Dreigliederung und Civil Society
Ist die Civil Society die Verwirklichung des freien Geisteslebens?
Überlegungen zu Thesen von Nicanor Perlas

01.12.1999

Die Zeitschrift Herder Korrespondenz, Heft 8, August 1999, brachte ein Interview mit dem katholischen Politologen Warnfried Dettling. Dieser äußerte sich darin wie folgt zum eigentlich "Neuen" am Konzept der Bürgergesellschaft:

"Frage: Um diesem ordnungspolitischen Dualismus [zwischen Markt und Staat] zu entkommen, propagieren Sie das Konzept der "Bürgergesellschaft"? Wie kann dieses die auf Staat und/oder Markt verengte Perspektive weiten? Was ist das Neue daran?
Dettling: Das Neue an der Bürgergesellschaft, das über den Dualismus Staat-Markt hinausführt, ist der Blick auf den sogenannten dritten Sektor, eben auf die sozialen Beziehungen. Wir brauchen alle drei Perspektiven: eine aktive Bürgergesellschaft, einen aktivierenden und sozial verantwortlichen Staat und eine Wirtschaft, die ihre Grenzen erkennt und gleichzeitig ein Gespür dafür entwickelt, daß eine wirtschaftlich erfolgreiche, aber sozial verwüstete Gesellschaft keine Zukunft hat."

Ehrenfried Pfeiffer wurde einmal von einem führenden amerikanischen Jesuiten klargemacht, daß die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise das beste Fundament für eine Sozialordnung der Zukunft darstelle. [1] Das heißt aber natürlich nicht, daß man damit von solcher Seite aus auch die Anthroposophie, aus der diese Wirtschaftsweise doch hervorgegangen ist, fördern will. Wenn nun von katholischer Seite ein der Dreigliederung (wenn auch natürlich nur oberflächlich) ähnliches Konzept (Markt, Staat, Bürgergesellschaft) propagiert wird, so geschieht auch dies gewiß nicht, um Steiners Dreigliederungs-Idee zu fördern, sondern wohl eher, um sie durch etwas ähnlich Klingendes zu substituieren und damit überflüssig erscheinen zu lassen. Es wäre also naiv, um nicht zu sagen abwegig, diese neue "Bürgergesellschaft" auch von anthroposophischer Seite aus zu propagieren, als ob sie eine Realisierung der Steinerschen Idee der Dreigliederung darstellte, wie dies unlängst durch Nicanor Perlas, den gegenwärtigen Repräsentanten der anthroposophischen Arbeit auf den Philippinen, suggeriert wurde, und zwar in der Eröffnungsnummer von Anthroposophie weltweit (1/1998, S.9). Perlas lobte darin das voluminöse Buch von Jean Cohen und Andrew Arato Civil Society and Political Theory [2], in dem weder die Dreigliederung Steiners noch dieser selbst auch nur irgendwo am Rande überhaupt erwähnt werden, während den Ideen von Sozialtheoretikern wie Jürgen Habermas u.a. breiter Raum eingeräumt wird, als "eine der stringentesten und umfassendsten modernen Verteidigungen der Dreigliederung." Wie kann man von anthroposophischer Seite aus ein Werk, in dem Steiners Idee einer Dreigliederung des sozialen Organismus absolut ignoriert wird, in dieser Weise charakterisieren? [3] Es handelt sich keineswegs etwa darum, gegen die sozialpolitischen Zielsetzungen der katholischen Kirche resp. der Propagierer einer "Bürgergesellschaft" - in der auch Berechtigtes gesehen werden kann - zu polemisieren. Es sollte aber vom anthroposophisch-geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkt aus klar durchschaut werden, wenn katholische oder sonstige sozial-politische Zielsetzungen - bewußt oder unbewußt - mit solchen der Geisteswissenschaft R. Steiners gleichgesetzt oder vermengt werden. Eine solche Vermengung muß von einem wirklich geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkt aus abgelehnt werden.

 

Thomas Meyer

 

Anmerkungen

[1] Ein Leben für den Geist - Ehrenfried Pfeiffer (1899-1961), Basel 1999, S. 22.

[2] Jean L. Cohen / Andrew Arato, Civil Society and Political Theory, Cambridge (Mass.) /London, 4. Aufl. 1994.

[3] Perlas bewegt sich im übrigen nicht nur mit dem Konzept der Bürgergesellschaft u. a. ganz auf katholischen Bahnen; er tritt auch auf von katholischer Seite organisierten Konferenzen auf: So z. B. am 15./16. Juni dieses Jahres auf der im Tageszentrum des Erzbistums Köln stattfindenden und von Weihbischof Leo Schwarz eröffneten "Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung", wo er ein Referat hielt zum Thema: "Wie sollte das internationale Finanzsystem verbessert werden?"


Quelle: Der Europäer, 12/1999, S. 17, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift