Die Globalisierung gestalten - Einleitung

Einleitung

01.03.2000

Leseprobe aus Die Globalisierung gestalten: Zivilgesellschaft, Kulturkraft und Dreigliederung

Zum richtigen Zeitpunkt!

Gerade zum richtigen Zeitpunkt! Gerade in dem Augenblick, als die zerstörerische, totalitäre und alles verzehrende Gewalt der elitären Globalisierung [1] unaufhaltbar schien, gerade jetzt, als die unheilige Allianz der Staats- und Wirtschaftsbereiche, die keiner zur Rechenschaft ziehen kann, endgültig etabliert schien, gerade, als es unmöglich erschien, eine gerechte, freie, auf Mitgefühl gebaute, wohlhabende und Nachhaltigkeit achtende Welt zu schaffen, als weitreichender Zynismus und wachsende Depression um sich griffen, gerade als ... so könnte man fortfahren. Gerade zu jenem Zeitpunkt machte sich eine mächtige globale soziale Kraft geltend.

Diese globale Kraft ist die Zivilgesellschaft. In ihrer heutigen Form ist diese Zivilgesellschaft die wichtigste soziale Neuerung des 20. Jahrhunderts. Sie kommt an Bedeutung der Errichtung des Nationalstaates zu Beginn des 17. Jahrhunderts oder dem Aufkommen moderner Marktwirtschaft im 18. Jahrhundert gleich.

Die Ursprünge der Zivilgesellschaft

Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts haben Millionen von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und aus verschiedenen Ländern direkt die Formen von Mißbrauch, Ausbeutung und Zerstörung der Erde und der Menschheit erfahren. Sie aktivierten sich selbst und ihre Mitmenschen, um etwas gegen den andauernden Zerfallsprozess der Erde zu unternehmen. Sie engagierten sich in Bürgerinitiativen und Unterstützungsaktionen. Sie gründeten Gruppen außerhalb des politischen Staates und des wirtschaftlichen Marktes, um auf lokaler und globaler Ebene dem Missbrauch, den sie um sich herum sahen, wirksam entgegenzutreten. Unter diesen sind die zahlreichen Umwelt-, Verbraucher- und Menschenrechtsorganisationen mit Millionen von Mitgliedern sowie zahllose lokale Arbeitsgruppen weltweit.

Alle diese Organisationen sind selbstverwaltet. Sie werden von keiner zentralen Macht gesteuert. Sie führen ihre organisatorischen Belange mit Hilfe globaler Netzwerkaktivitäten durch. Durch diese Vernetzung ihrer kulturellen Anliegen arbeiten sie, wenn nötig, zusammen, um gesellschaftliche Themen auf der globale Ebene geltend zumachen.

Das Entstehen dieser Gruppen, Organisationen und Zusammenschlüsse direkt aus dem Erleben der Nöte der Menschen und ihrer Kulturen gehört als neues und außergewöhnliches Phänomen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dies ist die Zivilgesellschaft. Sie fordert als neue dritte Kraft mehr und mehr ihre Beteiligung bei der Gestaltung der Globalisierung ein.

Die Macht der Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft hat eine beachtliche Anzahl an Revolutionen hervorgebracht. Die Zapatistas in Mexiko [2] und die Volksbewegung auf den Philippinen sind berühmte Beispiele. Sie wirkte mit beim Fall der Berliner Mauer und beim schnellen Ende totalitärer Regime in Osteuropa und Lateinamerika. [3] Sie verändert das Verhalten einer zunehmenden Anzahl transnationaler Konzerne (Transnational Corporations = TNCs) und anderer mächtiger wirtschaftlicher Einrichtungen. Ihre Werte und Anschauungen zeigen sich hinter dem unglaublichen Anwachsen der Verbrauchermacht, in vielfältiger Form und Gestalt, einschließlich das Entstehen eines Milliarden Dollar Investment Pools für sozial verantwortliche Investitionen.

Einige ihrer Institutionen haben Fonds und Etats, die größer sind als einige der Geschäftsstellen der Vereinten Nationen und als der Ministerien ganzer Nationen. Rund um die Welt hat sie Millionen von Einrichtungen und beschäftigt dabei in manchen Ländern bis zu 10% der Arbeitskräfte. Ihre Einrichtungen erreichen auf direktem Wege zehn Millionen Arme in Dutzenden von Ländern, und sie verbessern dabei deutlich die Lebensqualität der Benachteiligten. Das ist die Globale Zivilgesellschaft. (Diese und andere Behauptungen werden in den folgenden Kapiteln belegt.)

Das Establishment nimmt ernsthaft Notiz

Diejenigen, welche die Welt bewegen, nehmen Notiz. Unter ihnen sind jene, die bei der elitären Globalisierung die Fäden in der Hand halten. Und diese Mittelsmänner der Macht hatten einen geheimen Wunsch. Sie hofften, dass die globale Zivilgesellschaft wieder ganz verschwinden möge. Sie wünschten, dass die Zivilgesellschaft sich still und heimlich im Dunkel der Nacht auflöse und bei Tagesanbruch einfach verschwunden wäre. Aber aus diesem Traum gab es ein unsanftes Erwachen. Die Zivilgesellschaft mobilisierte sich und besiegte dabei den geheimen und höchst umstrittenen MAI-Vertrag (Multilaterales Abkommen über Investitionen = Multilateral Agreement on Investment = MAI).

Das MAI war der Versuch, den Rahmen für internationale Investitionen neu zu regeln. Absichtlich enthielt es eine breitgefasste und unkonventionelle Definition von Investition, die weit über das normale Konzept ausländischer Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment = FDI) hinausging. Alle Arten realer und nicht realer Aktiva wurden von ihm abgedeckt und gleichzeitig alle Vor- und Nachbereitungsphasen einer Investitionstätigkeit. Bezeichnenderweise bezog sich das MAI auch auf die geistigen Eigentumsrechte (Intellectual Property Rights = IPRs), sowie auf jegliches spekulative oder Portfolio Investment, welches ein Investor bekommen hat oder bekommen will. Diese weitgefasste Definition hätte es einem Unternehmen ermöglicht, einen breiten Bereich von Vermögenswerten anzuwenden und die Staaten zu verklagen, die eine entsprechende Investitionstätigkeit in ihrem Land verweigern wollten.

Ebenso versuchte das MAI für die Unternehmen eine «Nicht-Diskriminierung» sowie eine «Meistbegünstigung» durch die «am meisten bevorzugten Nationen» («Most Favored Nations» = MFN) durchzusetzen. Hinter diesen Formulierungen verbarg sich eine einseitige Zusammenarbeitspflicht der Staaten, während umgekehrt den Investoren fast keine Pflichten auferlegt wurden. Staaten hätten alle Schutzmaßnahmen zugunsten einheimischer Wirtschaftsbranchen zurücknehmen und alle Begünstigungen für einheimische Unternehmen auch auf ausländische Investoren ausdehnen müssen. Als Folge dieser Bestimmungen hätten die Staaten die Möglichkeit verloren, solche Investoren zu maßregeln, welche die Menschenrechte verletzen, die Umwelt verschmutzen oder schlechte Arbeitsbedingungen bieten. Ebenso wären sie gezwungen worden, Eigentumsrechte an Grund und Boden sowie andere strategische Resourcen ausländischen Investoren zu überlassen. Weiter wären sie durch das MFN Prinzip eingeschränkt worden, strategische Beziehungen mit anderen Ländern aufzubauen, die ihre eigenen Entwicklungsprioritäten teilen.

Schließlich versuchte das MAI, die Anwendung von «Leistungsauflagen» zu verbieten. Dies sind die Auflagen, welche die Staaten speziell für ausländische Investoren festlegen, um ihre eigenen Entwicklungsvorhaben zu fördern. Sie beinhalten unter anderen solche Ziele wie die Verbesserung der Infrastruktur, den Ausbau technologischer Kapazitäten, die wirksamere Nutzung natürlicher Resourcen, die Förderung lokaler Unternehmen und die Sicherung von Auslandsdevisen. [4]

