Ablösung des Lohnverhältnisses

01.08.1960

Quelle
Beiträge zur Dreigliederung des sozialen Organismus
Jahrgang 5, Heft 2, August 1960, S. 34-45
Bibliographische Notiz

Über das Gesamt-Thema der Partnerschaft hatte der Unterzeichnete ein ausführliches Referat übernommen. Es handelt sich bei der sogen. Partnerschaftsbewegung um eine, bereits über viele Staaten ausgebreitete Beteiligung aller Mitarbeiter an den Betrieben, welche in den verschiedensten Formen auftritt. Man kann der Ansicht sein, solche Beteiligungen haben nicht viel mit unseren Bestrebungen zu tun, ja sie führen zu einem gewissen Betriebsegoismus, der unerwünscht ist. [...]

Es handelt sich dabei um einen Sammelbegriff, über den man sich zuerst verständigen muß, bevor man urteilt. Die finanzielle Beteiligung, die zu höheren Löhnen führen soll, ist dabei nicht einmal die Hauptsache. Im Vordergrund steht die Förderung des Interesses am Betrieb. Daß dies zunächst durch Aufklärung aller Art erfolgen muß, steht im Einklang mit den Forderungen Rudolf Steiners. Er ging allerdings weit über technische und kaufmännische Aufklärung hinaus und empfahl die Hebung des geistigen Niveaus der Belegschaft durch allgemein bildende Vorträge. Musterbeispiele sind seine eigenen Arbeitervorträge, die durch Jahre hindurch am Goetheanum gehalten wurden. Man wundert sich darüber, welch hoch-wissenschaftliche Ausführungen er dort gemacht hat. Überlebende Arbeiter aus dieser Zeit bestätigen noch heute die große Verehrung für Dr. Steiner, wenn auch nicht alles ganz verstanden worden sei. Man sieht daraus, daß die soziale Gesinnung des Unternehmers und sein Verständnis für den Mitmenschen die Grundlage für alle weiteren praktischen Maßnahmen ist.

Bekanntlich fordert Dr. Steiner die Ablösung des Lohnverhältnisses durch ein vertragliches Teilungsverhältnis. Er bezeichnete diese Lohnablösung als die wichtigste Voraussetzung für die Anerkennung des Gedankens der Reinkarnation. Zugleich aber sagt er, bevor nicht der Gedanke der Wiederverkörperung akzeptiert wird, kann das heutige Lohnverhältnis nicht wirklich überwunden werden (Berlin 1912). In dem Mitarbeiter den Mitmenschen zu sehen und sein Menschentum voll

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 34]

anzuerkennen, ist also die Gesinnung, die zu dem Teilungsverhältnis führen kann. Stehen wir nicht mitten in diesem Prozesse darin? Man bemüht sich heute, den Menschen in seinen Mitarbeitern zu entdecken. Das begann mit den human relations und äußert sich heute in der gewerkschaftlichen Forderung nach Mitbestimmungsrechten. Diese sind umstritten und treffen die Geschäftsleitungen ziemlich unvorbereitet. Hier setzt nun die Initiative der Unternehmer selbst ein, indem sie versucht, gesunde Betriebsverhältnisse zu schaffen. Uns scheint, es wäre an der Zeit, von unseren Gesichtspunkten aus diesen Fragen volle Aufmerksamkeit zu widmen. Zeigt es sich doch, daß diese Partnerschaftsbewegung vielfach Formen annimmt, welche stark an den Egoismus sowohl des Arbeiters wie des Unternehmers appellieren. Zu Beginn der 50er Jahre hat unser Freund Slanina versucht, soziale Ideen in diese Bewegung einfließen zu lassen. Als er starb, fehlten die Menschen, die ihn hätten ersetzen können. Niemand kümmerte sich damals um die Bedeutung einer solchen Tätigkeit. So kam durch unser Versagen die Bewegung in das Fahrwasser, in dem sie heute ist. Ob die Tätigkeit Slaninas durchaus richtig war, entzieht sich unserer Kenntnis. Er war zunächst bei den Spindler-Werken in Hilden, hat dann aber in mehreren Betrieben des In- und Auslandes Ertragsbeteiligungen eingerichtet. Herr Spindler, der in der Bewegung in Deutschland heute führend ist, macht alle Arbeitnehmer seines Betriebes zu Mitunternehmern, welche nicht nur mitbestimmen, sondern auch mitverdienen (Halter). Er läßt sie auch am Risiko teilnehmen, wofür er einen Rücklagefonds geschaffen hat. [...]

