Robert Schuman und Europa - Eine kritische Würdigung

01.12.1993

Robert Schumans "Für Europa" - Eine Zusammenfassung
Robert Schuman - Europäische Einigung unter falschem Vorzeichen
Literaturverzeichnis

1950 hat Robert Schuman eine wichtige Rolle bei der deutsch-französischen Annäherung gespielt. Als französischer Außenminister übernimmt er den Vorschlag vom Leiter des ersten Plans, Jean Monnet, eine europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) unter Einbeziehung Deutschlands zu bilden. An das Buch "Für Europa" - das ich hier kommentieren möchte - hat er bis kurz vor seinem Tod 1963 gearbeitet, geht aber darin nicht auf die Probleme ein, denen diese Gemeinschaft später, insbesondere 1958, konfrontiert worden ist. Sie erscheint hier vielmehr als die dritte (nämlich die französische) Entscheidungsschlacht für Europa, nach der englischen gegen den Nationalsozialismus und der amerikanischen gegen den Kommunismus (Robert Schuman 1963, S. 14).

Die politische Karriere Robert Schumans fängt nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg an, sondern reicht bis in die Anfänge der Zwischenkriegszeit zurück. Durch diesen Krieg ist er selber vom deutschen zum französischen Bürger geworden, was ihm später helfen wird, zwischen den beiden Ländern zu vermitteln. Er setzt sich als Abgeordneter gegen die kulturelle Angleichung Elsaß und Lothringen an Frankreich ein, insbesondere im Streitbereich der Erziehung und Religion. Anklänge daran finden sich in den ersten drei Kapiteln dieses Buches, wenn er von der Supranationalität meint, daß sie den kulturellen Bereich nicht betreffen darf (Robert Schuman 1963, S. 48) und vom Christentum, daß es deswegen nicht aus dem öffentlichen Leben verbannt werden darf, weil es Europa seine gemeinsamen Werte und daher Zusammenhalt gibt (Robert Schuman 1963, S. 55-56). Diese drei Kapitel stehen dadurch in einem engeren Zusammenhang mit der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen als es zunächst scheinen mag.

Robert Schumans "Für Europa" - Eine Zusammenfassung

Lassen wir zunächst Robert Schuman selber sprechen, um dann im nächsten Teil auf einige charakteristischen oder fragwürdigen Aspekte näher einzugehen.

Erstes Kapitel

Die nationalstaatlichen Grenzen haben in Europa ihre Aufgabe erfüllt. Durch sie kamen die Nationen als breitere Gemeinschaften zu den ursprünglichen Familiengemeinschaften hinzu. Die europäische Gemeinschaft wird die Nationen ebensowenig auflösen, wie die Nationen die Familien aufgelöst haben (Robert Schuman 1963, S. 29). Wirtschaftlich gesehen ermöglicht eine Durchlässigkeit der Grenzen sogar eine weitergehendere Spezialisierung und daher Spezifizierung der einzelnen Nationen (Robert Schuman 1963, S. 24 und 33). Die Grenzregionen bekommen die Aufgabe, den Austausch zu intensivieren (Robert Schuman 1963, S. 34).

Gründe für die Notwendigkeit einer übergreifenden Gemeinschaft sind die wirtschaftlichen und militärischen Entwicklungen (Robert Schuman 1963, S. 31-32). Sie entspricht aber auch einem neuen Ideal und geht, wie die Revolution von 1789, nur diesmal auf friedlicher Weise, von Frankreich aus (Robert Schuman 1963, S. 27-28). Sie bleibt grundsätzlich für alle offen, richtet sich daher nicht gegen den Rest der Welt, sondern hält durch den gemeinsam erreichten Wohlstand und die Gewöhnung an die Kooperation zusammen. Nicht mehr der Stärkere, sondern die Mehrheit soll in ihr das letzte Wort haben. Folge ist, daß eine solche Gemeinschaft dauerhafter wird als frühere europäische Koalitionen (Robert Schuman 1963, S. 25-26 und 30-31). Sie entsteht aus der Einsicht, daß der Nationalismus der Anderen nicht durch den eigenen Nationalismus widerlegt werden kann (Robert Schuman 1963, S. 26).