Die Mächtigen hinter dem MAI, die Führer der 30 reichsten Länder der Welt, welche die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Cooperation and Development = OECD) bilden, haben sich verrechnet. Sie dachten, dass sich das MAI leicht genehmigen ließe, eine Vereinbarung, die darauf hinzielt, TNCs und anderen Investoren fast absolute Rechte über die Rechte der Bürger und Länder zu erteilen. Die Antreiber des MAI lebten in einer Euphorie nach ihrem beispiellosen globalen Sieg im Jahre 1994. Damals hatten sie erfolgreich die Elite vieler südlicher Regierungen dahingehend manipuliert, das Zeitalter der höchst undemokratischen, undurchsichtigen und ungerechten Welthandelsorganisation (World Trade Organization = WTO) herbeizuführen. Sie hofften, dass sie dasselbe mit dem MAI tun könnten. Aber da unterschätzten sie die sich organisierende Macht der globalen Zivilgesellschaft, füreinander einzustehen und einander zu legitimieren.

Das ausdrückliche Ziel der WTO ist es, einklagbare Regeln für die Durchführung des Welthandels unter ihren Mitgliedstaaten überall auf der Erde festzusetzen. Die Vereinbarungen, die den Inhalt der WTO ausmachen, umfassen somit den Handel mit Dienstleistungen, produzierten Gütern, Textilien und Landwirtschaftserzeugnissen. Die WTO Vereinbarungen erstrecken sich auch auf Bestimmungen über geistige Eigentumsrechte, Investitionen, Anti-Dumping-Provisionen, Subventionen, Tarifvereinbarungen, Kennzeichnungspflichten, Hygienische und Phytohygienische Standards. Die Gesamtheit aller zur WTO gehörigen Vereinbarungen umfassen mehr als 26.000 Seiten in einer 30-bändigen Dokumentensammlung.

Tatsächlich ist die Schlacht noch lange nicht gewonnen. Aber darauf kommt es hier nicht an. Diese Entwicklungen zeigen vielmehr, dass im rechten Augenblick eine wichtige globale Kraft entstanden ist, um einer müden, schwachen, gewalttätigen und verschmutzten Welt Hoffnung zu geben. Die globale Zivilgesellschaft ist der Anlass zu großer Unruhe bei denjenigen, welche mit Globalisierungs- und Entwicklungsprogrammen ohne Rücksicht auf deren mangelnde Nachhaltigkeit weitermachen wollen.

Die Frage in solchen Kreisen ist nicht, ob es die globaIe Zivilgesellschaft wirklich gibt. So naiv sind sie nicht mehr. Sie haben erkannt, dass die globale Zivilgesellschaft auf den Plan getreten ist und bleiben wird. Die Elite der Welt stellt sich vielmehr die Frage, wie sie mit der globalen Zivilgesellschaft umgehen wird? Wird sie mit ihr zusammenarbeiten? Wird sie mit ihr in begrenzte Verhandlungen treten? Wird sie strategische und grundsätzliche Partnerschaften mit ihr eingehen, um eine authentische nachhaltige Entwicklung zu verfolgen?

Eine ldentitätskrise lähmt die Zivilgesellschaft

Genau zu diesem kritischen und spannenden Zeitpunkt der Weltgeschichte hat die Zivilgesellschaft eine strategische Schwäche. Sie steckt selbst in einer Identitätskrise. Gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem sie als dritte globale Macht auftritt, gleich neben Staat und Markt, macht sich die Zivilgesellschaft keine klare Vorstellung von ihrer eigenen Bedeutung und vom Ursprung ihrer Stärken und Schwächen. Tatsächlich ziehen es einige ihrer Führer aus wichtigen Gründen vor, das verschwommene Bild des Begriffes «Zivilgesellschaft» beizubehalten, und sie nicht klar umrissen ins Auge zu fassen.

Hier liegt die zentrale Aufgabe dieses Buches. Es zeigt, wie diese Identitätskrise, wenn sie unbeantwortet bleibt oder falsch beantwortet wird, einen Segen in einen Fluch, eine Hoffnung in einen Alptraum verwandeln kann. Es zeigt auf, wie die Unfähigkeiten mit dieser Frage zurechtzukommen, gegensätzliche und langwierige Folgen haben wird, sowohl für die Zivilgesellschaft als auch für die gesamte Welt.

