Ein Heine-Hasser

01.01.1901

Quelle: Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus 1901, II. Jahrgang, Nr.38

Es wird oft gesagt: Große Männer haben die Schwächen ihrer Tugenden. Nicht weniger richtig ist aber auch, daß die Nachbeter großer Männer die Schwächen von deren Untugenden in hervorragendem Maße erben. Der erste Satz ist anwendbar auf den großen Ästhetiker und Literarhistoriker Friedrich Theodor Vischer, der lange Zeit eine Zierde der Stuttgarter Technischen Hochschule war; die andere Wahrheit kommt einem in den Sinn, wenn man sich seinen Nachfolger auf der Lehrkanzel betrachtet, den Herrn Carl Weitbrecht. Vischers weitem Blick in künstlerischen Dingen war ein gewisser Zug von Spießbürgerlichkeit beigemischt; dem feinen Humoristen, der uns den herzerquickenden Roman « Auch Einer » geschenkt hat, verdirbt fortwährend ein « innerer Philister » das Konzept. Und so erfreulich es ist, daß Vischer dem Goethe-Götzendienst der Urteilslosen mit seinem dritten Teil des « Faust » gehörig auf die Finger geklopft hat: recht unbehaglich wirkt bei all dieser Freude, daß der ehrliche Schwabe bei seiner « Abfertigung » doch gar zu biedermännisch zu Werke geht. Doch das sind eben Fehler großer Tugenden. Carl Weitbrecht fehlen diese Tugenden; das hat er in seinen vielen Schriften hinlänglich gezeigt. Kein Zweifel ist, daß er von Vischer manches gelernt hat. Und deshalb hat sein Buch « Diesseits von Weimar » viel Gutes. Er hat auf manche Vorzüge der Goetheschen Natur hingewiesen, die dem großen Geist in dem späteren Leben teilweise verloren gegangen sind. Ganz abstoßend wirkt aber die Kehrseite der Vischerschen Vorzüge in den zwei Bändchen, die Carl Weitbrecht als « Deutsche Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts » vor kurzem in der « Sammlung Göschen » (Nr. 134 und 135 dieser Sammlung, G. J. Göschensche Verlagshandlung, Leipzig igoi) hat erscheinen lassen.

Man braucht nicht sehr argwöhnisch zu sein, um beim Lesen dieser zwei Bändchen zu dem Glauben zu kommen, das erste sei geschrieben, um dem « deutschen Juden » Heine alles erdenkliche Schlimme anzuhängen; das zweite, um einem verbissenen Groll gegen alles sogenannte « Moderne » Luft zu machen. Unter den mancherlei Urteilen, die da auftauchen, erscheint immer wieder, in den verschiedensten Umschreibungen, dies: ein Dichter, ein Schriftsteller ist um so braver, je weniger er es macht wie der böse Heine. Nur ein paar Proben seien hierhergestellt. « Als Goethe starb, war Heine der Mann der Zeit - das kennzeichnet die Lage: der Alte in Weimar ist verstummt, und ein deutscher Jude in Paris gibt den Ton an.» Nur im Vorübergehen sei auf eine kleine Gedankenlosigkeit des Herrn Weitbrecht aufmerksam gemacht. Nach seinen Äußerungen auf Seite 8 hatte eigentlich der « Alte von Weimar » schon im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts nichts mehr zu sagen. « Das Leben, das er » (Goethe) « im ersten Drittel des Jahrhunderts lebte und literarisch zum Ausdruck brachte, hatte nur wenig mehr gemein mit dem, was die Nation in dieser Zeit lebte und kämpfte; so wie er sein persönliches Leben aus dem vergangenen Jahrhundert herübergebracht hatte, so lebte er es im neuen Jahrhundert zu Ende ... eine einsame Größe, ihrer Unsterblichkeit sicher, aber der Gegenwart mehr und mehr entfremdet.» Was verschlägt es Carl Weitbrecht, daß er Goethe bereits am Ende des achtzehnten Jahrhunderts geistig tot sein läßt: um einen « eleganten » Eingang für eine Abschlachtung Heines zu haben, darf man schon den Genius Goethes zweimal köpfen.

Was hat doch der arme Heine, nach Weitbrechts Meinung, alles auf dem Gewissen! « Von Heine wie kaum von einem anderen haben die Deutschen auf Generationen hinaus gelernt, die eigene Nation zu verachten und schlecht von ihr zu reden, weil ihre Regierungen sträfliche Dummheiten machten, weil die Freiheit, die die französische Revolution meinte, nicht so schnell in Deutschland einzuführen war; von ihm haben sie gelernt, das Kritteln und Witzeln über die deutschen Dinge für ein höheres Zeichen von Geistesbildung und Geistesfreiheit zu halten als die geduldige selbstverleugnende Arbeit an diesen Dingen; von ihm haben sie den eitlen Ton gelernt, der die Schmerzen und Unzufriedenheiten des Einzelnen gleich als Menschheitsschmerzen ausposaunt und vergißt, daß zwischen dem Einzelnen und der Menschheit die Nation steht ». Herr Carl Weitbrecht mag über Heinrich Heine denken, wie er es, nach seiner Begabung, vermag. Leute, die Heine verstehen, können sich über die Privatmeinung Weitbrechts wohl kaum aufregen. Worüber man aber mit Herren wie Carl Weitbrecht ein ernstes Wort reden muß, das ist die, gelinde gesagt, verletzende Anmaßung, mit der er « die Deutschen » zu Trotteln stempelt. Denn nur Trottel könnten sich in dem Sinne « gelehrig » erweisen, wie das in dem obigen Satz Weitbrechts geschildert wird. Hat denn die Schwabenseele Carl Weitbrechts nirgends so etwas, was ihr die Scham kommen ließe über solche Charakteristik ihrer Nation?

Oftmals wird von Weitbrecht Heine herangezogen, um zu sagen, wie andere - anders waren. « Was bei Heine geistreich selbstgefälliges Spiel war, war bei Lenau ernstes, unheilbares Leiden ». Lernen Sie, Herr Weitbrecht, die Geister aus sich heraus charakterisieren, denn was Lenau war, hat mit dem, was Heine war, gar nichts zu tun. Es geht aber in diesem Tone weiter. Zwar muß Herr Weitbrecht Menzels niederträchtige Denunziation, die zu Gutzkows Bestrafung das ihrige beitrug, selbst als solche anerkennen; aber er kann an dieser Anerkennung nicht vorbeikommen ohne den geschmacklosen Satz: « Heine fühlte sich sehr geschmeichelt, sich feierlichst an die Spitze der ganzen Bewegung gesetzt zu sehen ... und prägte den giftigen unehrlichen Titel des < Denunzianten > für Wolfgang Menzel, dessen unnötig zeternde Kritik über Gutzkows nichtigen Roman < Wally > allerdings dem Bundestag den äußeren Anlaß zu seiner Torheit gegeben hatte.»

Sogar Freiligraths männliche Art, die Leiden der Verbannung zu tragen, inspiriert Herrn Weitbrecht zu einem Ausfall auf den « deutschen Juden »: « Weichlich geflennt oder mit dem Exil kokettiert hat er » (Freiligtath) « darum nicht.» Recht drollig ist die Vorstellung, die sich Weitbrecht davon macht, wie Heine die Geister am Gängelbande führte. « Heine wars, der Platen und Immermann verfeindet hatte.» Also wäre der gute Platen dem « Juden in Paris » nicht auf den Leim gegangen: er hätte den « Nimmermann » nicht als den « eitlen Geck » in seinem « Romantischen Oedipus » dargestellt. Gustav Schwab und Paul Pfizer waren, im Sinne Weitbrechts, zu ganz anderem berufen, als was sie geleistet haben, aber sie « waren den unehrlichen Fechterstreichen Heines nicht gewachsen ». Bei der Besprechung Emanuel Geibels leistet sich unser Literarhistoriker den schönen Satz: « Wo er in seinen früheren Gedichten die Knappheit des einfachen lyrischen Stimmungsgebildes oder des ganz gedrungenen Liedes zu erreichen oder zu erstreben schien, da war er meist abhängig von Vorbildern, unter denen sich sogar Heine befand; je mehr er aber sich selbst gab, desto mehr Aufwand brauchte er.» 0 Jammer über Jammer: armer Geibel, man muß dir nachsagen, daß du einmal leidlich gedichtet hast; aber es ist nichts damit, denn zu solchem Können hat dich ja - Heinrich Heine verführt.

Ich denke, nach diesen Proben können wir von Herrn Weitbrecht Abschied nehmen. Über den weiteren Verlauf seiner Ausführungen die rechten Worte schreiben, hieße - grausam werden.

Schade ist nur, daß eine « Sammlung » wie die Göschensche, die so viel Gutes enthält, die zwei Bändchen Weitbrechtschen Gezeters sich einverleibt hat.

Rudolf Steiner