Zweites Kapitel

Durch den Aufbau der europäischen Gemeinschaft wird der Notwendigkeit Rechnung getragen, die nationalen Wirtschaften allmählich in die Weltwirtschaft aufgehen zu lassen und trotz der deutsch-französischen Feindschaft im Zweiten Weltkrieg eine Koalition der freien Länder zu bilden, die diese beiden Länder einschließt.

Diese tatsächliche Abhängigkeit der Nationen voneinander fordert sie dazu heraus, sie gleichsam zu verinnerlichen und zum christlichen Ideal der Brüderlichkeit zurückzukommen (S. 43-44). Persönliche Kontakte und Bereinigung der Geschichtsbücher von jeder die eigene Nation schmeichelnde und fremde Nationen beschuldigende Unwahrheit sind dabei vom Nutzen. Es geht darum, aus Europa in erster Linie eine kulturelle Gemeinschaft und nur in zweiter Linie eine Wirtschafts- und Verteidigungsgemeinschaft zu machen. Die Forderung nach Beibehaltung der kulturellen Besonderheiten bleibt aber neben der nach Betonung der gemeinsamen Werte berechtigt (S. 48-50).

Drittes Kapitel

Die Demokratie beschränkt sich nicht auf das Mehrheitsprinzip. Sie enthält viel mehr die drei Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die in den drei christlichen Idealen Demut, Opfer und Nächstenliebe ihren Ursprung gefunden haben. Dann fallen bestimmte europäische konstitutionnelle Monarchien auch unter dem Begriff Demokratie (S. 55-56 und 66). Volksdemokratien im Ostblock fallen hingegen daraus, weil sie vom Freiheitsideal nichts hören wollen. Die marxistische Lehre wird dort für unfehlbar gehalten, ein Anspruch, der in irdischen Fragen prinzipiell unberechtigt ist (S. 74-75). Da er aber in Fragen der offenbarten Religion berechtigt ist, haben leider fanatische Christen ihn auf irdische Fragen übertragen und für eine Theokratie gekämpft. Umgekehrt wird von Laizisten leider versucht das Christentum aus dem öffentlichen Leben insbesondere der Erziehung rauszuhalten (S. 63-65 und 70-72). Die geistige Grundlage Europas soll die Demokratie im erweiterten Sinne sein, es soll auch seine Botschaft zur übrigen nicht-christlichen Welt sein, damit sie ihren Entwicklungsrückstand überwinden kann (S. 67-68).

Viertes Kapitel

Die deutsch-französische Annäherung ist bei der Initiierung der europäischen Gemeinschaft entscheidend gewesen (S. 109-110). Dem sind Veränderungen sowohl in Deutschland wie in Frankreich vorangegangen. In Deutschland wurde nach 1945 der übermäßige Nationalstolz endlich abgelegt (S. 104). Eine Rolle mögen dabei die völlige Niederlage, das Ende der Isolierung und für viele auch der typisch deutsche Gehorsam gespielt haben. Wird einmal befohlen zur Westintegration beizutragen, dann wird sogar auf die gewaltsame Wiedergewinnung der im Osten verlorengegangenen Gebiete verzichtet (S. 103-104 und 110). Eine Rolle haben auch bestimmte deutsche Traditionen und neuere europäische Denkströmungen gespielt (S. 95).

Von Frankreich ist nicht ständig wie von Deutschland, sondern nur sporadisch Krieg ausgegangen. Ständiges Ziel ist vielmehr die eigene und die Weltsicherheit gewesen. Gründe für die Erneuerung der Mittel dieser Politik ist die Einsicht, daß Deutschland in einem Europa ohne Ordnung bald als Ordnungsmacher auftreten könnte und, daß dieses Europa nicht durch Zwang sondern nur durch eine gemeinsame Hoffnung eine dauerhafte Ordnung finden kann (S. 89-91 und 107-109). Die Angst vor den Folgen einer deutschen Wiedervereinigung ist unberechtigt, da Frankreich falls nötig sein Veto einlegen kann. Eine Fixierung auf eine Wiedergewinnung der östlichen Gebiete gibt es in Deutschland nach 1945 ganz genausowenig wie in Frankreich nach 1870 (S. 96-98).

