Das Unternehmerkapital im sozialen Organismus

01.07.1975

Anmerkung der Redaktion

Die Schriften von Wilhelm Schmundt muss leider jeder kennen, der sich für die soziale Dreigliederung einsetzen will. Nicht etwa, weil sie irgend etwas zum Verständnis der sozialen Dreigliederung beigetragen haben. Sondern umgekehrt, weil sie vielen bei ihrem Verständnis der sozialen Dreigliederung im Wege standen - und immer noch stehen.

Rudolf Steiners Schriften und Vorträge zur sozialen Dreigliederung mögen eine noch so schwere Kost sein, man sollte nicht davor zurückschrecken, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Wer sich da durchbeisst, hat es auch nicht mehr so schwer, Wilhelm Schmundt als jemanden durchzuschauen, der das Spezifische des Wirtschaftslebens im Unterschied zum Rechtsleben nie verstanden hat, auch da wo er, wie hier, von Geld spricht, und erst recht da wo er das Wirtschaftsleben zum Allumfassenden hochstilisiert.

Berlin, 04.10.2015
Sylvain Coiplet

Ein schlechthin zentrales Geschehen im sozialen Organismus vollzieht sich überall da, wo Unternehmerkapital gebildet wird. Der Vorgang, der hier gemeint ist, sei wie folgt skizziert. In die Hand eines Unternehmers gelangt Geld, und es verbindet sich vor seinem planenden Blick mit den Fähigkeiten aller in dem Unternehmen tätigen Menschen. Es sei der Wirtschaftswert, der durch den Einsatz menschlicher Fähigkeiten in der Arbeit da ist, mit dem Wort »Fähigkeitswert« benannt. Die Synthese von Geld und Fähigkeitswerten bildet dann dasjenige, was hier als »Unternehmerkapital« verstanden werden soll. Man kann dies auch so ausdrücken: Das Geld in der Hand des Unternehmers, das hier in Betracht kommt, stellt eine rechtsgültige Anweisung dar, die alle im Unternehmen Tätigen verpflichtet, ihre Fähigkeiten in der Arbeit einzusetzen, um gemeinsam die Leistungen zu vollführen, die zu schaffen sich das Unternehmen vorgenommen hat.

Gegen ein solches - gewiß ungewöhnliches - Schildern dessen, was Unternehmerkapital ist, erhebt sich sogleich der Einwand, daß das Geld doch selbst einen Wirtschaftswert darstellt; der Unternehmer tausche mit ihm die Arbeitsleistungen seiner Mitarbeiter ein, und diese benutzen das Geld dazu, ihrerseits die Wirtschaftswerte einzutauschen, die sie für ihre Konsumbedürfnisse benötigen. Und selbst wenn man darauf hinweisen wollte, daß das Geld, das in die Hand der Unternehmer gelangt, doch - jedenfalls zu einem Teil - von den Kreditbanken oder der Zentralbank »aus dem Nichts« geschöpft, ausgeschrieben oder gedruckt, sein könne, also doch von sich aus keinen Wirtschaftswert darstelle, so wird demgegenüber gesagt, das stimme nicht, denn auch dieses geschöpfte Geld sei durch irgendwelche Wirtschaftswerte gedeckt und daher für jene Tauschvorgänge voll geeignet: durch Gold oder Devisen oder Wechsel oder Lombardwerte oder Schuldverschreibungen und anderes. Und wenn gar ein Unternehmen für Investitionszwecke etwa auf Grund von Aktien, die es ausschreibt, Geld zu Unternehmerkapital werden läßt, so kann dieses Geld aus erspartem Geld von Konsumenten stammen, das doch - da man mit ihm Wirtschaftswerte erwerben kann - ganz gewiß selbst einen tauschfähigen Wirtschaftswert darstellt.

Mit diesem Begriff des Geldes als tauschfähigem Wirtschaftswert aber wird die anfängliche Beschreibung dessen, was Unternehmerkapital bildet, - so hoffnungsvoll sie auch einem Neubesinnen zunächst scheinen mag - hinfällig. Das Geld ist dann nicht ein Rechtsdokument, eine rechtsgültige Anweisung, die auf Wirtschaftswerte bezogen werden kann, es ist vielmehr selbst ein tauschfähiger Wirtschaftswert dadurch, daß es durch andere konkrete tauschfähige Werte »gedeckt« ist, daß es gleichsam für diese seine Deckungswerte stellvertretend einsteht.