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 35]

[...] Der Partnerschaftsgedanke marschiert in vielen Ländern der Welt. In Frankreich war der Großindustrielle E. Schueller ein Vorkämpfer für den Verhältnislohn = salaire proportionnel. Es gibt dort ein Gesetz über die Steuerfreiheit solcher Ertragsbeteiligungen, die nicht als Reingewinn des Unternehmers betrachtet werden. (Siehe den Wortlaut im Auszug im Informationsdienst.)

In USA haben rund 15000 Betriebe das System der „profitsharings“ eingeführt. Dabei werden im Durchschnitt 20-25% der Lohnsumme zusätzlich ausbezahlt, oft sogar weit mehr.

In England nennt sich die Bewegung Co-Partnership-Association. Herr Prof. Wilken berichtet über einen interessanten Fall in seinem letzten Buche.

In Wien, wo die Bewegung noch im Anfang steht, gibt es immerhin ein Institut für Sozialpolitik und Sozialreform.

In Dänemark existiert seit 1957 ein Gesetz zur Förderung der Erfolgsbeteiligung.

In einigen latein-amerik. Ländern ist die Erfolgsbeteiligung obligatorisch. Ein Anteil ist dabei an die Gewerkschaften abzuführen.

In der Schweiz lehnen die großen Gewerkschaften diese Bewegung ab.

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 36]

Nur der Landesverband freier Schweizer Arbeiter hat seine Hemmungen überwunden und tritt lebhaft dafür ein.

Der Kampf der Gewerkschaften um die Löhne ist grundfalsch. Sie beweisen damit nur, daß sie selbst kapitalistisch denken. Sie sollten einsehen, daß ihnen durch die Partnerschaftsbewegung andere Aufgaben erwachsen können. Es müßten überbetriebliche Zusammenschlüsse stattfinden, die assoziativen Charakter tragen würden. Eine neue Arbeiterbewegung könnte daraus entstehen, die dem Arbeitsfrieden dient.

Die Quoten der Erfolgsbeteiligung werden vielfach freiwillig von den Unternehmern festgesetzt und als Prämien bezeichnet. Sie werden dann meist aus dem Umsatz errechnet und auf die Lohnsumme bezogen. Dabei handelt es sich demnach um einen aus der Mehrleistung angebotenen Lohnzuschuß. Allgemein wird ein Vorschuß monatlich ausbezahlt, der Rest bleibt als Jahresreserve zunächst stehen, bis das Gesamtergebnis überblickt werden kann.

Es gibt aber auch Betriebe, die das Gesamtergebnis (nach Abzug entsprechender Reserven) nach einem gewissen Schlüssel an alle Betriebsangehörige vom Hilfsarbeiter bis zum Chef, einschließlich der Meister, Angestellten und Direktoren verteilen. Die Schlüsselung hat dann mit größter Sorgfalt zu erfolgen und weit über die übliche Arbeitsplatzbewertung hinauszugehen. Bei der Beurteilung der Arbeit kommen nicht nur die Mengen- und Qualitätsleistungen in Betracht, sondern auch die Einstellung zur Arbeit, die Fähigkeiten und das Interesse am Betrieb. Insbesondere können dabei geistige Leistungen, wie Vorschläge für Rationalisierung oder Erfindungen bewertet werden, die sich sonst der Kontrolle entziehen. Zu solchen Zwecken sind komplizierte, aber durchaus übersichtliche Punktsysteme ausgearbeitet worden.

