. Um zu einem tieferen Verständnis zu gelangen, müssen wir etwas weiter ausholen und das sich im Begriff spiegelnde Denksystem betrachten:

Wir haben heute die Situation im westlichen Europa (und immer mehr auch auf der ganzen Welt), dass ein einziges Denk- oder Wertesystem sich fast überall durchgesetzt hat und unsere Gesellschaftsstrukturen dominiert. Dieses System, das wir alle stark verinnerlicht haben und das wir täglich zu Rate ziehen, sagt uns zum Beispiel folgendes:

Wertesystem Arbeit

Wertvoll ist ein Mensch, der in der Wirtschaft für Geld arbeitet. Am wertvollsten ist dabei heute ein Mann, der an der Spitze einer pyramidenartigen Struktur andere anleitet. Schon viel weniger wertvoll ist jemand, der an der Basis der Pyramide mit Hilfe seiner Hände arbeitet. Zuunterst in der Werteskala stehen dann Menschen, die ausserhalb dieser durch Geldzahlung definierten Wirtschaft arbeiten, zum Beispiel Hausfrauen.

Dieses Wertesystem bildet die Grundlage der heute bestehenden Altersvorsorge. Das Recht im Alter versorgt zu werden liefert die Mitarbeit in der genannten Wirtschaft. Während des "aktiven" Erwerbslebens muss in den verschiedenen Teilsystemen Geld eingezahlt oder angehäuft werden, um danach, nach der Pensionierung weiterhin das zum Leben notwendige Geld zu erhalten.

Wertesystem Eigennutz

Eine weitere Grundlage bildet die Grundidee des Eigennutzes oder der "Selbstversorgung" bei den materiellen Bedürfnissen. Jeder erwachsene Mensch (Mann) sollte danach fähig sein, sich selbst und seine Familie zu ernähren und einer gewissen Klasse gemäss zu versorgen. Auch im Alter sollte diese Idee möglichst weitgehend aufrechterhalten werden, wobei der Klassenerhalt auf beide Seiten gesichert sein sollte. Reiche sollten reich bleiben, Ärmere sollten ärmer bleiben, um die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht in Frage zu stellen.

Wertesystem Versicherung

Das Prinzip der Versicherung als modernster Ansatz innerhalb dieser Überlegungen bringt noch einen kollektiven Ansatz dazu. Wenn viele Leute auch über traditionelle Bindungen hinweg zusammenstehen, kann die Selbstversorgung besser garantiert werden. Der Ausgleich zwischen den verschiedenen Beteiligten ergibt insgesamt eine Chancenverbesserung bei der eigenen Altersvorsorge. Die Basis dafür bildet allerdings ein minimales Vertrauensverhältnis zwischen der Gruppe der Zahlenden und jener der Beziehenden. Beide müssen in guter Verbindung miteinander bleiben.

Auf dem Hintergrund dieser Prinzipien betrachten wir heute gewöhnlich die Altersvorsorge, die sich dann in staatliche Rente (AHV), Pensionskassen und ähnlichem manifestiert.

Geschichtliches

Die Ausgestaltung der institutionalisierten Altersvorsorge begann im 19ten Jahrhundert, als durch die zunehmende Industrialisierung und Urbanisierung die bestehenden gesellschaftlichen Zusammenhänge sich immer mehr auflösten. War bisher die Familie, also Verwandte und insbesondere die direkten Nachkommen, die Dorfgemeinschaft oder allenfalls der zuständige Adlige für die Altersversorgung zuständig, musste nun immer mehr davon ausgegangen werden, dass bei nachlassender Arbeitskraft kein "soziales Netz" mehr da war, das die Bedürfnisse von älteren Menschen auffangen konnte. Auch der Respekt gegenüber der älteren Generation schwand und das Gefühl, verpflichtet zu sein, wurde immer kleiner. Es genügte also nicht mehr, nur genügend Nachkommen zu haben, die ihre Eltern materiell versorgen konnten. Ausserdem hatten schon damals viele Menschen die nicht in einer Familie lebten, grosse Probleme. Aus diesen Missständen, dass Menschen im Alter ein klägliches Leben in Hunger und Armut drohte, wuchs immer mehr die Erkenntnis auch für die herrschende Schicht, vorzusorgen für die Zeit des Alters, das heisst nach dem Ende der aktiven Erwerbstätigkeit der von Lohnarbeit abhängigen Menschen. Eine "Altersvorsorge" sollte den alten Menschen ein materiell gesichertes Leben ermöglichen. Diese Altersvorsorge wurde nun in grösserem Stil organisiert. So entstanden die verschiedene Ideen und Systeme der Vorsorge, die immer mehr institutionalisiert und ausgedehnt zu unserer heutigen Altersvorsorge heranwuchsen:

  • Wer die Möglichkeit hatte, versuchte natürlich zuerst, für sich selbst ein Vermögen anzulegen, dass dann im Alter aufgezehrt werden konnte. Diese individuellste oder auch egoistischste Form der Altersvorsorge wurde in der Schweiz als individuelle DRITTE Säule durch gewisse steuerliche Entlastungen gesetzlich verankert.
  • Weiter existiert schon seit Jahrtausenden ein zweiter Ansatz, nämlich die Alterspension durch "Lehensherren", z.B. für Diener von Adeligen, die im Alter von ihren Herren eine Alterspension erhielten. Diese Lösung und Überlegung wurde von einzelnen Patrons/Unternehmern als quasi Nachfolger des Feudalsystems, für Ihre Mitarbeiter institutionalisiert und über mehrere Stufen zu den heutigen Pensionskassen ausgebaut. Dies nennt sich seit 1972 die ZWEITE Säule.
  • Das Aufkommen des Sozialismus und der Gewerkschaften Ende 19tes Jahrhundert, bedeutete ein gewisses punktuelles Wiedererstarken der Gemeinschaft. Hier kam auch die Idee der Verantwortung der jüngeren für die älteren Menschen wieder auf und schlug sich schliesslich in der Idee der Rentenversicherung, in der Schweiz "Alters- und Hinterlassenen-Versicherung AHV" genannt, als sogenannte ERSTE Säule nieder. Dabei ging man von der Überlegung aus, dass die aktuell Erwerbstätigen dafür zuständig sein sollten für Nicht-mehr-Erwerbstätige aufzukommen und bezeichnete das ganze als "Versicherung". Das heisst, dass nur wer auch regelmässig und lückenlos Beiträge eingezahlt hat, bekommt im "Schadensfall" nach erreichen des Pensionsalters auch eine Rente.

Systemfragen

Dieses Dreisäulenmodell gilt heute in der Schweiz. Immer wieder wird dabei betont, dass der Unterschied zwischen zweiter Säule (Pensionskassen) und erster Säule (AHV) im Kapitaldeckungs- respektive im Kapitalumlageverfahren liege. Dabei werde im Falle der AHV das Kapital gerade wieder ausbezahlt, das von den Werktätigen einbezahlt wird (Umlage) und im Falle der Pensionskasse werde das einbezahlte Kapital angelegt und gespart, um dann im Ruhestand wieder verflüssigt und ausgezahlt zu werden (Deckung). Dieser angebliche Unterschied ist absolut zweitrangig und allenfalls finanztechnisch interessant. Dies wird klar, sobald ein grösserer Zeitraum betrachtet wird:

Die AHV wird natürlich nicht wirklich gleich umverteilt, sondern muss auch Reserven bilden und z.B. darauf warten, bis das Geld durch die Arbeitgeber eingezahlt wird. Währenddessen zahlen die Pensionskassen auch laufend Gelder wieder aus, die sie gerade eingenommen haben. Natürlich haben sie grössere Vermögen anzuhäufen, als die AHV, da sie bis heute (noch?) keine staatliche Garantie erhalten, wie die AHV. So ist der Hauptunterschied nicht das System des Geldtransfers, sondern die geistige Ausrichtung: Die AHV ist eine quasi-staatliche Institution, die durch Verwaltungsentscheide und Politik dirigiert wird und in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Wirtschaft steht. Ihre Einnahmen schwanken vor allem mit der Beschäftigungs- und Lohnsituation im Lande. Wenn Arbeitsplätze "wegrationalisiert" werden, hat dies einen unmittelbaren Einfluss auf die AHV, sie verliert Einnahmen. Pensionskassen sind bis heute zum grossen Teil Anhängsel von Betrieben, Banken oder Versicherungen und werden nach kapitalistischen Grundsätzen geführt. Sie legen das Geld als Grossinvestoren vor allem in renditefähigen Anlagen an und sind so hauptsächlich von der Zinsentwicklung, der Börsenentwicklung und dem Wohnungs- und Immobilienmarkt abhängig.