Um diesen Punkt zu erläutern, braucht man sich nur die wachsende Tragödie früherer Führer der Zivilgesellschaft vor Augen stellen, die in den Bereich des Staates als hohe Regierungsangestellte oder sogar als Minister auf Kabinettsebene eingetreten sind. Sie lassen zuerst große Erwartungen und Begeisterung bei ihren Mitstreitern in der Zivilgesellschaft entstehen. Dann, oftmals in weniger als einem Jahr, werden diese Personen zu bitteren Gegnern der Zivilgesellschaft. Wie es scheint, sind diese Führer der Zivilgesellschaft von einem Leiden befallen, welches wir als «RUST» oder «Rest von ungelöstem Staatismus» («Residue of Unresolved Statism», Rust = Rost) diagnostizieren. Diese und andere Fallen werden in diesem Buch genauer besprochen.

Die Zivilgesellschaft als Kulturinstitution

Das Buch versucht, neue Perspektiven zu dem laufenden Dialog und der Debatte um das Wesen der Zivilgesellschaft beizutragen. Dabei will der Autor den Begriff der Zivilgesellschaft als einer Kulturinstitution vorstellen und verteidigen und die einsatzfähigen und strategischen Folgen eines solchen Verständnisses der Zivilgesellschaft erläutern. Die Ergebnisse können entweder atemberaubend oder enttäuschend sein, das hängt ganz von der Sichtweise des Einzelnen ab.

Die Zivilgesellschaft bezieht ihre Substanz, Inspiration und belebende Kraft aus dem Bereich der Kultur. Das bedeutet jedoch nicht, dass CS0s (Zivilgesellschaftsorganisationen = Civil Society Organizations = CS0s) ihre Anliegen aufgeben, die mit dem politischen Staat und dem wirtschaftlichen Markt verbunden sind. Im Gegenteil, diese Auffassung kann die Wirkungen der Zivilgesellschaft auf Kultur, Politik und Wirtschaft nur verstärken.

Der Autor hat keinen Zweifel, dass dieses Konzept der Zivilgesellschaft in einigen Verbänden der Zivilgesellschaft Kontroversen hervorrufen wird. Das Ausmaß der Gegenreaktion kann jedoch nur als sicherer Indikator, neben anderen, dafür dienen, dass viele heute entweder gar kein oder nur wenig Verständnis für die Bedeutung und den durchdringenden Charakter der Kultur sowie für die Macht und die unterschiedlichen Erscheinungen der Kulturkraft haben. Diese Kulturkraft hat die Fähigkeit, die Richtung und die Anwendungen, sowohl politischer wie auch wirtschaftlicher Macht tief zu beeinflussen.

Die Bedeutung der Kulturkraft

Auffälligerweise verstehen Präsidenten, Minister von Ländern, leitende Mitarbeiter von TNCs und andere prominente Gestalter des sozialen Lebens sehr leicht die Argumente für eine Zivilgesellschaft als einer Kulturinstitution. Denn diese Führer haben ein fast instinktives Verständnis von Kulturkraft. Man muss nur beobachten, wie sie zum Beispiel um günstige Berichterstattung in den Medien buhlen. Man muss nur sehen, wie sie sich verhalten, wenn die Berichterstattung schlecht war. Und wenn sie keine gute Berichterstattung bekommen, so kaufen sie diese. Die Philippinen hatten einen Präsidenten, der als erstes in den frühen Morgenstunden die Zeitungen überflog, um zu sehen, was sie über seine Aktivitäten berichteten. Viele Politiker in der ganzen Welt zeigen den gleichen Hunger nach guter Medienberichterstattung.

Was ist es, was sie an Zeitungen oder Medien allgemein instinktiv erkennen und widerwillig respektieren? Es ist die Macht der Medien, das zu beeinflussen, was Menschen über ein Thema oder eine Person denken und fühlen. Es ist die Macht der Medien, die Einrichtungen der Zivilgesellschaft sind, Legitimität als ein Symbol öffentlicher Unterstützung zu übertragen oder zu entziehen. Dies ist die gleiche Macht eines aufgeklärten Bewusstseins, einer wachen Bürgerschaft, welche die Aktivisten der Zivilgesellschaft mobilisierten, um das MAI zu vereiteln. Dies ist die Kulturkraft, die Macht, die Missstände durch disziplinierte Wachheit und Aktion vertreibt.