Es ist nicht zu leugnen, daß solche Einrichtungen dem Zustand der vollkommenen Lohnablösung, soweit sie unter den heutigen Verhältnissen überhaupt möglich ist, in gewisser Hinsicht nähern. Obwohl die monatlichen Vorschüsse nach einem Lohntarif ausbezahlt werden können, tritt dieser in Wirklichkeit vollkommen zurück, weil das Endergebnis weit darüber hinausgeht. Die Gewerkschaften haben in solchen Betrieben z.T. ihren Einfluß verloren. In der Schweiz kommt noch der sehr segensreiche Gesamtarbeitsvertrag hinzu, der auf einen Arbeitsfrieden mit gesetzlicher Rechtskraft hinausläuft, obwohl er aus Verbandsverhandlungen hervorgeht. Wo die Ergebnisbeteiligung jedoch den ganzen Geschäftsgang umfaßt, also nicht nur auf Leistungssteigerungen basiert, steht der einzelne Mitarbeiter als freier Vertragspartner der Geschäftsleitung gegenüber.

Akkorde sind in solchen Betrieben abgeschafft resp. überflüssig. Oft werden alle Arbeiter in ein Angestelltenverhältnis übernommen, was den Tariflohn überhaupt illusorisch macht. Es liegt auf der Hand, daß nicht der ganze Produktivitätsgewinn ausgeschüttet und verteilt werden kann. Die Geschäftsleitung hat das unbestreitbare Recht,

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 37]

die nötigen Reserven als Betriebskapital zurückzuhalten, das sie z.B. für Neu-Investierungen braucht [1]. In den meisten Fällen werden solche Reserven in Prozenten generell festgelegt. Sie könnten aber auch mit den Ausschüssen besprochen werden, wenn außergewöhnliche Aufgaben zu bewältigen sind. Durch die Verteilung des Ergebnisses nach einem allseitig bekannten und gemeinsam beratenen Schlüssel, den jedermann nachrechnen kann, entsteht in der Tat ein ausgezeichnetes Vertrauensverhältnis, vorausgesetzt, daß gründliche Aufklärung vorangegangen ist.

Selbst da, wo die Antriebskräfte zu einer Partnerschaft irgendwelcher Art nicht nur von altruistischen Gesichtspunkten ausgegangen sind, sondern mehr auf Leistungssteigerung abzielen, wirken sie sich in der Praxis durchaus sozial aus. Der Arbeitsfriede ist weitgehend gewährleistet. Ein allgemeines Suchen nach guten Methoden ist unverkennbar. Aber es herrscht eine ungeheuere Unsicherheit über die einzuschlagenden Wege. Hier lägen Aufgaben bereit für diejenigen, die sich in der Soziologie Rudolf Steiners auskennen. Es würde sich darum handeln, aufzuzeigen, was bewußt angestrebt werden sollte.

Unverkennbar sind die günstigen Folgen einer Ertragsbeteiligung: Die Zusammenarbeit bessert sich zusehends. Material und Kosten werden gespart. Unnötige Gänge werden vermieden. Die Mitarbeiter regen sich gegenseitig an. Verbesserungsvorschläge werden gemacht. Betriebskosten senken sich. Stellenwechsel gehen zurück. Der Einfluß der Gewerkschaften hört weitgehend auf. Vor allem werden die Leistungsreserven, die von der Arbeiterschaft allgemein zurückbehalten werden, freiwillig zur Verfügung gestellt. Die dadurch entstehende Mehrleistung wirkt sich günstig aus, ohne gefordert zu werden. Hierin liegt der große Unterschied zum russischen Stachanow-System, bei dem die Arbeiter gezwungen werden, ein möglichst hohes Leistungs-Soll zu erfüllen. Durch diese Freiwilligkeit erwirbt sich der Mitarbeiter den moralischen Anspruch auf einen Anteil am Erfolg. Ihn als einen Rechtsanspruch anzuerkennen, ist Sache der Geschäftsleitung. [...]