Langfristige Perspektive für die Altersvorsorge

Die bisherigen Überlegungen zur Altersvorsorge genügen heutigen Verhältnissen nicht mehr, geschweige denn weiteren Zeiträumen. Sie basieren weitgehend auf finanziellen und für kleine Gruppen eigennützigen Überlegungen. Entsprechende Institutionen, die auf solch mangelhaften Überlegungen basieren können keine grosse Zukunft haben. Die heutigen Schwierigkeiten mit der Finanzierung der Systeme werden sich laufend weiter erhöhen. Auch das bisherige Wundermittel, dass alle Probleme bisher kaschiert hat, das Wirtschaftswachstum, geht seinem Ende zu.

So macht sich nun generell in der westlichen Welt immer stärker die Mentalität der Knappheit und der Angst breit. Die Schwächeren werden vermehrt ausgegrenzt und die Umverteilung von Arm zu Reich gefördert. Privatisierung wird als Heilmittel gepriesen und der Staat als geldverschwendendes Hindernis für die persönliche Freiheit dargestellt, das möglichst weitgehend zu beseitigen wäre. In der Schweiz sind wir aber alle mehr oder minder von den Institutionen abhängig, die in bester Absicht von den letzten Generationen aufgebaut worden sind. Fast unsere gesamte Zukunft als RentnerInnen und Rentner scheint sozusagen in deren Hände gelegt. So müssen wir versuchen, die Mängel dieser Einrichtungen auszubessern, um kurzfristig wieder etwas Luft zu erhalten. Langfristige Perspektiven in der Altersvorsorge sind aber ein anderes Thema. Sie müssen die gesamte Gesellschaftsentwicklung berücksichtigen und den "Grundgesetzen und –strukturen" des menschlichen Lebens auf dem Planeten entsprechen, um wirklich von Dauer sein zu können. Heute ist in diesem Bereich viel Verwirrung wahrzunehmen. Was unter den "Grund-gesetzen und –strukturen" verstanden werden muss, erfordert umfassende und vorurteilslose Klärungsarbeit. Nur daraus können neue Instrumente erstellt werden, die mehr Zukunft haben.

Genügt Geld allein?

Geld alleine genügt keinesfalls für eine sichere Altersvorsorge. Folgende Hinweise genügen, um dies aufzuzeigen.

Was wäre ein Leben im Alter ohne:

  • Stabile politische demokratische Zustände, "Sicherheit"
  • Funktionierende Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Verschiedenen Gruppen der Gesellschaft
  • Mehr oder weniger stabile Preise
  • Respektierung der Grund- und Menschenrechte durch die Machthabenden und durch die grösstmögliche Mehrheit der Bevölkerung
  • Eine intakte Umwelt und Natur
  • Freie Möglichkeiten zur Betätigung im Kultur- und Geistesleben

Dies alles sind eigentlich unabdingbare Voraussetzungen für das Leben im Alter, damit eine finanziell ausgerichtete "Altersvorsorge erst sinnvoll ist.

Weiter kommen im Alter natürlich noch die Punkte hinzu, die der persönlichen Situation entsprechen, in der man sich befindet, d.h.

  • eigene Gesundheit
  • soziale Beziehungen
  • Wohnumfeld
  • erworbener Erfahrungsschatz, Wissen und Weisheit, etc.

Zusammengefasst kann gesagt werden: Eine sichere Altersvorsorge im wirtschaftlich/gesellschaftlichen Sinn beinhaltet primär, dass zur Zeit der Pensionierung eine stabile, ausbalancierte, menschen- und umweltgerechte Gesellschaftssituation vorliegt. Jede grössere Krise, jeder eskalierende Konflikt oder gar Krieg gefährden so die erwünschten Zustände.

Die persönlichen Verhältnisse sind durch den Lebensweg entstanden, den jemand bis dahin zurückgelegt hat. Zur Zeit der Pensionierung entsteht die Frage, wie dieser Weg auch weiterhin fortgesetzt werden kann, über die Zeit hinaus, in der jemand im Wirtschaftsleben auf der Produktionsseite stand. Da sind einmal inhaltliche Fragen zu lösen, z.B. wie und wo man sich noch einbringen kann, wenn man vom Arbeitsplatz "verbannt" ist. Dann auch persönliche Fragen, z.B. in der Ehe und Familie, wenn man von einem Tag auf den anderen das ganze Leben umzustellen hat. Geld kann hier nur sehr begrenzt weiterhelfen, die Fragen müssen auf einer anderen Ebene gelöst werden. Es ist selbstverständlich wichtig, eine ausreichende Lebensgrundlage zu haben, um überhaupt solche weitergehende Fragen zu bedenken. Geld ermöglicht im "normalen" Rahmen weiter an der Gesellschaft teilzunehmen. Die Altersvorsorge insgesamt betrachtet muss aber viel weiter gedacht werden.

Altersvorsorge und sozialer Zusammenhalt

Betrachten wir also einmal die Rahmbedingungen, die wir gerne hätten im Alter. Der Rahmen wird gebildet durch die Gesellschaft, die Kultur in der wir leben. Eine entscheidende Qualität dieser Kultur ist der "soziale Zusammenhalt". Was ist damit gemeint?

  • Der Gesamtheit der Beziehungen, die eine Gesellschaft ausmachen und die in verschiedenen Beziehungsformen charakterisiert sind, z.B. wirtschaftliche Beziehungen (Kaufvorgang, Kundengespräch, etc.), soziale Beziehungen (Nachbarschaft, Freundschaften, Vereinsleben, etc.) sowie geistige Beziehungen (Lehr- und Lern-Beziehungen und Liebesbeziehungen), sie alle bilden das Geflecht von Verbindungen, vergleichbar einem Stoff mit seinen einzelnen Fäden.

Für "Sozialen Zusammenhalt" muss also ein "Stoff" da sein, müssen tragende Beziehungen existieren. Als zweites muss dieser Stoff der Entwicklung eines immer wechselnden Lebensmusters, der "Jahreszeiten und Zyklen" des Lebens durch seine Anpassungsfähigkeit folgen können. Das Muster des Lebens muss sich in seiner Schönheit und Vollständigkeit darin ausdrücken können. Wenn dies der Fall ist, entsteht eine lebendige menschlichen Kultur, eine "gesunde Kultur". Ein würdiges und zufriedenstellendes Leben im Alter kann am ehesten in einer möglichst "gesunden Kultur" Aussicht auf Erfolg haben.

Wenn abbauende Gegenkräfte, wie z.B. ungelöste Konflikte, Misstrauen, einseitige Machtansprüche , Gewaltbereitschaft und Missbrauch, Ignoranz, Bequemlichkeit, etc. im grösseren Mass in einer Gesellschaft wirken, wird die Beziehungsqualität und damit der "soziale Zusammenhalt" geschwächt. Es entstehen "Krankheitssymptome" in der Gesellschaft. So wird z.B. auch die Altersvorsorge in Frage gestellt, wenn die Beziehungen der Menschen im grösseren Umfang nicht in Ordnung sind.

Heute ist dies leider der Fall. Im wirtschaftlichen Leben sind intensive Bestrebungen zur Vergrösserung des Eigennutzes für Wenige im Gange. Besitzenden soll es noch weitreichender erleichtert werden, Vermögen und Einfluss zu vergrössern. Die Mehrheit der Menschen mit weniger Besitz dagegen soll Einfluss abgeben und ihre Ansprüche reduzieren. Diese Bestrebungen zielen nicht darauf hin, die Beziehungen zwischen allen Menschen zu verbessern und ein gesundes Gleichgewicht herzustellen. Sie führen vielmehr zu einer weiteren Isolierung und Abschottung zwischen den Menschen. Der soziale Zusammenhalt wird abgebaut, es zeigen sich schon länger deutliche Auswirkungen. Sie werden als Probleme intensiv diskutiert aber meist nicht auf ihre Ursache untersucht. Die wichtigsten Themen zur Zeit sind die Arbeitslosigkeit, die Altersvorsorge und das Gesundheitssystem mit seinen Kosten.

Dieser gesellschaftliche Zerfall löst bei vielen Menschen grosse Angst aus. Das ist sehr unangenehm, man möchte diese Angst loswerden (verdrängen). Dies treibt wiederum dazu, nach schnellen, einfachen Lösungen zu suchen. Dabei wird das Vertrauen vielfach jenen Personen geschenkt, die geeignete Projektionsflächen und Feindbilder anbieten, um die Angst loszuwerden. Ein Teufelskreis beginnt sich zu drehen.

Vertrauen und Angst

Zentral im Prozess der dynamischen Bildung eines gesunden "sozialen Zusammenhalts" ist der Umgang mit Vertrauen und Angst. Diese beiden scheinbar gegensätzlichen Gefühle spielen eine wichtige Rolle in der Diskussion über Altersvorsorge. In diesem polarisierten Feld zwischen Vertrauen und Angst wird einerseits das Vertrauen in die Zukunft angesprochen: Es werde dann schon für einen gesorgt, wenn man alt sei. Auf die andere Seite wird die Angst gestellt, dass es dann vielleicht nicht reiche und mehr Versicherungen und Vermögen nötig seien, um doch ganz sicher versorgt zu sein. Diese vereinfachende Anschauung, die heute weit verbreitet ist und z.B. von Versicherungsvertretern gerne präsentiert wird, ist nicht korrekt. Vertrauen und Angst sind keine Gegensätze.

Vertrauen ist die Grundlage aller gelingenden Beziehungen. Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz, das Bemühen zu klaren Aussagen und vollständiger Kommunikation sind die Brücke zu den Mitmenschen, die gepflegt werden will, um tragfähig zu sein. Vertrauen kann aber nicht in die Zukunft projiziert werden. Niemand weiss wirklich, was morgen ist. Wir können heute nur die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die grösstmögliche Sicherheit da ist, morgen das Gewünschte zu erreichen. Vertrauen heisst deshalb, die Gegenwart pflegen und heute daran aufbauen, zu dem, was wir uns in Zukunft wünschen. Vertrauen ist die echte Kraft, die uns heute miteinander verbindet.

Angst dagegen ist ein wichtiger Teil der Wahrnehmung, nicht das Gegenteil von Vertrauen. Sie muss ernst genommen werden. Ängste zeigen auf, wo Defizite sind, wo Löcher in der tragenden Brücke sind und wo Handlung notwendig sein könnte. Angst ist kein Symptom, das möglichst unterdrückt werden muss, wie es heute gemacht wird. Die Angst verschwindet dann, wenn die dahinterliegende Ursache ins Bewusstsein geholt wird, wenn daran gearbeitet wird. Verdrängung der Angst ist keinesfalls ein Mittel, das längere Zeit angewendet werden sollte, sonst führt es zu persönlichen Neurosen und zu gesellschaftlichen Verzerrungen. Ängste sind aber sehr anspruchsvoll. Es braucht viel Mut und Willen, sie anzugehen und die anstehende Erkenntnis herauszuarbeiten. Gerade das Älterwerden bringt nun schon an sich viele Ängste mit sich. Auch nimmt die Kraft zur Verdrängung ab und das Leben stellt seine Forderung nach Bewusstwerdung gegen sein Ende immer vehementer.

Ein wichtiger Aspekt der Altersvorsorge muss deshalb die Beschäftigung mit Ängsten sein, insbesondere natürlich die Beschäftigung mit dem eigenen Tod, als vielleicht grösster Angstquelle. Ein tieferes Verständnis für den Tod hat unsere Kultur schon seit längerem verloren. Es muss wieder individuell gesucht und auch kollektiv neu in die Gesellschaft miteinbezogen werden. Dazu braucht es die Auseinandersetzung mit den Fragen nach Sinn, nach Gott, nach dem Davor und Danach des Lebens. Echte Altersvorsorge hat deshalb sehr viel mit geistiger Betätigung und Spiritualität zu tun. Die Auseinandersetzung damit ist eine wichtige Aufgabe für ältere Menschen. Dadurch finden sie ihren wirklichen Platz, der ihnen zustände in der Gesellschaft, den Platz der Weisheit und geistigen Führerschaft. Vorwärts blickend, über den Tod hinaus und mit der notwendigen reflektierten Erfahrung des Lebens ausgestattet, fähig, Rat zu erteilen und Ausgleichend zu wirken.