Die wahre Identität der Zivilgesellschaft offenzulegen, ist eine dringende Angelegenheit. Es ist nicht nur eine intellektuelle Übung. Die Antwort(en), die wir auf diese Frage geben, wird bestimmend sein für die Effektivität, mit der wir die Welt bewegen.

Zwei dringende Aufgaben der Zivilgesellschaft: Dreigliederung und Nachhaltige Entwicklung

Zwei unmittelbare und dringende Aufgaben stellen sich einer Zivilgesellschaft, die sich erfolgreich auf den Weg zu Selbsterkenntnis begeben hat. Die erste Aufgabe beinhaltet die Prozesse der Dreigliederung - die unterschiedlichen Formen der grundsätzlichen Interaktion zwischen den Institutionen der drei autonomen, doch voneinander abhängigen Bereichen der Gesellschaft (Politik, Wirtschaft und Kultur) - die eingerichtet werden müssen, um mit vereinter Kraft die Probleme der Erde lösen zu können. Die Bedeutung der Dreigliederungsprozesse wird in den nachfolgenden Kapiteln noch ausführlicher entwickelt.

Die zweite Aufgabe ist die Umgestaltung der elitären Globalisierung, um auf der Grundlage von Dreigliederungprozessen nachhaltige Entwicklung zu erreichen, welche die Zivilgesellschaft in alle relevanten Bereiche des sozialen Lebens einführen soll. Ohne die Zivilgesellschaft können die positiven Aspekte der Globalisierung nicht angemessen in Gang gesetzt werden. Diese Einsicht ist geboren aus über 50 Jahren schmerzhafter Fehler, die zu Entwicklungsaggressionen geführt haben. Weder der Staat noch die Wirtschaft allein können umfassende nachhaltige Entwicklung erreichen. Die Schlüsselinstitutionen der drei Bereiche der Gesellschaft müssen zusammenarbeiten.

Reflexivität und die soziale Konstruktion der Zivilgesellschaft

In vielen Teilen dieses Buches schreibe ich auf der Grundlage direkter Erfahrung. Warum? Es gibt eine wichtige erkenntnistheoretische und soziologische Begründung.

Reflexivität ist zu einem wesentlichen Merkmal des modernen gesellschaftlichen Lebens geworden. [5] Immer mehr haben Einzelne die Macht, weitreichende soziale Phänomene zu schaffen. Auffassungen, richtig oder falsch, werden Basis von Aktionen und schaffen eine soziale Wirklichkeit, die zu der Auffassung passt, die eine einflussreiche Personengruppe auf die Gesellschaft hat. Das hat sich nirgendwo dramatischer gezeigt als in der "Reflexivität" des globalen Finanzmarktes.

Inhaber von Milliarden von Dollar an Spekulationskapital oder sogenanntem heißem Geld («hot money») hatten gewisse negative Auffassungen über die mexikanische, südostasiatische, russische oder brasilianische Wirtschaft. Auf diesen Auffassungen basierend zogen sie gemeinsam ihr Spekulationskapital aus den Ökonomien dieser Länder heraus. Viele der betroffenen Länderhaushalte brachen innerhalb weniger Monate zusammen, Jahrzehnte wirtschaftlichen Wachstums wurden dabei zunichte gemacht.

Natürlich hatten viele dieser Nationalökonomien interne Fehler, aber nicht in solchem Maße, um durch massiven Geldentzug bestraft zu werden. Viele bedeutende und anerkannte Ökonomen haben auch mit dem Finger auf die Raubtiernatur der globalen Finanzinstitutionen gezeigt, einschließlich unangebrachter Taktiken des Internationalen Währungsfonds (International Monetary Fund = IMF). Aber das ist die Eigenart der sozialen Reflexivität. Meinungen werden zu Self-fullffilling-Prophecies (sich selbst erfüllenden Prophezeiungen). [6]

In ähnlicher Weise ist die Zivilgesellschaft ein Konzept, das den reflexiven Fähigkeiten führender Personen und Institutionen der Gesellschaft zur sozialen Gestaltung unterworfen sein wird. Das Wesen der Zivilgesellschaft wird in diesem Punkt durch Akademiker oder Praktiker, die keinen Zugang zu der gegenwärtigen Debatte um die Zivilgesellschaft haben, zu abstrakt dargestellt. Deren Perspektive muss durch andere Ansichten ausgeglichen werden, die direkt aus der Erfahrung kommen und dabei gleichzeitig von sozialer Theorie durchdrungen sind.