[1] Es gibt unter unseren Freunden solche, welche die Auffassung vertreten, es sei der ganze Produktivitätsgewinn auszuschütten, weil im dreigegliederten sozialen Organismus durch das alternde Geld jederzeit genügend Kapital zur Verfügung stehe. Es mache daher keinen Unterschied, ob neue Betriebsmittel selbst aufgebracht oder als Fremdkapital aufgenommen werden. In beiden Fällen bestehe für eine gewisse Zeit ein Zinsanspruch. Wie dem auch sei: Für die heutigen Verhältnisse muß dem Unternehmer das Verfügungsrecht über die Höhe des Kapitalbedarfs erhalten bleiben. Er wäre in der Verantwortung gehemmt, wenn er nicht in der Lage wäre, für die nötigen Reserven zu sorgen.

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 38]

[...] Was ist nun vom Standpunkt der Dreigliederung, zu solchen Bestrebungen zu sagen?

Es folgen hier einige Stellen Rudolf Steiners (teilweise gekürzt oder zusammengezogen), die zu Thesen werden könnten:

Zunächst ist die Grundforderung zu erwähnen, die lautet: Arbeit darf keine Ware sein. Denn: Der Mensch trägt mit der Arbeitskraft seinen himmlischen Anteil zu Markte und wird dafür mit Geld bezahlt, das rein irdisch-ahrimanisch ist. (30.11.18) Womit soll also die Arbeit bezahlt werden?

Das Christentum hat die Sklaverei überwunden, weil „alle Seelen vor Gott gleich sind“. Aber geblieben ist die Bezahlung der Arbeit. Wer sich seine Arbeit bezahlen läßt, muß zum Egoisten werden. Er selbst wird zur Ware, statt die Ware von der Arbeit zu trennen. (Winter, 1918)

Soll demnach die Arbeit überhaupt nicht bezahlt werden, sondern nur die Ware? Ein Tausch wird eingegangen zwischen Geld (als Repräsentant der Ware) und Arbeit. Aber ein solcher Tausch kann sich in Wirklichkeit gar nicht vollziehen. Er scheint sich nur zu vollziehen. In Wirklichkeit nimmt der Arbeitgeber von dem Arbeiter Waren entgegen, die nur entstehen können, wenn der Arbeiter seine Arbeitskraft für die Entstehung hingibt. Aus dem Gegenwert dieser Waren erhält der Arbeiter einen Anteil, der Arbeitgeber den andern. (Kernpunkte S.45) Im Arbeitsverhältnis hat man es mit einem richtigen Kauf zu tun. Man kann Arbeit nicht mit irgend etwas tauschen, nur die Erzeugnisse. Der Arbeiter erzeugt unmittelbar etwas und liefert es, und dieses Erzeugnis kauft ihm in Wirklichkeit der Unternehmer ab. (Nat.Ök.K. VII.V.)

Aus solchen Einsichten geht hervor, daß im Falle eines vertraglichen Teilungsverhältnisses nicht von der Arbeitszeit, oder - wie beim Akkord, von Zeit und Menge ausgegangen werden darf. Da die Vergütung zunächst auf dem abgelieferten Produkt basieren kann, ist gegen eine Berechnung aus dem Umsatze nichts einzuwenden.

