Individuelle Freiheit und Föderalismus in der Europäischen Union

01.08.2000

Aus der Perspektive der sozialen Dreigliederung muß es klar sein, daß die EU-Zusammenarbeit ein richtiges und gutes Unterfangen ist auf ökonomischer Ebene. Es realisiert tendenziell das Verlangen der Ökonomie nach großen internationalen Korporationen und politische Hindernisse und Beschränkungen des Wirtschaftslebens aus dem Weg zu räumen. Daß die EU auf wirtschaftlichem Gebiet allmählich noch politischer wird, ist dagegen bedauerlich.

Auf staatlicher Ebene ist die Legitimität in der Tendenz zur Staatsbildung mit ungewissen Fragezeichen belegt. In der Frage nach der Entwicklung der geistigen und seelischen Realität in Europa und wo es hinführt, gibt es geteilte Meinungen. Das Institut soll als Forum für diese Diskussion dienen, ohne sich von vornherein auf einen Standpunkt festgelegt zu haben. Ihre Beiträge sind sehr willkommen.

Es liegt uns aber sehr am Herzen, auf offenbare Fehlentwicklungen hinzuweisen.

Eine solche Fehlentwicklung wäre es, dem Vorschlag des deutschen Außenministers Joschka Fischer für ein föderales Europa zu folgen.

Der deutsche Außenminister hat den notwendigen Schritt unternommen und nach der Finalität der EU gefragt. Fischer sieht als Realpolitiker die Zeit gekommen, noch vor dem Euro und der Ost-Erweiterung, endlich einen Fahrplan für eine unabwendbare, europäische Integration festzulegen, bevor uns die Integration im Schlaf überrumpelt. Er fragte in seiner bekannten Rede vom 12.05.2000, wie man auf längere Sicht erklären könne, daß Staaten die sich durch die Valutaunion unlösbar zusammengebunden haben, sich in ihrer ökonomisch-politischen Existenz nicht auch sammeln sollten gegen äußere Bedrohungen und ihre Sicherheit zusammen wahrnehmen. Auf die unvermeidlichen Funktionsproblemen mit denen die EU beim Euro und bei der Ost-Erweiterung konfrontiert wird, hat Fischer eine ganz einfache Antwort: Ein Übergang von staatlicher Zusammenarbeit zu vollendeter Parlamentarisierung in einer europäischen Föderation, d.h. ein europäisches Parlament und eine Regierung, die gesetzgebend sind und die exekutive Macht inne haben. Er sieht jedoch, daß eine Vollendung der europäsichen Integration sich nur vorstellen läßt, wenn es auf der Grundlage einer Souveränitätsteilung zwischen Europa und den Nationalstaaten geschieht, - eine Aufgabe die nur ein zwei-Kammersystem mit einer Nationalkammer und einer Europakammer realisieren kann.

Joschka Fischers "Vision" ist eigentlich nur visionär in ihrer Intention, nicht in ihrem Inhalt. Die Entwicklung in Europa verlangt Dialog und Debatte, aber der Realpolitiker Joschka Fischer kann nichts anderes bieten als ein Föderalmodell aus dem Subsidaritätsprinzip der EU und seinem deutschen bundespolitischen Rahmen heraus. Er schwingt das Schwert der Gewaltenteilung und teilt horizontal nach links und rechts, statt qualitativ zu teilen und dem Staat das zu geben, was der Staat ist, nämlich das Rechtsleben, und der Kultur was die Kultur braucht, nämlich Freiheit.

Es wäre unglücklich wenn Europa sich in Fischers föderale Maschinerie einfügen sollte. Es würden zwei Probleme aus dieser "Vision" von einem föderalen Europa, bestehend aus nationalen Teilstaaten, entstehen. Das generelle Problem ist, daß die Teilstaaten ethnisch-kulturell definiert sein würden. Es würde uns in keinster Weise zum freien Geistesleben führen, wenn die Teilstaaten, deren Existenz gerechtfertigt wäre, auf Grundlage von "Kultur", für das Geistesleben verantwortlich wären und sich festklammern würden an ihrem eigentlichen Ressort Kultur. Das Ergebnis wäre eine noch größere Vermengung von Geistesleben und Politik, zum Vorteil der letztgenannten. Was wir brauchen, ist ein freies Geistesleben.

Die Furcht der Bevölkerung in vielen europäischen Ländern vor kultureller Überfremdung durch Zentralisierung und Harmonisierung, soll von den Deutschen und auch von Fischer ernst genommen und in Rechnung gezogen werden. Kein anderes europäisches Land ist so weitgehend entnationalisiert wie Deutschland, aber die Deutschen können es mit ihrem großen Gewicht auch erheblich gelassener nehmen als andere. Man kann aber diese Furcht nicht mit einem Europa der Nationalstaaten entschärfen; Der Kampf zwischen den politisierten Kulturen wäre vorprogrammiert. Nur durch ein wirklich freies Geistesleben werden die Fronten verschwinden und das Geistesleben aufblühen. Die Angst der Bevölkerung vor kultureller Fremdbestimmung kann nur weggewischt werden, wenn jedes Individuum Träger kultureller Rechte wird.

Der vorprogrammierte Kampf zwischen den politisierten Kulturen ist das andere wesentliche Problem. Die europäische Integration wird getragen von der politischen Elite und deshalb ist die Zusammenarbeit unproblematisch (obwohl das Problem mit Österreich deutlich die latenten Probleme zeigt). Aber das Beispiel Jugoslawien zeigt, wie unstabil eine Föderation ist; insbesondere wenn es auf ethnisch/kulturell definierten Teilstaaten baut. Wie in Jugoslawien besteht die Möglichkeit, daß eine desintegrierte politische Elite, ausgehend von den einzelnen Teilstaaten, in Streit geraten (z.B. über ökonomische Fragen) und die Kulturen auf nationalistische Weise mißbrauchen, mit der Absicht, sich stärkere politische Kompetenzen anzueignen, was dann zum Nationalismus, Sezession und Krieg führen könnte.