Fünftes Kapitel

Deutschland und Italien stehen der Idee einer westeuropäischen Integration deswegen positiv gegenüber, weil sie bis vor kurzem selber Föderationen waren und 1945 dort zu einer Art tabula rasa führte. An einer Gleichberechtigung haben sie eher zu gewinnen, im Gegensatz zu Frankreich und England, die als Sieger aus dem Weltkrieg hervorgegangen sind (S. 123). Hinzu kommt in Frankreich ein traditionell sehr starkes Einheitsstreben und in England die guten Erfahrungen einer bloßen internationalen Zusammenarbeit, die gegen eine Integration sprechen (S. 115-116 und 118). Europa hat daher eine ganz andere Ausgangslage als die Vereinigten Staaten bei ihrer Integration gehabt (S. 113-114). Frankreich hat trotzdem in der Form eines klaren langfristigen Abkommens einen ersten Schritt zur wirtschaftlichen Integration vorgeschlagen, der von England deswegen nicht mitgemacht wurde, weil es sich nicht durch Texte festlegen wollte. An der ohne es entstandenen Gemeinschaft wird es erst dann teinehmen, wenn es durch die Umstände dazu gezwungen wird (S. 115 und 117). Die Ehrlichkeit der Partner wird darüber entscheiden, ob Frankreich recht gehabt hat, sich auf einen solchen Versuch einzulassen (S. 125).

Sechstes Kapitel

Die nächsten Schritte der europäischen Integration sind nicht mehr von Frankreich ausgegangen. Seine Regierung ist international unglaubwürdig geworden durch das Scheitern ihres Vorschlags einer militärischen europäischen Gemeinschaft am französischen Parlament (S. 138). Eine politische Gemeinschaft ist die logische Folge der wirtschaftlichen. Sie darf nur nicht übereilt werden, weil sonst sogar alles wieder in Frage gestellt werden kann. Eine weitere Gefahr bezüglich der politischen Gemeinschaft ist die einer Bürokratisierung (S. 46-49).

Für einen Souveränitätsverzicht zugunsten einer europäischen Gemeinschaft sprechen die Lähmung der UNO durch das Vetorecht und die Rückfälle innerhalb der KSZE. Ähnlich mit dem Europarat, der kein Motor geworden, sondern ein Lichtwerfer Europas geblieben ist (S. 129-134 und 144). Es ist schwierig gewesen in Friedenszeiten und gerade im wirtschaftlichen Bereich mit einer Integration anzufangen. Es stimmt optimistisch, daß sie den Streit mit Deutschland beenden konnte (S.135 und 150).

Siebstes Kapitel

Von einer neuen französischen Deutschlandpolitik kann schon seit der Londoner Konferenz (Juni 1948) gesprochen werden. Auf die alten Mittel wird aber erst später mit dem Vorschlag der EGKS (Mai 1950) verzichtet. Mit diesem Vorschlag wird gleichzeitig versucht, Europa nach dem Vorbild der beiden Supermächte zu einem riesigen Wirtschaftsraum zu machen (S. 153-157). Ein europäischer Krieg soll unmöglich und die Bedürfnisse der Hersteller, Verteiler und Verbraucher sollen berücksichtigt werden. Die Kohle- und Stahlwirtschaft hat im Vergleich zur Landwirtschaft den Vorteil einer höheren Konzentration und Uniformität gehabt. Die Gemeinschaft ist nicht nur aus technischen Gründen auf diese beiden Waren beschränkt worden, sondern die öffentliche Meinung ist auf eine solche Initiative unvorbereitet gewesen (S. 157-158). In Frankreich ist das Parlament im Gegensatz zur Regierung der Initiative gegenüber mißtrauisch, die Unternehmer sind im Gegensatz zu den (nicht-kommunistischen) Gewerkschaften gegen eine Einbeziehung der Verbraucherinteressen gewesen. Einmal ins Leben gerufen, treibt aber diese Gemeinschaft selbst zu ihrer Erweiterung, die nicht mehr zu stoppen ist (S. 169-174).

Achtes Kapitel

Im Kalten Krieg laufen die freien Länder Gefahr, als Erste am Ende zu sein. Finanziell wegen der Ausrüstung, psychologisch wegen der Meinungsfreiheit. Entspannungsangebote sind möglicherweise trügerisch. Ein neutralisiertes Deutschland würde darüber hinaus bald imstande sein, anderen sein Gesetz aufzuerlegen (S. 187 und 191). Wegen des Kalten Krieges stellt die UNO eher ein Symbol als eine Realität dar, es fehlt an Vertrauen und an gemeinsamen Interessen zwischen den Mitgliedern. Der Friede wird anderswo gemacht (S. 194-196). Er lebt als Wunsch bei den Völkern, wenn auch weniger bei ihren Leitern (S.192). Vorbild ist die europäische Gemeinschaft, diese konstruktive Zusammenkunft aus Ländern, die bezüglich Integration sich auch vorläufig mit Teilergebnissen zufriedenzugeben wissen (S. 183-186).

Robert Schuman - Europäische Einigung unter falschem Vorzeichen

Ob Frankreich wirklich so entscheidend bei den ersten Anfängen der Supranationalität gewesen ist (vgl.Schuman 1963, S.13-14), ist eigentlich nicht so sicher. Robert Schuman verliert kein Wort über den Vorschlag der Vereinigten Staaten, nicht nur die Ruhr, sondern auch Lothringen unter internationaler Kontrolle zu stellen (vgl. Poidevin 1986,S.319). Dieser Vorschlag datiert von 1949. Robert Schuman ist damals schon Außenminister und hat die EGKS noch nicht vorgeschlagen. Frankreich kann daher keine geistige Urheberschaft zugestanden werden.

Es fragt sich sogar, ob Frankreich sich nicht einfach dem amerikanischen Willen gebeugt hat. Die wirtschaftliche Lage Frankreichs war damals ziemlich miserabel. Die EGKS war die einzige Möglichkeit, diese internationale Kontrolle auf europäische Länder zu beschränken und wenigstens die Vereinigten Staaten selber heraushalten zu können. Eine folgenschwere Entscheidung, von der absehbar ist, daß sie zu einem wirtschaftlichen Krieg gegen die Vereinigten Staaten führen wird.

In diesem Zusammenhang ist eine Bemerkung Zieburas über die Erklärung Robert Schumans vom 9.Mai 1950, die sich im Anhang von "Für Europa" sich befindet, besonders interessant. "Indem die Montanindustrie der nationalen Verfügung entzogen wird, so hieß es, kommt es zu einer "Solidarität der Produktion", die künftige Kriege zwischen beiden Ländern ausschließt. Man könnte fast meinen, der christlich-demokratische Politiker Schuman sei von der marxistischen Überzeugung durchdrungen, die Ökonomie bestimme die Politik" (Ziebura 1970,S.56). Es gibt bei Robert Schuman wenigstens die Überzeugung, daß eine politische Gemeinschaft langfristig die logische Folge der witschaftlichen sein wird (vgl.Schuman 1963,S.145-149).

Dies ist zwar unter den heutigen Umständen der Fall. In den entscheidenden Fragen bestimmt die Ökonomie in der Tat die Politik. Politiker sollten wenigstens so ehrlich sein, es zu gestehen. Marx hat sich einfach darauf beschränkt, eine Diagnose seiner Zeit zu stellen und das zwanzigste Jahrhundert ist in dieser Hinsicht nicht besser gewesen. Nach einigen Jahrzehnten haben christliche Politiker wie Robert Schuman angefangen, es auch zu gestehen. Es handelt sich aber um eine Krankheit der Politik. Das haben weder Karl Marx noch Robert Schuman eingesehen. Sie kennen nur eine falsche Alternative: Die politische Krankheit unserer Zeit zu vertuschen oder sie offen zu legen. Darauf, daß diese Krankheit heilbar sein könnte, sind sie nicht gekommen.

Ohne die Vereinigten Staaten beleidigen zu wollen: Sie verdanken ihre Entstehung einem Zollstreit und sind ihrem wirtschaftlichen Ursprung immer treu geblieben. Soll das wirklich ein Modell für Europa sein? Gibt es keinen anderen Weg zu einem europäischen Frieden? Gibt es in der Welt Platz für zwei Gebilde dieser Art? Ja vielleicht gerade noch, aber auf Kosten der übrigen Welt.