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 39]

Er enthält auch in der arbeitsteiligen Produktionsart sämtliche Einzelteile und es erscheint überflüssig, diese kalkulatorisch separat zu erfassen. Eine andere Frage ist die Bewertung der abgelieferten Produkte. Geht man von den Gestehungskosten, statt vom Verkaufspreis aus, so entzieht man dem Ergebnis jenen Mehrwert, der sich z.B. aus der allgemeinen Konjunktur ergibt. Auf der anderen Seite sind Abzüge oder Rücklagen berechtigt aus Anteilen, die nachweisbar durch andere Einflüsse hervorgebracht worden sind. Dazu gehören Rationalisierung, Automatisierung, arbeitsparende Konstruktionen und Erfindungen oder auch ideenreiche Rezepte, die einen großen Mehrwert einbringen können. Es gibt Betriebe, die ihre Belegschaft vollkommen an dem Nutzen von Rationalisierungsmaßnahmen teilnehmen lassen. Stammt aber eine Erfindung oder ein guter Vorschlag von einem Ingenieur oder einem anderen Mitglied der Belegschaft, so wird von dieser Seite ein Anteil verlangt und muß gewährt werden. Derselbe Anspruch muß der Geschäftsleitung zuerkannt werden. Im Sinne der Ausführungen in den „Kernpunkten“ wandelt sich der Kapitalanspruch jedoch in einen Zinsbezug oder in die Form von Tantiemen. Alle solche Abzüge und Rückstellungen werden heute von den Geschäftsleitungen festgesetzt. Das Prinzip ist nicht anzufechten. Ob künftig die Zahlen im einzelnen bekanntgegeben werden, wird von der Vertrauensbasis zwischen der Geschäftsleitung und der Belegschaft abhängen. Dasselbe gilt von der Vorlage der Bilanz. Die Arbeiterausschüsse verzichten häufig auf Einsicht in diese Zahlen, weil ihnen die Möglichkeit zur Beurteilung fehlt. Solche Fragen sind nur für die gegenwärtigen Zustände von Bedeutung und haben wenig Einfluß auf unsere Untersuchungen.

Wichtiger scheint uns der Verteilungsschlüssel zu sein, der allgemein bekannt und dem alle zustimmen sollten. Wie oben ausgeführt, hat sich eine individuelle Arbeitsplatzbewertung gut bewährt. Nur darf man dabei nicht in den Fehler elektronischer Meldevorrichtungen verfallen, wofür es heute Maschinen gibt, die an einer Kontrolltafel fortlaufend anzeigen, was und wieviel an sämtlichen Maschinen gearbeitet wird. (Zuse Fertigungs- und Abrechnungszentrale.)

Rudolf Steiner fordert, daß der Vergötzung der Produktionskräfte der Glauben an den Menschen gegenübergestellt werde. (Rednerkurs) Er schlägt außerdem anstelle einer individuellen Arbeitsplatzbewertung die Einrichtung von Arbeitskategorien vor, also die Bildung von Arbeits- und Einkommensstufen, wobei jeder Eifrige von einer Position zur anderen aufsteigen kann. (24.Nov.18) Er führt dazu als Beispiel die Besoldungsmethoden eines gesunden Beamtentums oder des Soldatenstandes an. Ein solcher Zustand ist wohl mit Gruppenarbeit oder dem sogen. Rottensystem erreicht, vorausgesetzt, daß nicht nur der Gruppenleiter am Ertrag beteiligt ist, wie es in einem bekannten Großbetrieb geschieht. Auch das Angestellten-Verhältnis kommt diesem Zustand nahe. Damit kommen wir zu einer weiteren kategorischen Forderung Rudolf Steiners, die bisher nirgends klar erkannt ist, obwohl die Tendenzen dafür ebenfalls vorliegen. Es handelt sich um die Garantierung des Existenzminimums, dem ein Rechtsanspruch zugrunde

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 40]

liegen muß, nicht nur ein Vertragsverhältnis der Sozialpartner. In den „Kernpunkten“ findet sich z.B. der Satz:

Nicht dadurch bringt man den Warencharakter der menschlichen Arbeitskraft aus dem Wirtschaftsleben heraus, daß man dieses umgestaltet, sondern daß man die Arbeit vom Rechtsglied bestimmen läßt.