Es soll hier der Versuch gemacht werden, zu zeigen, daß dennoch die eingangs ausgeführte Beschreibung dessen, was als Unternehmerkapital angesehen werden muß, sachgemäß ist, und daß dagegen das Auffassen des Geldes als eines tauschfähigen Wirtschaftswertes im Produktionsbereich der heutigen Industriegesellschaft wesenswidrig ist. Ferner: daß das Hinleiten von erspartem Konsumkapital in den Unternehmensbereich ein atavistisch gewordenes Verfahren aus den vergangenen Jahrhunderten darstellt.

Leicht einzusehen ist, daß der eingangs geschilderte Vorgang im Bilden von Unternehmerkapital dann möglich und befriedigend ist, wenn das Geld von der Zentralbank als Papiergeld gedruckt oder von einer Kreditbank als Buchgeld geschöpft und dem Unternehmen gegen Wechsel ausgehändigt wird. Für den Wechsel trifft eben nicht zu, daß er durch vorhandene tauschfähige Wirtschaftswerte gedeckt ist, wie es beim Geldschöpfen auf Grund von Gold oder Devisen oder Lombardwerten oder Schuldverschreibungen der Fall sein kann. Die tauschfähigen Wirtschaftswerte, die beim Wechsel in Betracht kommen, sind erst dann vorhanden, wenn er eingelöst wird. Bis dahin - während seiner ganzen Lebensdauer - ist der Wechsel ohne Bezug auf einen vorhandenen tauschfähigen Wirtschaftswert, und das Geld, das mit seiner Hilfe geschöpft wird, stellt als solches also ganz gewiß keinen Wirtschaftswert dar, es ist »wert-los«. Dieses ganze Verfahren, das mit der Geldschöpfung aus dem Nichts im Zusammenhang mit der Wechseldeckung zu tun hat, paßt im Grunde nicht in das tauschwIrtschaftliche System hinein; es ist systemfremd. Demgegenüber zeigt es sich einem Wirtschaftssyst ein konform, in welchem der Begriff des Unternehmerkapitals so gebildet ist, wie es eingangs geschildert wurde. Dann erhält das an sich »wert-lose« Geld die Funktion einer rechtsgültigen Anweisung, die am Ort seines Entstehens ausgesprochen wird, und kann sich mit den Fähigkeitswerten verbinden, ihren Einsatz in der Produktion bewirkend. So kann es Untemehmerkapital in einem neuen, von der Zeit geforderten Sinn bilden.

Zu diesem Begriff des Geldes gehört, ihm immanent, eine Geldordnung dergestalt, daß das Geld aus dem Wirtschaftsgeschehen herausgezogen werden muß, wenn der Wert, auf den es bezogen wurde, verbraucht ist. Diese Ordnung aber ist wiederum durch das Wechselverfahren gesichert: kurzfristig kommt die gleiche Geldmenge zu der Kreditbank zurück, von der sie ausgegeben wurde.

Nun sei angenommen - im Späteren soll es bestätigt werden -, alles Geld beginne seinen Weg ähnlich wie beim Wechselverfahren in der wert-losen Form. Verfolgt man es dann auf dem eben geschilderten Kreislauf, so sieht man, wie es sich als rechtsgültige Anweisung mit zwei Arten von Wirtschaftswerten verbindet: zunächst - wie geschildert - mit »Fähigkeitswerten«; mit ihnen zusammen bildet es »Unternehmerkapital«. Dann aber, indem die Unternehmen dieses Geld an den Konsumtionsbereich herausgeben, verbindet es sich mit »Konsumwerten« - zum Erwerb von Konsumwerten berechtigend -, und zwar dadurch, daß es in die Preise der Unternehmenserzeugnisse einkalkuliert wird. Die Summe alles von dem Unternehmensbereich der Volkswirtschaft an den Konsumtionsbereich herausgegebenen Geldes entspricht durch diesen Kalkulationsprozeß, den alle Unternehmen durchführen und in dem auch die Investitions- und Subventionsgelder eingeschlossen sind, der Summe aller Preise der an den Konsummarkt gelangenden Waren und Dienstleistungen, der »Konsumwerte«.

Das Geld bildet also beim Herausgegebenwerden an den Konsumtionsbereich eine rechtsgültige Anweisung auf Konsumwerte, es wird Konsumkapital. Es verliert diese Rechtsbeziehung dann, wenn es den Erwerb der Konsumwerte bewirkt hat und in die Hände der Unternehmen zurückkommt. Da ist es dann zunächst ohne eine Wert-Beziehung, es ist »wert-los«, genauso wie das auf Grund von Wechseln geschöpfte Geld der Kreditbanken. Erst wenn es von einem Unternehmen so gehandhabt wird, wie es im Eingangsabschnitt geschildert ist, verbindet. es sich mit »Fähigkeitswerten« und beginnt als Unternehmerkapital einen erneuten Umlauf. Im »Planungsprozeß« der Unternehmer wird das Geld zu Unternehmerkapital, d. h. zu rechtsgültiger Anweisung auf »Fähigkeitswerte«; im Prozeß der Preiskalkulation wird es zu »Konsumkapital«, d. h. zu rechtsgültiger Anweisung auf »Konsumwerte«; im Rückfluß vom Konsumtionsbereich zum Produktionsbereich ist es wert-los, d. h. ohne Bezug auf Wirtschaftswerte.

Man stelle sich vor, wie dieser Prozeß des Bildens von Unternehmerkapital keineswegs nur dann stattfindet, wenn das Unternehmen wert-loses Geld im Wechselverfahren von einer Kreditbank erhält, sondern auch laufend dann, wenn es seine Einnahmen - die ja Geld ohne Wertbeziehung darstellen - wiederum zu denjenigen Ausgaben benutzt, die Konsumkapital werden. Da bildet sich dann zunächst, indem das Geld als rechtsgültige Anweisung auf Fähigkeitswerte bezogen wird, Unternehmerkapital genau in der eingangs beschriebenen Weise. Faßt man die Gesamtheit des Unternehmerkapitals, das sich in der Volkswirtschaft laufend bildet und nach seinem Verbrauch zu Konsumkapital wird, in den Blick, so steht einem ein geschlossener Geldkreislauf vor Augen, der vor Inflation dann geschützt ist, wenn das im Wechselcharakter liegende Verfahren durchgehend angewendet wird: Alles Geld, welches als Träger von Unternehmerkapital seinen Weg in den Kreislauf hinein beginnt, muß mengenmäßig in seiner wert-los gewordenen Form kurzfristig an den Ausgangsort zurückkommen. Diese Forderung geht aus dem Begriff des Geldes als solchem hervor; der geschlossene Kreislauf gehört zu seiner selbstverständlichen Ordnung 1 . »Kurzfristig« meint nicht, daß ein bestimmtes Geld in kurzer Zeit umläuft, sondern das ständig anzustrebende Gleichgewicht zwischen den insgesamt vom Produktionsbereich zum Konsumtionsbereich strömenden Geldausgaben und den insgesamt von ihm zurückströmenden Geldeinnahmen.

Im dritten Band eines in norwegischer Sprache verfaßten Werkes weist übrigens Professor Leif Holbaek-Hanssen (Handelshochschule Bergen), der mit der hier skizzierten Begriffsbildung übereinstimmt, auf die Rolle des Wechsels als »Zahlungsmittel« im Unternehmensbereich hin: Die Wechsel begleiten die vom Konsumtionsbereich her veranlaßten Bestellungen und bewirken bei jedem Unternehmen, in dessen Hand sie auf ihren Wegen zu den Kreditbanken hin gelangen, den Prozeß des Bildens von Unternehmerkapital.

In dem üblichen Begriff des Geldes als eines Tauschwertes liegt diese Forderung eines geschlossenen Kreislaufes nicht. Das ist die Ursache dafür, daß es heute nicht gelingt, der Inflation Herr zu werden. Immer wenn die Zentralbank oder die Kreditbanken Geld anders schöpfen als in der Art des Wechsels, muß der Vorgang inflatorisch wirken. Das ist dann der Fall, wenn etwa die Zentralbank geschöpftes Geld gegen Gold herausgibt. Dann liegt natürlich kein Zwang dafür vor, daß das Geld im Kreislauf zurückkommt; es bläht das Geldvolumen der Volkswirtschaft inflationistisch auf. Dasselbe ist der Fall, wenn die Zentralbank mit geschöpftem Geld Devisen ankauft, weil diese ihrerseits als durch Wirtschaftswerte gedeckt vorgestellt werden. Das gleiche liegt vor, wenn die Zentralbank oder die Kreditbanken Geld auf Grund von Schuldverschreibungen der politischen Körperschaften schöpfen, was - seit der Keynes-Doktrin - aus konjunkturpolitischen Gründen ebenfalls in großem Maße geschieht. Alles dieses sind Symptome dafür, daß sich die Volkswirtschaft der heutigen Kulturnationen mit dem Begriff des Geldes als Repräsentanten von Tauschwerten nicht mehr meistern läßt - anders ausgedrückt: daß sich der soziale Organismus metamorphosiert hat, indem aus der Tauschwirtschaft früherer Jahrhunderte die Fähigkeitenwirtschaft der Industriegesellschaft geworden ist, ohne daß die Begriffe den Gestaltwandel mitvollzogen haben.