Der Autor war an einer Reihe bedeutender nationaler und globaler Mobilisierungen beteiligt, die zu nützlichen Ergebnissen für die Gesellschaft als Ganzes geführt haben. Aus diesen Erfahrungen heraus, sowie aus sorgfältiger Prüfung sozialwissenschaftlicher Literatur zu dem Thema, ist der Autor überzeugt, dass er ein Bild der Zivilgesellschaft anbietet, das dem wahren Wesen dieser weltweiten Bewegung näher ist und dadurch die Kraft hat, gesellschaftliche Prozesse in günstiger Weise zu gestalten.

Einladungen zum Dialog

Der Autor hat über die Eigenart der Zivillgesellschaft jetzt schon über sieben Jahre nachgedacht. Er hat seine Überlegungen jedoch nicht alleine angestellt. Während dieser Jahre hatte er die Gelegenheit, mit Freunden, die ebenfalls führend in der globalen Zivilgesellschaft sind, verschiedene Konzepte zu testen. Ebenso hat er von der ausführlichen Auseinandersetzung mit der Literatur über die Zivilgesellschaft profitiert. Leider halten unerwartete Notwendigkeiten den Autor davon ab, seine Erfahrungen mit dem Thema in diesem Buch vollständig auszuführen. Stattdessen hat er eine Bibliographie zusammengestellt für diejenigen, die das Thema noch gründlicher verfolgen wollen.

So ist dieses Buch keine wissenschaftliche Arbeit, in der alle Gedankengänge fein säuberlich bis zu ihrem Ursprung dokumentiert sind. Auch versteht es sich nicht als erschöpfende Abhandlung des Themas. Es ist eher ein Aufsatz, um eine bestimmte Auffassung der Zivilgesellschaft und der globalen Entwicklung voranzubringen, um die Reflexion, die Diskussion und das Gespräch anzuregen.

So ist dieses Buch ganz bestimmt auch nicht das letzte Wort zu diesem Thema. Es enthält eine erste Beschreibung in einer wichtigen Angelegenheit. Deshalb wäre der Autor äußerst dankbar für jegliche Art von Kommentar, positiv oder negativ.

Lesevorschläge für geschäftige Leute

Ein Vorschlag für diejenigen, die keine Zeit haben, das ganze Buch zu lesen. Die Einleitung ist wichtig, da es eine Art «orientierender Zusammenfassung» der wichtigsten Punkte des Buches ist. Behauptungen, die dort übertrieben erscheinen können, sind tatsächlich durch weitere Ausführungen in den entsprechenden Abschnitten des Buches gestützt. Nach der Einleitung kann man direkt zu Kapitel 5 gehen: «Die kulturelle Natur der Zivilgesellschaft». Kapitel 5 zusammen mit Kapitel 8 bilden in vieler Hinsicht das Herz des Buches. Wenn weitere Ausführungen gewünscht werden, so belegen Kapitel 6 und 7 das Thema von Kapitel 5. Anderenfalls kann direkt zu Kapitel 8 übergangen werden, welches die historische Notwendigkeit der Dreigliederung beschreibt und die Gründe für deren Bedeutung erläutert.

Einleitung, Kapitel 5 und Kapitel 8 sind somit die Minimallektüre. Der Rest kann dann studiert werden, wie es die Zeit erlaubt. Wer sich nicht bewusst ist, warum Zivilgesellschaft momentan so umfassend und global thematisiert wird, dem wird Kapitel 3 empfohlen, welches detailliert die Notwendigkeit der Zivilgesellschaft als globaler Kraft beschreibt.