Und „In Ausführung der Dreigliederung“ heißt es:

In Bezug auf die Ausnützung seiner Arbeitskraft entscheidet er mit, als mündiger Mensch auf dem demokratischen Rechtsboden außerhalb des Wirtschaftskreislaufes.

Dabei handelt es sich zunächst, wie wir wissen, um Zeit, Maß und Art der Arbeit, also um das Arbeitsrecht, das vom demokratischen Rechtsstaat festgelegt wird. Rudolf Steiner geht darüber hinaus und will die Existenzmittel für jeden einzelnen Mitarbeiter entsprechend seinen Familienverhältnissen, völlig getrennt von seiner Leistung und vom Arbeitsertrag, in das Arbeitsrecht einbezogen wissen. Dieser Rechtsanspruch leitet sich „im Sinne des sozialen Hauptgesetzes“ daher, daß im Grunde niemand für sich selbst tätig sein kann, sondern nur für die Allgemeinheit.

Der Vollständigkeit halber soll das soziale Hauptgesetz, wie es durch die Geisteswissenschaft aufgewiesen wird, hier angeführt werden:

„Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist umso größer, je weniger der Einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen au seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden.“ (1905)

„Alles Arbeiten in der Gesellschaft muß so sein, daß der Arbeitsertrag der Sozietät zufällt, und die Existenzmittel nicht als Arbeitsertrag, sondern durch die soziale Struktur geschaffen werden.“ Im 8. Vortrag aus „Entwicklungsgeschichtliche Unterlagen zur Bildung eines sozialen Urteils“ bezeichnet Dr. Steiner diesen Satz als so grundlegend wichtig, wie den pythagoräischen Lehrsatz in der Mathematik.

Die unerläßlichen Existenzmittel, zu denen auch die Sozialfürsorge für Alter, Krankheit etc. gehört, dürfen also nicht abhängig sein vom Ertrag eines Wirtschaftsunternehmens, sondern sie stellen Rechtsansprüche dar, die mit der allgemeinen Menschenwürde zusammenhängen. Es handelt sich dabei nicht nur um das Existenzminimum, sondern um eine gerechte Entschädigung dafür, daß der Mensch sich entsprechend seinen Fähigkeiten zu Gunsten der Allgemeinheit betätigt. Obwohl solche Existenzmittel natürlich von den Wirtschaftsbetrieben aufgebracht werden müssen, sind sie nicht identisch mit dem Anteil der aus persönlicher Leistung erfließt oder errechnet werden kann. Aber sie sind darin enthalten. Für die Existenzmittel haftet demnach das gesamte Sozialprodukt einer Volkswirtschaft.

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 41]

[Es] muß folgender Satz der „Kernpunkte“ berücksichtigt werden:

„Durch soziale Einrichtungen, die in der Richtung des hier Dargestellten liegen, wird der Boden geschaffen für ein wirklich freies Vertragsverhältnis zwischen Arbeitsleiter und Arbeitsleister. Und dieses Verhältnis wird sich beziehen nicht auf einen Tausch von Ware (bezw. Geld) für Arbeitskraft, sondern auf die Festsetzung des Anteils, den eine jede der beiden Personen hat, welche die Ware gemeinsam zustande bringen.“

Menschlich und buchhalterisch gesehen müßte der Lohn als Unkostenposten aus den Geschäftsbüchern verschwinden und sich in Form einer Beteiligung an anderer Stelle einordnen. Dagegen ist jede Art von Kapitalbeteiligung abwegig, weil sich die Kapital- und Eigentumsverhältnisse selbst wandeln werden.

„Es wird so lange Kapital geben, als Lohn damit bezahlt werden muß ... Eine freie Vergesellschaftung, durch die der Handarbeiter der freie Kompagnon ist des Geistesarbeiters, der nicht mehr Kapitalist ist, vertilgt das Lohnverhältnis und damit auch das Kapitalverhältnis.“ (Der Impuls zur Dreigliederung kein bloßer Idealismus, Mai 1919)

Mit der sogen. Partnerschafts-Bewegung, die besser „Sozialpartnerschaft“ genannt werden sollte, stehen wir vor einer wichtigen Erscheinung der neueren Zeit.

