Die Verwandlung der Arbeitslosigkeit

01.07.1999

Auszug aus: Die Dreigliederung des sozialen Organismus
als Weg zu einer zeitgemäßen Sozialgestaltung

Die Entsolidarisierung der Gesellschaft und die Perspektive einer 80:20 Gesellschaft, in der 80% der Menschen arbeitslos sind und durch Ernährungsprogramme ruhiggestellt werden, ist also kein unabwendbares Schicksal. Die Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit erfordert allerdings radikales Umdenken. Da die Hauptursache der Erwerbslosigkeit die Entwicklung der Arbeitsproduktivität darstellt, haben wir es mit einem Dauerphänomen zu tun, das durch wirtschaftliche Wachstumsimpulse nicht beseitigt, allenfalls abgemildert werden kann. Auch durch das Wachstum des Dienstleistungssektors, von dem viele ein Jobwunder erwarten, sind keine hinreichenden Beschäftigungsimpulse zu erwarten, da diese teilweise durch Entfallen weiterer Arbeitsplätze in der Industrie, teilweise durch Rationalisierung im Dienstleistungssektor selber weitgehend kompensiert werden.

Das gegenwärtige System der Arbeitslosenunterstützung, insoweit es sich als System von Überbrückungshilfen versteht, geht daher von der falschen Prämisse aus, eine Wiederbeschäftigung aller Arbeitslosen im Sektor der Erwerbsarbeit sei prinzipiell möglich. "jobless growth" bedeutet jedoch, daß es keine rationale - Vollbeschäftigungspolitik im alten Sinne mehr gibt. Andererseits ist es aber auch gar nicht notwendig, Beschäftigung nur auf diese traditionelle Art und Weise anzustreben. Gesamtgesellschaftlich gibt es eine Fülle von Aufgaben, die zum Beispiel im Umwelt-, Bildungs-, Kultur- und Sozialbereich liegen: Altenhilfe, Drogenhilfe, Landschaftspflege usw. Hier handelt es sich überall um Dienstleistungen, die nicht unmittelbar marktfähig sind und deshalb der "Bezuschussung" bedürfen.

Es fehlt der Gesellschaft also keineswegs an Arbeit, sondern vielmehr an Instrumenten, Leistungen in diesen - im Gegensatz zur materiellen Gütersphäre wirklich unterversorgten - Bereichen finanziell zu ermöglichen. Objektiv betrachtet bedeutet die Tatsache der Produktivitätsentwicklung - die gleiche oder eine größere Gütermenge wird von weniger Menschen in kürzerer Zeit hergestellt - einen Gewinn an disponibler Zeit für diese gesellschaftlichen Aufgaben.

Der Einwand, daß eine solche Entwicklung unfinanzierbar sei, verkennt die Möglichkeit und Notwendigkeit der Umverteilung der Gewinne aus der Entwicklung der Arbeitsproduktivität für diese Aufgaben. Es wäre sinnvoll, heute für die Verwaltung der Arbeitslosigkeit aufgewendete Mittel auf die Finanzierung nichtgewerblicher gemeinnütziger Arbeit umzulenken.

Voraussetzung hierfür ist die Erhaltung der Finanzierbarkeit unter Globalisierungsbedingungen. Da diese Finanzierung bei abnehmender Erwerbsarbeit immer weniger bei Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen ansetzen kann, erscheint - wie bereits dargestellt - eine mehrwertsteuerartige Belastung des Verbrauchs mit einem Sozialausgleich als einzige Lösung, zumal nur diese Form der Finanzierung hilft, weitere Arbeitsplatzverlagerung zu verhindern. Durch diese Art der Finanzierung wird die Handlungsfähigkeit des Sozialstaats in bezug auf die Arbeitslosigkeit wiederhergestellt.

Dieser Handlungsraum kann, dazu genutzt werden, einen sinnvollen Einsatz der freigestellten Arbeit für die Beseitigung von Unterversorgungsproblemen der Gesellschaft zu ermöglichen. Ein "aktivierender Sozialstaat" sollte die Arbeitslosigkeit nicht bürokratisch verwalten - was zur Demotivation der Arbeitslosen beiträgt -, sondern das Tätigwerden mündiger Menschen anregen, also wiederum auf die Förderung menschlicher Entwicklungs- und Lernfähigkeit setzen. Dies kann dadurch geschehen, daß er Arbeitslosen die Mittel zur Verfügung stellt, mit denen sie solche Tätigkeiten primär im nichtgewerblichen Dienstleistungsbereich ergreifen können. Sinnvoll erscheint auch, Arbeitslosen mit entsprechender Motivation Guthaben für arbeitsfördernde Bildungsmaßnahmen als Bildungsgutschein zur Verfügung zu stellen. Diese Ansätze können dazu betragen, Transfers aktiv zu betreiben.

Die Überwindung der Arbeitslosigkeit ist zugleich eine Frage nach dem Umgang mit dem Problem der Arbeitszeit. Die wiedergewonnenen finanziellen Handlungsspielräume können auch für die Einführung von Bildungs- und Sozialzeiten genutzt werden.