Ansätze für eine erfolgreichere Vorsorge

Die Vorsorge für das Leben im Alter wird umfassend betrachtet zu einer geistigen Frage, die individuell geklärt werden, aber vor allem in ihrer Bedeutung für alle Menschen betrachtet und erhellt werden muss. Anschliessend entsteht eine soziale oder rechtliche Frage, wie in der Gruppe, der Gesellschaft eine Form oder ein Vertrag gefunden werden kann, die einer langfristigen und praktikablen Altersvorsorge entsprechen kann. Als drittes folgt dann eine Umsetzung in die wirtschaftliche Ebene mittels Finanzüberlegungen, Institutionsumbauten oder –neugründungen und entsprechender Integration in die aktuelle Wirtschaft. Dies darf nicht isoliert erfolgen, sondern der organische Zusammenhang zwischen den Ebenen muss immer wieder gesucht werden. Dies ist der grösste Gegensatz zum heutigen System. Heute ist vieles nach analytischen Ansätzen entworfen, die in technischen Belangen auch hervorragend funktionieren. Gerade im sozialen Bereich führen sie aber selten zu brauchbaren Ergebnissen, sondern dazu, dass sich die Menschen Systemen anpassen müssen, statt umgekehrt. Hier sind andere Grundlagen und Massnahmen notwendig.

  1. Bewusstseinsbildungsmassnahmen, Zusammenhänge aufzeigen, Geistige Ziele setzen, Menschen finden, die bereit sind ihr Bewusstsein zur Altersvorsorge und zur heutigen Art des Wirtschaftens zu erweitern.
  2. Neue Auffassung vertiefen und zu neuen Modellen weiterentwickeln die in der Gesellschaft zur Diskussion gestellt werden können.
  3. In Zusammenarbeit mit bestehenden Institutionen mögliche Kurskorrekturen prüfen und/oder allenfalls geeignete neue Institutionen mit-initiieren.
  4. Weitere begleitende Forschung betreiben um laufende Korrekturimpulse für die neuen Strukturen liefern zu können.

Und die Pensionskassen? - Neue Ideen sind gefragt

Es scheint als steckten wir heute mit unserem rein monetär gedachten Drei-Säulen-System in einer Sackgasse - wie kommen wir da wieder hinaus?

Nun, es ist nicht zu kompliziert, sicher sehr andersartig aber eigentlich ganz einleuchtend, was die Pensionskassen und die heutigen Altersvorsorger tun müssten, um in die richtige Richtung zu schwenken. Sinnvolle Fragen lauten:

  • Wie kann die Beziehungsqualität zwischen den Generationen heute umfassend entwickelt und verbessert werden?
  • Wie können die abbauenden Kräfte in Schach gehalten werden?
  • Wie kann ein neues Verständnis der wirtschaftlichen Vorgänge entwickelt werden?

Schon vor beinahe hundert Jahren hat z.B. Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, die Vorstellung einer Assoziativen Wirtschaftsweise entworfen, die in die richtige Richtung weist. Assoziativ heisst dabei eine Art von enger Verbundenheit zwischen allen Beteiligten, eine neue Art Zusammengehörigkeitsbestrebung, das durch hohes Bewusstsein und intensive Kommunikation der Beteiligten generiert wird. Bis heute konnten diese Grundgedanken nur in wenigen Aspekten weiter ausgearbeitet oder umgesetzt werden. Doch die Zeit drängt. Die alles überwuchernde Wirtschaft muss wieder an den ihr zustehenden Platz im Ganzen verwiesen werden.

Mögliche Ansatzpunkte für bestehende Pensionskassen im Sinne des oben gesagten könnten sein:
Die Beziehung zwischen den eigenen Versicherten und der Kasse intensivieren. Der Geldfluss (Zahlungen und Investitionen) ist dabei heute das primäre Beziehungselement, das entsprechend als Kanal benutzt werden kann. Ausserdem sind Mitsprache, gemeinsame Ideensuche und Problembesprechung mögliche Ansatzpunkte.

Weitere denkbare Massnahmen:

  • Anlage von Geldern in neuen Projekten für eine zukunftsfähige Wirtschaft und Gesellschaft, insbesondere auch in sozialen Projekten, ohne sofortige Rendite-Erwartung.
  • Direkte Investition der Gelder in Strukturen, die effektiv durch ältere Menschen in Pension gebraucht werden, also: Alterswohnungen, Pflegeheime, Bio-Landwirtschaft, Heilmittelherstellung, Spitex, etc. Mittels eines Bonus-Systems können die Pensionierten dann direkt von den entsprechenden Leistungen beziehen, ohne Umweg über das Geld. Auch könnten darin möglicherweise Arbeitsplätze für "Pensionierte" geschaffen werden, die so auf Wunsch einen Teil ihres Lebensunterhaltes wieder selbst verdienen würden.
  • Noch bessere Vernetzung der Pensionskassen mit den bereits angeschlossenen Betrieben durch Kooperationsverträge und gemeinsame Verpflichtung auf ethische Grundwerte. Später beim Übergang zu einer echten assoziativen Wirtschaft Integration der Pensionskasse in die gemeinsame Gesamtstruktur.
  • Gründung einer eigenen Forschungsstelle, die sich um Klarheit für die geistige Zukunft der Altersvorsorge insgesamt bemüht und die ganz praktisch Ideen zur Umsetzung entwickelt.
  • Aufbau von Betreuungs- und Seelsorgebereichen mit fortschrittlicher Ausrichtung zur Entwicklung geistiger Werte im Alter.

Wie ist ein Systemwechsel zu bewerkstelligen?

Die heutige Situation muss einmal als gegeben akzeptiert werden. Wir gehen also z.B. aus von der Vorstellung einer monetären Altersvorsorge mit drei Säulen. Die notwendige Aufklärung zu einer umfassenderen Anschauungsweise ist der erste Schritt. Hier muss viel getan werden, wobei ich glaube, dass es gut möglich ist, auch mit einfachen Mitteln Einsichten zu erreichen.

Die ganze Veränderung wird längere Zeit in Anspruch nehmen aber gerade deswegen in sich selbst schon einen Beitrag zur Altersvorsorge für die Beteiligten leisten können.

Die Erarbeitung von weiteren Grundlagen und anschliessend Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit ist als strukturierter Prozess anzugehen. Hierzu könnte als Erstes unter Mitarbeit fortschrittlicher Pensionskassen eine eigene provisorische Organisation, z.B. ein Arbeitskreis errichtet werden. Darin hätten sich die Beteiligten umfassende Gedanken zur Altersvorsorge und zum Leben als solches zu machen. In einem solchen Arbeitskreis können dann daraus neue Modelle und Formen der Altersvorsorge entwickelt und praktische Ideen für deren Umsetzung in enger Zusammenarbeit zwischen alten und jungen Leuten gesucht werden.

Ein Systemwechsel kann nur durch mutige Schritte in eine neue Richtung erreicht werden. Einzelne Menschen und Organisationen müssen anfangen, weiterzudenken und danach auch zu handeln.

Schluss

Hier möchte ich einmal zu einem vorläufigen Abschluss meiner Ausführungen kommen. Es gibt noch viel zu sagen aber auch viel zu entwickeln. Noch kann vieles in seiner Umsetzung nicht beschrieben werden, weil zuerst bildlich gesagt der Boden bereitet werden muss durch die Erweiterung des Horizontes, durch eine umfassendere Betrachtung der Altersvorsorge und der gesellschaftlichen Entwicklung insgesamt.

Doch einiges kann schon heute getan werden. Für alle die sich mit der Altersvorsorge beschäftigen und insbesondere für die Beteiligten bei den Pensionskassen heisst dies knapp zusammengefasst:

  • Öffnung der eigenen Denkweise und des Leitbildes der Institution für neue (auch scheinbar radikale) Ideen
  • Öffnung der Strukturen und Gremien für neue Menschen und Beziehungen
  • Öffnung der Investitions- und Geldströme für neue Projekte und soziale Unternehmungen

Auf die grundlegenden Gedanken der geistigen Veränderung möchte ich gerne zu einem späteren Zeitpunkt nochmals zurückkommen. Für Fragen wenden Sie sich bitte gerne direkt an den Autor, am besten via E-Mail jmartignoni@flexibles.ch

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit


Copyright 2004 Martignoni. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.