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 42]

Rudolf Steiner hat in weiter Voraussicht sich schon 1919 für einen Arbeitsfrieden durch Überwindung des Lohnverhältnisses eingesetzt. Seine Vorschläge sind so aktuell wie je. Zwar haben sich die Lohnverhältnisse seither umfassend ausgestaltet. Und viele von den Forderungen des früheren Proletariats sind erfüllt, ja weitgehend überholt worden, aber die Unzufriedenheit ist geblieben und die soziale Frage ist ungelöst. Ein Blick auf den Ernst der Weltlage zeigt die dringende Situation. Ein praktischer Ansatzpunkt für eine allgemeine Befriedung ist die Sozialpartnerschaft, zu der Rudolf Steiner die prinzipiellen wissenschaftlich fundierten Wege wies. Sie den Zeitgenossen zum Bewußtsein zu bringen, scheint unsere Pflicht. Hier eröffnet sich ein weites Feld der Betätigung. Wir möchten daher diejenigen Freunde zur Mitarbeit auf diesem speziellen Gebiete aufrufen, die etwas dazu beitragen können. Es erscheint uns notwendig, die Vorschläge und Forderungen Rudolf Steiners in eine öffentliche Diskussion zu bringen, noch mehr, sie da und dort zu praktizieren. Die Umwelt ist uns ein gutes Stück zuvorgekommen, ohne die weisheitsvollen Richtlinien zu kennen, die uns zugänglich sind. [...]

Was man heute ein Wirtschaftsunternehmen nennt: Es ist es nicht. Die eigentliche wirtschaftliche Domäne ist die Warenzirkulation. Sie ist eine doppelte: Einmal wechseln die Waren (auch in Teilen) von der Belegschaft zur Geschäftsführung, welche sie darnach den Konsumenten auf vielerlei Wegen zugänglich macht. Der Fabrikbetrieb ist, wie jeder andere Geschäftsbetrieb, in Wirklichkeit eine Menschengemeinschaft, die auf rechtliche Basis zu stellen ist. Eine Sozialgemeinschaft, bestehend aus zwei Gruppen von Sozialpartnern, welche sich weitgehend denselben Interessen widmen können, wenn ihre heutigen Gegensätze auf eine gesunde Rechtsgrundlage gestellt werden. Menschen, die viel miteinander zu tun haben, sind sogar eine Schicksalsgemeinschaft mit weitreichenden Wirkungen bis ans Ende des Lebens und darüber hinaus.

Von einer richtig durchgeführten Ertragsbeteiligung bleibt das Eigentum nicht unberührt. Die Eigentumsverhältnisse haben längst von ihrer Bedeutung eingebüßt. Die Diskussion über eine Wandlung des Eigentumsbegriffes hat begonnen. (Z.B. auf der Tagung der ASU - Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer - in München im Februar 1960.) Und Bücher wie das von Prof. G. Strickrodt „Unternehmer unter frei gewählter Stiftungssatzung“ (Verlag Lutzeyer, Baden-Baden, 1956 oder dasjenige von Prof. Wilken über „Die Entmachtung des Kapitals durch neue Eigentumsformen“(Verlag Die Kommenden, Freiburg) tun das ihre, den Gedanken der Eigentumswandlung populär zu machen. Herr Dr.phil. Kreutzer hat seinen Betrieb in eine Stiftung umgewandelt und andere soziale

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 43]

Einrichtungen getroffen. Und Herr Ingenieur Alfred Rexroth hat eine Ertragsbeteiligung eingerichtet. Von beiden verehrten Freunden unserer Bestrebungen veröffentlichen wir im Anschluß an diesen Bericht Briefe, die ganz aus der Praxis heraus geschrieben sind. Auf diesem Wege werden sich die Probleme weiterhin klären lassen.