Es läßt sich nur von Gemeinschaften einen Beitrag für den Frieden erwarten, die das Mittel finden, sich auf den Bereich zu beschränken, wo sie entstanden sind. Argumentieren könnte man auf einer ähnlichen Weise wie Robert Schuman selbst gegen die Theokratie: "Sous un tel régime les divergences dordre politique risquent de dégénérer en fanatisme religieux" (Schuman 1963, S.65) . Wirtschaftliche Konflikte können nähmlich in einer solchen "logischen" Gemeinschaft zu politischen entarten und umgekehrt. Sie neigt daher zu einer Ausweitung der Konflikte über ihre ursprüngliche Sphäre hinaus.

Die einzige politische Theorie, die eine solche Eskalation prinzipiell verhindern will, ist der Ansatz einer sozialen Dreigliederung, der Anfang des Jahrhunderts von Rudolf Steiner als Antwort auf den Marxismus und Nationalismus entwickelt worden ist. Sie setzt in der Innenpolitik auf eine Verselbständigung von Wirtschaft, Politik und Kultur und baut darauf ganz neue internationalen Beziehungen.

Eine politische Gemeinschaft sollte demnach völlig unabhängig von einer wirtschaftlichen entstehen können und sollte sich nicht geographisch mit ihr decken müssen. Robert Schuman fragt sich nicht einmal wie es möglich wäre, erhebt das Gewöhnliche zum Logischen und setzt sich daher für eine internationale Gemeinschaft ein, die in dieser Hinsicht keine neuen Maßstäbe setzt. Die vielen nationalen Fehler werden dadurch nur zu einem einzigen europäischen Fehler.

Ein weiterer Aspekt der sozialen Dreigliederung ist für die europäische Frage von zentraler Bedeutung. Die Stärkung des Wirtschaftlichen durch seine Ausweitung über die ehemaligen nationalen Grenzen muß durch eine Befreiung der Kultur von der staatlichen Bevormundung ausgeglichen werden. Sie wird sonst so geschwächt, daß sie früh oder spät auch in die Abhängigkeit der Wirtschaft gerät.

Der Wunsch Robert Schumans, sich wirtschaftlich einigen zu können, ohne daß die Kultur auch vereinheitlicht wird, ist nämlich eine Illusion. Wird die Politik durch die Wirtschaft bestimmt, so dauert es nicht mehr lange, bis die Wirtschaft auch über die verstaatlichte Kultur entscheidet. Man kann höchstens hoffen, daß sich die europäische Wirtschaft auf die Forderung nach einem verstärkten Fremdsprachenunterricht beschränkt. Da würden sich die kulturellen und wirtschaftlichen Interessen gerade noch decken. Es gibt aber auch Bereiche, wo diese Interessen auseinandergehen, beziehungsweise Bereiche, wo die Kultur nur aus sich heraus zu einer Internationalität finden kann.

Die Biographie Robert Schumans ist ein gutes Beispiel für eine solche Internationalität, wenn auch in einer veralteten Form. Er sah im Christentum eine Brücke zwischen der deutschen und französischen Kultur. Und diese christliche Kultur hat er versucht gegen den französischen Staat zu schützen. Im Elsaß machte er sich zum Apostel der Unabhängigkeit von Staat und Schule, aber nur um die Schule wieder in die Hände der Kirche zu führen. Das machte ihn - und nicht nur in französischen Augen - unglaubwürdig.

Daß freie Schulen nicht unbedingt christlich - beziehungsweise katholisch - sein müssen, war ihm fremd. Das moderne Europa könnte aber überall anfangen, wo es solche freien Schulen gibt. Daraus würden europäische Politiker hervorgehen, die sich - anders als Robert Schuman - mehr trauen als eine Politik, die von der Wirtschaft gemacht wird.

Literaturverzeichnis

Robert Poidevin (1986): Le facteur Europe dans la politique allemande de Robert Schuman, In: Robert Poidevin (Hg.) Histoire des débuts de la construction européenne (mars 1948 - mai 1950), Bruxelles, Milano, Paris, Baden-Baden, S. 311-328

Robert Poidevin (1988): Le rôle personnel de Robert Schuman dans les négociations C.E.C.A.(juin 1950-avril 1951), In: Klaus Schwabe (Hg.) Die Anfänge des Schuman-Plans (1950-1951), Baden-Baden, S. 105-116

Robert Schuman (1963): Pour LEurope, Les éditions Nagel, Paris

Rudolf Steiner (1919): Die Kernpunkte der sozialen Frage, Dornach

Gerard Ziebura (1970): Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945, Pfullingen Neske

Sylvain Coiplet