Abschließende Bemerkungen

Abschließend hofft der Autor, dass seine Freunde und Kollegen in der Zivilgesellschaft Zeit finden für genügend Reflexion inmitten der sich schnell vollziehenden Entwicklungen und Aktivitäten. Dann werden unsere Aktionen strategischer und wirkungsvoller. Der Autor hofft weiter, dass dieses Buch wichtigen strategischen Verbündeten in Politik und Wirtschaft als Leitfaden dienen kann, mehr über das Wesen und die Aufgabe der Zivilgesellschaft zu verstehen und zu lernen. Durch dieses Verständnis können sich die drei Schlüsselinstitutionen der Gesellschaft - Zivilgesellschaft, Staat und Markt - wo notwendig und angemessen aus ihrem derzeitigen Konfliktzustand herausbewegen, und das Risiko einer Zusammenarbeit, basierend auf klaren Grundsätzen und einwandfreier Integrität, eingehen. Wenn diese dreigeteilte Partnerschaft tatsächlich entsteht und eine bewusste dreigliedrige Weltgestaltung daraus hervorgeht, dann kann diese Partnerschaft helfen, die Kräfte der elitären Globalisierung in Kräfte umzuwandeln, die versuchen, wirklich umfassende nachhaltige Entwicklung auf unserem Planeten voranzubringen.

Was wir haben, ist elitäre Globalisierung.

Die elitäre Globalisierung ist die Form der Globalisierung, die das Wohl weniger auf Kosten vieler herbeiführt. Sie wird von einigen wenigen, reichen und mächtigen Menschen befürwortet, die wichtige globale Institutionen wie die Welthandelsorganisation (WTO), den Internationalen Währungsfonds(IMF), die Weltbank und die Organisationen für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lenken. Die Tatsache, dass diese Form der Globalisierung kontrolliert wird von wenigen zum Wohle weniger, rechtfertigt die Bezeichnung «elitär».

Die elitäre Globalisierung fördert den Prozess einer einseitigen wirtschaftlichen Integration, welche die wirtschaftlichen Interessen über die Bedürfnisse der Natur, der Menschen und der Gesellschaft als Ganzes stellt. Deshalb bringt die elitäre Globalisierung, während sie eine begrenzte Form wirtschaftlichen Wachstums fördert, viele unerwünschte Formen des Wachstums hervor. Das schließt massive Armut für Milliarden von Menschen, weiträumige Umweltzerstörung und wachsende Unruhe und Gewalt in der Gesellschaft mit ein, um nur einige Probleme zu nennen.

(Siehe die Diskussion «Wirtschaftswachstum verbunden mit krebsartigen anderen Wachstumsformen» in Kapitel 2.)

Anmerkungen

[1] Es gibt positive Aspekte der Globalisierung. Nicht zu akzeptieren ist wenn nur wenige davon profitieren. Ebenfalls nicht zu akzeptieren ist, wenn 400 Milliardäre mehr Vermögen haben als die meisten Länder der Welt und ihre mehr als 2,5 Milliarden Einwohner. Inakzeptabel ist, dass eine Milliarde Menschen keine angemessene Wasserversorgung haben, während einige wenige Privilegierte Wasser achtlos verschwenden. Was wir dann haben, ist weder globaler Wohlstand, noch Verständnis und Frieden.

[2] Gustavo Esteva und Madhu Suri Prakash, Fiesta - jenseits von Entwicklung, Hilfe und Politik, Frankfurt/M. (Brandes & Apsel), Wien (Südwind) 1992.

[3] John Keane, Civil Society: Old Images, New Visions, Stanford, California (Stanford University Press) 1998. Siehe dort besonders die ersten Kapitel.

[4] Für weitere Informationen siehe: Michael Efler, «Alles neu macht der MAI?» Zeitschrift für Direkte Demokratie, Nr. 45, 4/199.

[5] Anthony Giddens, Central Problems in Social Theory: Action, Structure and Contradiction in Social Analysis, London (MacMillan Press) 1979. Siehe auch George Soros, The Crisis of Global Capitalism: Open Society Endangered, New York (Public Affairs) 1998. Siehe dort das Kapitel «Fallibility and Reflexivity». Zusätzlich siehe David Swartz, Culture and Power: The Sociology of Pierre Bourdieu, Chicago, London (The University of Chicago Press) 1997.

[6] Als nur ein Beispiel siehe Paul Krugnian, The Return of Depression Economics, New York (Norton & Company) 1999.