In einer Diskussion mit Betriebsräten im Jahre 1919 wurde die Frage gestellt: Wie regeln sich Arbeitszeit, Akkordarbeit, Entlöhnung und Minimallohn? Darauf antwortete Dr. Steiner:

„Wenn die Art, das Mass und die Zeit der Arbeit im Rechtsorganismus festgesetzt werden, so kann es sich nur um eine minimale und maximale Arbeitszeit handeln, die noch genügend Spielraum für den freien Willen des einzelnen lässt. Akkordarbeit dürfte sich überleben, weil diese den Menschen zur Maschine stempelt und die Qualitätsarbeit vermindert. Die Mehrleistung einzelner gegenüber anderen wird besser entwickelten oder erhöhten Fähigkeiten entspringen, weil durch die volle Gegenleistung, die zum Beispiel der Leiter eines Fabrikbetriebes den Arbeitern schuldig ist, der Ansporn zu einer Erhöhung der Leistung bedeutend grösser ist als heute, wo ganz ungerechte Lohnverteilung stattfindet. Es ist daran gedacht, die Arbeitsarten der Handarbeiter ebenso in verschiedene Positionen einzuteilen wie heute die Leistungen der Angestellten, so dass der fähige oder fleissige Arbeiter von einer Position in die andere aufzusteigen vermag . Innerhalb einer Position sollen alle jedoch gleichmässig bezahlt werden. Der Faule wird sich nie aus der niedersten Position erheben, doch muss ihm, wenn er auch noch so faul ist, die für diese festgesetzte Entschädigung gewährt werden, weil er die gesetzliche Minimalarbeitszeit der menschlichen Gesellschaft zur Verfügung stellt. Zum Anspornen der Leistung dürften im künftigen Wirtschaftsleben manche Mittel verwendbar sein, die heute nicht wirken, weil das sachliche Interesse an der Produktion ein viel grösseres sein wird als heute.

Die pekuniäre Gegenleistung für geleistete Arbeit soll nicht als Lohn betrachtet werden, sondern aus dem Geschäftsgang resultieren und nach den Rücklagen des vergangenen Jahres für das Künftige errechnet werden. Im eigentlichen Sinne hat also der Arbeiter einen Besitzanteil an der Fabrik, in der er arbeitet, den er allerdings mit dem Austritt wieder verliert. Dieser Besitz ist aber nicht kapitalistisch durch irgendwelche Aktien oder Papiere festgelegt, sondern einfach eine Selbstverständlichkeit durch seinen Eintritt, weil darnach sein Verdienst errechnet wird. Dem schlechtesten Arbeiter muss das Erträgnis aus seinem Minimalbesitz so bemessen werden, dass er gerade davon leben kann und dies ist im eigentlichen Sinne das Erträgnis seines Existenzbesitzes.

Damit die einzelnen Fabriken nicht an gleichen Orten verschiedene Gegenleistungen auszahlen, dürfte der über den Fabriken stehende Wirtschaftsorganismus einen Ausgleich herbeiführen, was zur Voraussetzung hat, dass die Fabriken einander tragen. Es werden ja die Preisverhältnisse nicht wie bisher aus den Preisen der Rohmaterialien und Arbeitslöhne

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 44]

errechnet, sondern aus den Produktions- und Konsumverhältnissen der Waren untereinander, wodurch es möglich wird, dass auch ein vorübergehend nicht rentierender Betrieb aufrechterhalten werden kann, wenn aus irgendwelchen Gründen dessen Waren nicht vom Markte verschwinden sollen.

Wie im einzelnen die Wirtschaftserträgnisse verteilt, ausgeglichen und ausgegeben werden, richtet sich nach den sich einst entwickelten Wirtschaftsorganisationen. Alles Weitere dürfte sich aus der lebendigen Entwicklung ergeben und braucht heute in den Einzelheiten keineswegs festgelegt zu werden.“

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 2, Seite 45]