Mit dem Ins-Rechte-Denken des Geldbegriffs hat man zugleich eine Einsicht gewonnen, die weit über das Geldproblem hinausgeht. Es stellt sich einem nämlich das soziale Ganze als ein Organismus vor Augen, der in seinem Produktionsbereich von drei funktional miteinander verbundenen Systemen durchzogen ist: erstens dem System, in welchem die Fähigkeiten der Tätigen urständen und das sich in beratenden und planenden Gremien der Unternehmensund Bankleiter institutionalisiert; zweitens dem System der Rechtsvereinbarungen, das besonders wirksam ist, bzw. wirksam werden müßte bei Prozessen, die das Geld als rechtsgültige Anweisungen zum Träger von Unternehmerkapital und zum Träger von Konsumkapital werden lassen; drittens dem System der Wirtschaftsprozesse, die es mit dem Zustandekommen und dem Verbrauch von Wirtschaftswerten - Fähigkeitswerten und Konsumwerten - zu tun haben.

Man erfährt im Durchdenken der Zusammenhänge, daß der Einsatz von Konsumkapital für das Beschaffen von Produktionsmitteln im Rahmen der Unternehmenswirtschaft wesenswidrig ist und nur für freiberuflich Schaffende und Kleinbetriebe, die ihren Ort im Konsumtionsbereich haben, sinnvoll zu sein vermag. Man erfährt, daß das Geld im Produktionsbereich ausschließlich auf Fähigkeitswerte bezogen ist und keinerlei Verbindung mit irgendwelchen Sachwerten eingeht, daß es also sinnlos ist, den Begriff Unternehmerkapital auf Produktionsmittel anzuwenden.

Was in diesem Aufsatz skizziert wurde, soll zum Besinnen in der folgenden Richtung anregen. Man wird sich sagen können: Wenn das soziale Ganze eines Staatszusammenhangs ein gegliederter Organismus ist, dann muß man dieses Ganze als Erscheinung eines Urbildes verstehen können. Es muß dann für das Forschen auf dem Gebiet der sozialen Gestalten die Methode gelten, die sich auch gegenüber dem Organischen der Pflanzenwelt fruchtbar erweist, bei welcher jede Pflanze als besondere Erscheinung des Pflanzen-Urbildes, der »Urpflanze« - wie Goethe dieses Urbild nannte - verstanden werden kann und bei der es möglich ist, Pflanzen zu erfinden, die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten, weil sie eine innere Wahrheit und Notwendigkeit haben (wie Goethe sich ausdrückt). Was in vorliegendem Aufsatz skizziert wurde, soll in diesem Sinne die urbildliche Struktur des sozialen Organismus gewahr werden lassen, die in der Polarität der Prozesse des Bildens von Unternehmerkapital, des Bildens von Konsumkapital und dem verbindenden, Rechte tragenden Geld als Drittem zum Ausdruck kommt. Nach diesem Urbild vermag man die heutigen Kulturstaaten nach dem Sinnvollen und dem Sinnwidrigen ihrer Sozialgestalten zu durchforschen, und man vermag nach dem Urbild diejenige Gestalt eines sozialen Organismus zu entwerfen, in welcher sich die menschliche Freiheit, das Sich-selbst-Bestimmen jedes Mitgliedes der Gesellschaft, auszuwirken vermag. In keiner der heutigen Kulturnationen ist diese Freiheitsgestalt des sozialen Organismus bereits verwirklicht. Daß sie, zu der das neuzeitliche, selbständig gewordene Menschentum unaufhaltsam drängt, wirklich werden kann, setzt gewichtig jene Begriffswandlung voraus, die den üblichen, widersinnigen Begriff des Unternehmerkapitals bis in die gesetzlichen Rechtsordnungen hinein durch den im ersten Abschnitt dieses Aufsatzes geschilderten Begriff ablöst 2 .

Anmerkungen

1 Um Mißverständnisse zu vermeiden: Es handelt sich um einen geschlossenen Geldkreislauf, nicht um eine geschlossene Volkswirtschaft. Die ausländischen Handelspartner gehören zum Konsumtionsbereich der Volkswirtschaft, in welchem mit Konsumkapital Tauschprozesse vollzogen werden können. Der Geldkrelslauf vermag also eine weltweite wirtschaftliche Verflechtung voll einzubeziehen.

2 siehe Wilhelm Schmundt, Der soziale Organismus in seiner Freiheitsgestalt, Studienmaterial der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft Goetheanum, Dornach (Schweiz) 1968 (Neudruck 1977); ders., Revolution und Evolution - Auf dem Wege zu einer Elementarlehre des sozialen Organismus, Achberg 1973. - Umgestaltete und erweiterte Neu-Auflage: die vorliegende Schrift, Achberg 1982; ders., Zeitgemäße Wirtschaftsgesetze - Entwurf einer Einführung, Achberg 1975. Zweite Auflage 1980, erweitert um »Bemerkungen zur Geldordnung«.


Quelle: Die Drei, 07-8/1975